Denkmal für die Einheit: Der Umgang mit der Revolution
Das großartige Vermächtnis der friedlichen Revolution hat ein würdigeres Gedenken verdient. Es ist keine Fußnote der deutschen Geschichte. Ein Kommentar.
Wenn in Deutschland eine Diktatur gestürzt und eine Mauer eingerissen wird, die das Land jahrzehntelang geteilt hat, nennt man die Revolution eine Wende und die Revolutionäre Bürgerrechtler. Das klingt harmlos, weniger mutig, weniger charakterstark. Bloß kein Pathos! Außerdem werden die Akteure als Vollstrecker der klugen Politik des Westens dargestellt. Denn wahlweise waren es Ronald Reagan, Johannes Paul II., Hans-Dietrich Genscher oder die Ostpolitik der SPD, die über das DDR-Regime triumphierten.
Und wenn dann zum 25. Jubiläum des 9. November 1989 ein Festredner gesucht wird, fragt der Berliner Senat nicht etwa Marianne Birthler, Rainer Eppelmann, Roland Jahn, Freya Klier, Vera Lengsfeld, Markus Meckel, Günter Nooke, Ulrike Poppe, Jens Reich, Friedrich Schorlemmer, Wolfgang Templin, Arnold Vaatz oder Konrad Weiß, sondern Martin Schulz, den nun rein gar nichts mit dieser Revolution verbindet. Er war der Bürgermeister von Würselen, als die Mauer zum Einsturz gebracht wurde.
Verdruckst, verschämt und geschichtsvergessen: So ist der gesamtdeutsche Umgang mit der friedlichen Revolution. Kleinkariert, peinlich und empörend ist daher auch das Gezerre um das Freiheits- und Einheitsdenkmal, die sogenannte Wippe. Vor knapp zehn Jahren, am 9. November 2007, war es vom Bundestag beschlossen worden. Dann entschied im April 2016 der Haushaltsausschuss, das Denkmal aufgrund von Kostensteigerungen, die auch mit der Umsiedlung von Fledermäusen zu tun hatten, nicht bauen zu lassen. Statt zehn Millionen Euro könnten es 15 Millionen sein. Zum Vergleich: Jeder Tag, den sich die Eröffnung des Flughafens BER verzögert, kostet etwa eine Million Euro.
Wo blieb das Machtwort von Bundeskanzlerin Angela Merkel?
Es ist Bundestagspräsident Norbert Lammert und seinem Vorgänger Wolfgang Thierse zu verdanken, dass das Projekt wohl doch noch verwirklicht wird. Immer wieder pochten sie auf eine Umsetzung des Parlamentsbeschlusses. Warum blieben die anderen Volksvertreter so leise? Wo war das Machtwort, diesmal wirklich, von Bundeskanzlerin Angela Merkel? Wo der Aufschrei der Grünen, die ja immerhin mal den Beinamen „Bündnis 90“ trugen? Bis heute scheint die Freude über Freiheit und Einheit, der Stolz auf das Erreichte, verhalten zu sein. Deutsches Gedenken, das nicht ausschließlich zerknirscht ist, kommt vielen fremd, wenn nicht falsch vor.
Von Stefan Heym stammt das bittere Wort von der DDR als einer „Fußnote“ der deutschen Geschichte. Übernommen wurde es vom Historiker Hans-Ulrich Wehler. Demnach ist die Bundesrepublik der „strukturprägende Kernstaat“, dem „unter einer bewährten liberal-demokratischen Verfassung fünf neue Bundesländer“ schlicht beitraten. Nie zuvor hatte sich ein Staat aufgelöst und war in einem anderen Staat aufgegangen. Die Ostdeutschen mussten sich ändern, die Westdeutschen blieben sich gleich. Auch der Appell an die vereinigten Deutschen, sich ihre Geschichten zu erzählen, änderte nichts an der asymmetrischen Relevanz ihres gelebten Lebens für ein Verständnis der Gegenwart. DDR-Geschichte, ein Fall fürs Völkerkundemuseum?
Eines aber bleibt: die Revolution. Und mit ihr das Bewusstsein, dass ein Volk gegen Drangsal und Unterdrückung erfolgreich aufbegehren kann. Dieses großartige Vermächtnis hat ein würdiges Gedenken mehr als verdient.