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Tschetschenische Milizen in Ukraine-Krise: Der unbekannte Feind

Im Osten der Ukraine wird die Lage immer unübersichtlicher. Die Kämpfe verschärfen sich - offenbar auch, weil nun Kämpfer aus dem Kaukasus mitmischen. Wer kämpft gegen wen?

Für viele internationale Beobachter ist die Sache klar: An der Seite der prorussischen Gruppen kämpfen inzwischen auch Söldner aus Tschetschenien gegen die ukrainische Armee – und verschärfen den Konflikt noch weiter. Es gebe Hinweise, dass in Russland ausgebildete tschetschenische Milizen über die Grenze eingesickert seien, um die Spannungen weiter „anzuheizen“, sagte etwa US-Außenminister John Kerry. Sowohl Moskau als auch die russische Kaukasusrepublik bestreiten dies jedoch. Sie behaupten, die Tschetschenen kämpften – wenn überhaupt – aufseiten der ukrainischen Nationalgarde.

Was spricht dafür, dass Söldner aus dem Kaukasus in die Kämpfe involviert sind?

Es mehren sich die Indizien dafür, dass Präsident Wladimir Putin Kaukasus-Kämpfer geschickt haben könnte. „Die Russen sind da“, schreibt zum Beispiel die Wochenzeitung „Kyiv Post“. Unter den Männern des sogenannten „Wostok Bataillons“ befänden sich viele russische Staatsbürger, die seit Jahren in Tschetschenien lebten oder als Söldner in internationalen Konflikten kämpfen würden und Ramsan Kadyrow unterstehen, dem Chef der russischen Teilrepublik Tschetschenien. Die Männer seien in den vergangenen Wochen auf das Gebiet in der Ost-Ukraine „eingesickert“, heißt es weiter. Die Kämpfer selber bezeichnen sich als „Kadyrowzy“, als „Leute Kadyrows“. Das berichteten mehrere internationale Medien übereinstimmend.

Wie reagiert Moskau auf die Vorwürfe?

Trotz der Berichte in internationalen Zeitungen wie der „Financial Times“ haben Moskau und Grosny immer wieder zurückgewiesen, dass russische Truppen in der Ost-Ukraine operieren. Auch Ramsan Kadyrow gab an, er wisse nichts davon, dass seine Kämpfer in der Ukraine tätig seien. Gleichzeitig schloss Kadyrow aber nicht aus, dass sie auf eigene Faust dorthin gereist sein könnten. Sollten irgendwo Tschetschenen auftauchen, sei das „ihre Privatangelegenheit“, ließ er wissen.

Auf welcher Seite stehen die Tschetschenen?

Darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen. Westliche Medien verorteten sie aufseiten der Separatisten, russische aufseiten der Regierungstruppen. Dass tschetschenische Gruppen im Donbass kämpfen ohne die Zustimmung Kadyrows oder ohne das Wissen der russischen Regierung, sei höchst unglaubwürdig, heißt es in Kiew: „Das sogenannte ,Wostok-Bataillon’ wird ohne Befehl nirgendwohin gehen.“

Russische Frontberichterstatter hingegen meldeten, dass Tschetschenen aufseiten der ukrainischen Nationalgarde gesichtet wurden. Sie rekrutiert sich vor allem aus dem ultraradikalen Rechten Sektor, der während Moskaus Tschetschenienkrieg in den Neunzigerjahren aufseiten der Rebellen kämpfte. Deren harter Kern, so mutmaßen die Russen, steht nun den einstigen Waffenbrüdern in der Ukraine bei.

Kadyrow konnte die Mehrheit der Untergrundkämpfer zwar dazu bewegen, die Waffen niederzulegen. Das gelang mit einer Amnestie und der Eingliederung in die Rechtschutzorgane der Teilrepublik – und oft auch mit Einschüchterungen und nackter Gewalt. Einige „Unversöhnliche“ verzogen sich aber dennoch in die Nachbarrepubliken, um dort den Kampf gegen die ungläubigen Okkupanten aus Moskau fortzusetzen. Russische Geheimdienste gehen von etwa 5000 Mann aus.

