US-Haushaltsnotstand: Der Verfall der demokratischen Kultur
Den Menschen in Washington scheint der Government-Shutdown bisher wenig auszumachen. Alles läuft zwar langsamer, man hofft jedoch, dass das Ganze nur ein paar Tage dauert. Doch an kaum einem Ort kann man den Verfall der demokratischen Kultur der USA so gut erkennen wie im Repräsentantenhaus.
Zwei Straßen östlich des Kapitols, East Capitol Street, Hausnummer 201, wehen kleine Fahnen an einem Masten. „Free and open to the public“ verkündet des Werbeslogan der Washingtoner „Folger Shakespeare Library“, Heute, am Tag zwei des Government-Shutdown in den Vereinigten Staaten liest sich das wie Hohn. Denn frei ist auch die weiße Kuppelarchitektur, die über dem Capitol Hill thront. Aber zugänglich für die Öffentlichkeit? Macht sich Shakespeare post mortem hier lustig über diejenigen, die ein modernes Drama inszenieren, das dem Briten würdig gewesen wäre?
Die Gänge und Hallen im Kapitol sind fast menschenleer. Wo sonst Besuchergruppen durchgeschleust werden, Touristen aus der ganzen Welt, die Souvenirläden durchstöbern, verlieren sich nur einzelne Neugierige. Die öffentlichen Führungen finden nicht statt. Sie zählen nicht zu den essentiellen staatlichen Aufgaben. Nur Polizisten und andere Sicherheitsleute versehen routinemäßig ihren Dienst. Viel haben sie heute nicht zu tun. Die Sicherheitskontrollen passiert man im Nu, keine Schlangen nirgendwo. Auch die Besuchertribüne des Repräsentantenhauses hat man heute ganz für sich.
Verfall der demokratischen Kultur
Wie an kaum einem anderen Ort lässt sich der Verfall der demokratischen Kultur in den Vereinigten Staaten von Amerika besser beobachten, als heute hier auf dem blauen Teppich der Abgeordnetenkammer. Auf der Rechten sitzen in kleinen Grüppchen ein paar Republikaner auf den Holzbänken, mal sind es 8, mal sind es zehn. Auf der Linken sammeln sich die Demokraten eher enger beieinander. Auf 15 kommen sie bisweilen. Immer hübsch abwechselnd streben sie dann zum rotbraunen Redepult, die amerikanische Flagge im Rücken und den Schriftzug „In God we Trust“.
„Dear Mister Speaker“ hebt eine Republikanerin an, den Blick fest in die Fernsehkamera auf der anderen Seite des Saals gerichtet. Sie habe am Morgen Weltkriegsverteranen am Denkmal zum Zweiten Weltkrieg auf der Mall getroffen, „das Präsident Obama hat schließen lassen“. Dies müsse alles ein Ende finden. „Die Tea-Party trägt ihren Kampf auf dem Rücken der Patienten aus“ erwidert der nächste Redner, der von der Linken auf Pult zustrebt. Die Gesundheitsreform solle einer konservativen Ideologie geopfert werden. Von der Rechten nähert sich schon der Nächste. Jeweils zwei Minuten gewährt das Protokoll. „Obama hat in der vergangenen Woche angekündigt, mit Syrien zu verhandeln, er hat Verhandlungen mit Iran in Aussicht gestellt. Nur mit den Republikanern will er nicht reden“, beklagt sich der Abgeordnete. Dabei könnte man sich doch sicher schnell einigen, wenn man nur verhandle. Seine zwei Minuten sind vorüber, und wie schon seine Vorredner strebt der Abgeordnete gleich aus dem Saal.
