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Bundeskanzlerin Angela Merkel mit US-Präsident Barack Obama bei einer Pressekonferenz in Washington
© dpa/Michael Kappeler

Angela Merkel bei Barack Obama: Der Überzeugungskampf gegen US-Waffenlieferungen

Angela Merkel will keine Waffenlieferungen aus dem Westen in die Ukraine. Barack Obama bisher auch nicht. Das könnte sich aber ändern und zu einer unkalkulierbaren Eskalation des Konflikts führen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christian Tretbar

Vier-Sterne-General Philip Breedlove will ein paar „kleine taktische Drohnen“ in die Ukraine schicken. Über Panzerabwehrraketen möchte der Nato-Oberbefehlshaber in Europa nicht sprechen. Aber es bestehe nun einmal eine Notwendigkeit: dass die ukrainische Armee in die Lage versetzt wird, die aus Russland nachrückenden Panzer auszuschalten. Und was der General ebenfalls nicht sagt: Mit dem Gerät müssten auch Spezialisten in die Ukraine geschickt werden. Amerikanische.

Verteidigungsexperten auf beiden Seiten des Atlantiks wissen ganz genau, in welch desolatem Zustand die ukrainische Armee ist. Die Männer, die aufseiten Kiews gegen die Separatisten kämpfen, sind offenbar gar nicht in der Lage, solch anspruchsvolles Gerät zu bedienen und vor einer russischen Übernahme zu sichern. Doch was bedeutet das? Amerikanische Spezialisten stünden am Ostrand der Ukraine kämpfenden russischen Soldaten gegenüber. Und diese US-Spezialisten wiederum müssten beschützt werden. Es geht die Angst vor einer Wiederauferstehung des Kalten Krieges um. Aber wäre dieser Krieg überhaupt „kalt“ zu nennen?

Die kalte Konfrontation mit Moskau

Im September vergangenen Jahres hat der amerikanische Präsident den Marschbefehl für ein Hilfspaket in Richtung Ukraine gegeben. 46 Millionen Dollar Militärhilfe für die Sicherung der Grenzen, für Schutzausrüstung, Nachtsichtgeräte, Patrouillenboote, Anti-Minen-Radar und für Fahrzeuge. Fortlaufend anziehende Sanktionen strangulieren ohnehin die russische Wirtschaft. Die kalte Konfrontation mit Moskau ist längst Realität.

Eine Lieferung derjenigen Systeme, die bis in die vergangene Woche in Washington noch „lethal“, also tödlich genannt wurden, würde die Temperatur der Konfrontation gefährlich steigen lassen. Auch wenn US-Vize-Außenministerin Victoria Nuland die Waffen „defensiv“ genannt sehen will. „Es gibt keine Gespräche über Bodentruppen“, sagte General Breedlove in München immerhin noch. Selbst das also ist schon keine Selbstverständlichkeit mehr.

Joe Biden steht hinter der Waffenoption

Im Irak und in Syrien führt Amerika mit einer großen Allianz Krieg gegen den „Islamischen Staat“. Präsident Barack Obama kann kein Interesse daran haben, stärker in eine zusätzliche militärische Konfrontation hineingezogen zu werden. Seine Priorität ist die Gefahr, die vom Terrorregime des IS und seinen Gräueltaten ausgeht. Obwohl das Pentagon Waffenlieferungen an die Ukraine befürwortet, obwohl US-Vize-Präsident Joe Biden der Kanzlerin in München persönlich gesagt hat, er stünde hinter der Waffenoption – die Unkalkulierbarkeit eskalierender Kämpfe in der Ukraine ist Angela Merkels beste Verbündete im Überzeugungskampf gegen US-Waffenlieferungen.

Obama aber braucht einen Entscheidungskorridor. Solange Merkel nichts als ihre historische Erfahrung mitbringen kann, dass der Kalte Krieg in Deutschland 44 Jahre gedauert hat, trägt die deutsche Kanzlerin wenig zu diesem Korridor bei. Und sollten die anstehenden Gespräche in Minsk ihren Wert schon wieder verloren haben, sobald Wladimir Putin dem Verhandlungstisch den Rücken zugekehrt hat, könnte der politische Druck auf Obama zu groß werden.

Das syrische Debakel klebt noch immer den USA

Am amerikanischen Präsidenten klebt das syrische Debakel. Seine Weigerung, die gemäßigte Opposition gegen den Diktator Baschar al Assad mit effektiven Waffen in größerem Maßstab auszustatten, hat nicht unmaßgeblich zum Erstarken des „Islamischen Staates“ beigetragen.

Merkel muss jetzt zusätzliche Optionen ins Spiel bringen, einen Plan B. Langfristig wird Putin nicht allein mit einem Sanktionsregime des Westens und geduldigen Worten einzudämmen sein. Angela Merkels Chance könnte darin liegen, China, Brasilien, die anderen großen globalen Akteure mit einzubinden. Diese für eine diplomatische Mission zu verpflichten, die nicht mehr Waffen aus dem Westen ins Kriegsgebiet bringt, sondern weniger aus dem Osten zulässt. Viel Zeit hat die Kanzlerin dafür nicht mehr.

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