Die Kontakte des Rechten Sektors zum Chef der tschetschenischen Untergrundkämpfer, Doku Umarow, der die Verantwortung für alle größeren Terroranschläge der vergangenen Zeit in Russland übernahm, wurden vor einiger Zeit wieder deutlich. Auf dem Höhepunkt der Proteste auf dem Kiewer Maidan bat man um Hilfe bei der Schwächung Moskaus durch weitere Attentate.

Aber auch Behauptungen, wonach Tschetschenen aufseiten der prorussischen Separatisten kämpfen, sind nicht aus der Luft gegriffen. Kadyrow regiert seinen Beritt nach eigenem Gutdünken. Ihn schützt eine angeblich aus mehreren hundert Elitekämpfern seines Clans bestehende Leibgarde, die von Regierung und Parlament nicht kontrolliert wird.

Warum konnten die mutmaßlichen Kämpfer überhaupt in die Ukraine gelangen?

Wieso die ukrainischen Grenztruppen die per Bus oder Zug reisenden Soldaten gewähren ließen, bleibt das Geheimnis der politisch und militärisch Verantwortlichen in Kiew. Sicher ist, dass die russisch-ukrainische Grenze bis heute sehr durchlässig ist. Kein Tag vergeht, an dem nicht über Vorfälle berichtet wird, bei denen Soldaten in Bussen oder Lastwagen versuchen, ukrainisches Territorium zu erreichen. In den Regionen Lugansk und Donezk sind in jüngster Vergangenheit immer wieder Fahrzeuge und Waffen, darunter automatische Gewehre und Panzerabwehrraketen beschlagnahmt worden, trotzdem gelingt es den Eindringlingen nach wie vor, ins Land zu kommen.

Wie verlaufen die Kämpfe im Osten?

Der ukrainische Verteidigungsminister Michail Kowal gab schon am Donnerstag bekannt, dass die Regierungstruppen die prorussischen Milizen „vollständig“ aus Teilen der Ostukraine vertrieben hätten. Teile der Region Donezk sowie der Norden der Region Lugansk seien nun wieder unter der Kontrolle der ukrainischen Armee. Der Einsatz werde so lange weitergeführt, „bis das normale Leben wieder Einzug in der Region hält“, fügte Kowal hinzu.

Zuvor hatte eine Gruppe sogenannter abtrünniger Mitglieder der selbsternannten „Republik Donezk“ tagelang den Metro-Markt in der Stadt Donezk geplündert. Mutmaßliche Kaukasus-Kämpfer waren es dann, die der Donezker Bevölkerung zur Hilfe kamen und das seit fast zwei Monaten besetzte Gebäude der Regionalverwaltung von Donezk räumten. Unter dem Beifall einiger Einwohner schafften sie einen Teil der Barrikaden vor dem Gebäude weg. Vor TV-Kameras brachen die Militärs Fahrzeuge auf und präsentierten den Zuschauern kartonweise Zigaretten, Alkohol und Elektrogeräte. Die Botschaft lautete: Weder die Regionalmacht in Donezk noch die Regierung in Kiew, kann die Bevölkerung des Donbass schützen

Welche Rolle spielt der selbst ernannte Ministerpräsident der „Volksrepublik Donezk“?

Der russische Staatsbürger Alexander Borodai ließ sich in den vergangenen Tagen angeblich von Männern des „Wostok-Bataillons“ bewachen und nannte die Soldaten „seine Bodyguards“. Der 41-Jährige hat in den 1990er Jahren als Kriegsreporter für die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti aus Tschetschenien berichtet. Als Student soll Borodai 1993 beim Putsch gegen den damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin beteiligt gewesen sein.

Vor zwei Tagen rechtfertigte Borodai die Anwesenheit russischer Kämpfer im Donbass, weil „die Regionen Donezk und Lugansk russisches Land sind und zu Neurussland gehören“. Damit benutzte er die gleichen Worte wie Russlands Präsident Wladimir Putin, der die östlichen Regionen der Ukraine, in den vergangenen Monaten immer wieder als „Neurussland“ bezeichnete.

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