Kein Interesse an gegenseitigem Verständnis
Ständig öffnen und schließen sich die Türen zum Saal. Abgeordnete kommen, setzen sich, sprechen und gehen wieder. Hier hört niemand zu, außer der Kamera. Und irgendwie scheint es, als ginge es in diesem Konflikt um die Finanzierung des US-Etats um eigentlich nicht anderes: Um einen Schlagabtausch ohne Interesse an gegenseitigem Verständnis. Den Blick fest auf die in den USA streng gespaltene Wählerschaft gerichtet. Auf diesem Niveau ist die US-amerikanische Politik angekommen. Präsident Barack Obama hat angesichts der verhärteten Fronten zwischen Demokraten und Republikanern längst beschlossen, Politik über die öffentliche Austragung von Differenzen zu betreiben. Tea-Party-Abgeordnete wiederum haben ihren Wahlkreis im Sinn, nicht die Handlungsfähigkeit der Regierung. Er denke jeden Tag darüber nach, wem er eigentlich verantwortlich sei, hat Ted Cruz, jener Tea-Party-Senator, von dem die Idee stammt, den Haushalt nur zu finanzieren, wenn zugleich die Krankenversicherung zurückgestellt wird, in der vergangenen Woche gesagt. Er sei zum Schluss gekommen, es sei „nicht das politische Establishment“. Es seien seine Wähler. Und die sollen ihn ja schließlich wieder wählen.
Über der amerikanischen Hauptstadt strahlt spätsommerliche Sonne. Jenseits der Innenstadt läuft das Leben in den üblichen Bahnen. Die Schulen sind geöffnet, sie unterstehen einzelstaatlicher Aufsicht, die Metro fährt, die Post kommt, der Müll wird abgeholt. Nur ein paar mehr Menschen genießen eine zusätzliche freie Zeit. Noch machen sich zumindest in Washington wenige Leute Sorgen. Man hofft, dass das Ganze nur ein paar Tage dauert. Aber der Shutdow hat Geschwindigkeit aus Washingtons Zentrum genommen. „Starbucks“ an der 14. Straße ist leer, hier plauschen die paar Gäste über den Haushaltnotstand. „Caribou Coffee“ an der Ecke zum Weißen Haus, sonst brummt hier der Mitarbeiterstab des Präsidenten, hat kaum Kunden. Und die grünen Wiesen der Mall sind leer. Ein einzelner Vater schiebt einen Kinderwagen, unter den Bäumen hat eine Mutter mit zwei Kindern einen Teppich ausgebreitet, ein paar Obdachlose sitzen auf Parkbänken. Touristen fehlen. Hier sind alle Museen und Denkmäler geschlossen. Selbst am Washington Memorial bringt einer der letzten verbliebenen Parkwächter ein Schild an: „Geschlossen“.
Veteranen trotzen der politischen Blockade
Nur am World War 2-Denkmal ist Trubel. Drei weiße Busse nähern im Schritttempo sich dem Eingang. Die alten Männer im Bus, die heute früh mit dem Flugzeug aus St. Louis gekommen sind, werden schon von einer Menschenmenge empfangen. „Danke für euren Dienst“, rufen sie ihnen entgegen. Monatelang, erzählt ein Betreuer, haben die Männer die Reise vorbereitet und das Geld dafür gesammelt. Heute sind sie gekommen - und sie wollen auch in die Anlage, trotz des gelben Absperrbands und der schwarzen Gitter. Um sie zu unterstützen, sind auch ein paar Dutzend Bewohner Washingtons hierher gekommen. Jemand schiebt einfach das erste Gitter beiseite, ein anderer zieht das gelbe Band ab. Auch sechs Kongressabgeordnete, in der Menge erkennbar an ihren Kongressabzeichen am Revers, haben sich auf den Weg gemacht, bei dem patriotischen Ereignis dabei zu sein. Auch die Fernsehkameras sind schließlich vor Ort.
Die Veteranen lassen das parlamentarische Händeschütteln über sich ergehen, dann betreten sie bedächtig das Denkmal und laufen die Säulenrunde entlang. Sie trotzen der politischen Blockade ihrer nationalen Führer zwischen Kapitol und Weißem Haus. Und sind damit noch einmal nationale Helden.
Barbara Junge