Ukraine bei Münchner Sicherheitskonferenz: Alle reden miteinander und übereinander
Was Waffenlieferungen an die Ukraine angeht, folgt die US-Regierung dem Kurs von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Für den Moment ist dies die entscheidende Festlegung. Merkel warnt, Waffenlieferungen könnten zur Eskalation führen.
Die Stärke im Auftreten gegenüber Russland leitet sich aus der Einigkeit ab, betonen Europäer und Amerikaner. Diese Einigkeit steht in Frage, seit die Partner ihre Meinungsverschiedenheiten über das Für und Wider von Waffenlieferungen an die Ukraine öffentlich austragen. Und so versuchten die Außenminister Frank-Walter Steinmeier, John Kerry und Laurent Fabius diese Debatte am Sonntag in München wieder einzufangen. „Da gibt es kein Potenzial für Spaltung“, versichert Kerry. „Wir sind geeint. Das haben wir auch bei den Sanktionen geschafft.“ Amerikas Außenminister unterstützt wie zuvor Vizepräsident Joe Biden die Linie der Kanzlerin, keine Waffen an die Ukraine zu liefern, Angela Merkel warnt, dies könne zu einer Eskalation führen. Für den Moment ist dies die entscheidende Festlegung. Die US-Regierung folgt Merkels Kurs. Steinmeier und Fabius tun das sowieso, ihre Mitarbeiter bemühen sich zur gleichen Zeit in Moskau um eine schriftliche Festlegung der Bedingungen für die Waffenruhe.
Wie lange diese Einigkeit hält, ist freilich unklar. Der republikanische US-Senator John McCain wirbt für Waffenhilfe. „Die Ukraine bittet uns nicht, für sie zu kämpfen. Dazu sind sie selbst bereit. Sie bittet uns, die Kosten für Putin zu erhöhen, damit er die Aggression nicht so einfach fortsetzen kann.“ McCains Auftreten und sein Ton finden in München wenig Resonanz. Er hat sich mit allzu heftigen Angriffen auf die Kanzlerin in Interviews ins Abseits gestellt. Ihr Umgang mit Russland erinnere ihn an das Appeasement der 1930er Jahre. „Man könnte meinen, sie hat keine Ahnung oder es ist ihr egal, dass Menschen in der Ukraine abgeschlachtet werden.“ Wegen solcher Töne hat der SPD-Abgeordnete Niels Annen verlangt, McCain müsse sich bei Merkel entschuldigen.
Viele denken wie John McCain
In der Sache aber denken viele Amerikaner, Briten, Polen und Balten ähnlich wie McCain. Man müsse der Ukraine Waffen liefern, damit sie sich besser gegen die russischen Angriffe verteidigen kann. Das sei kein Gegenkurs zu Merkel, heißt es in Gesprächen in den Konferenzpausen. Niemand wolle einen Wettlauf, wer mehr Waffen liefere, Moskau an die Separatisten oder der Westen an die Ukraine. Es gehe um modernere Ausrüstung für Aufklärung, tragbare Panzerabwehr und ähnliches, um rasche Durchbrüche zu weiteren Geländegewinnen zu erschweren. Polens Parlamentspräsident Radoslaw Sikorski sagt: „Putin hat uns gezeigt, dass die Ukraine militärisch nicht gewinnen kann. Nun müssen wir ihm zeigen, dass auch er militärisch nicht gewinnen kann. Erst dann wird er ernsthaft verhandeln.“
Fabius und Steinmeier halten mit ihren Zweifeln an Russland nicht hinter dem Berg. „Offiziell behauptet Russland, es gehe um kulturelle Grundrechte für ethnische Russen und Autonomie in der Ostukraine. Wenn das stimmt, finden wir eine Lösung“, sagt Fabius. „Wenn es in Wahrheit aber um etwas anderes geht, nämlich die Kontrolle der Ukraine durch Russland, dann verstößt das gegen die europäische Ordnung.“ Da liege das Grundproblem: Die eine Seite, Europa, halte sich an Demokratie, Transparenz und die internationale Rechtsordnung, die andere Seite nicht. Die eine Seite lehne militärische Gewalt als Option ab, die andere nicht. „Wir müssen Frieden am Boden und nicht nur auf dem Papier erreichen.“
Russland stelle die europäische Friedensordnung in Frage, sagt Steinmeier. „Auch Moskau muss Vorschläge machen, wie wir zu einer Lösung kommen.“ Offen kritisiert er seinen russischen Kollegen: „Lawrows Rede hier hat nichts dazu beigetragen.“ Lawrow hatte am Sonnabend behauptet, Russland halte sich ans Recht, Amerika und Europa nicht. Die Annexion der Krim stütze sich auf breite demokratische Zustimmung, während es vor der deutschen Einheit 1990 nicht einmal ein Referendum gegeben habe. Dafür hatte er Gelächter im Konferenzsaal geerntet.
In den großen, strategischen Fragen herrsche Einigkeit, betont Kerry. Gemeinsam wolle man „keinen Zweifel daran lassen, dass wir die Ukraine unterstützen und die internationale Rechtsordnung verteidigen.“ Welcher Art von Hilfe die Ukraine erhalte, seien taktische Fragen. Seine Tochter habe ihn kürzlich gefragt, ob die internationale Ordnung zerbreche und ihre Generation sich auf Krieg als gängige Form der Auseinandersetzung einstellen müsse. Er sei fest überzeugt – und habe ihr gesagt -, dass ein geeinter Westen diese Herausforderung bestehen werde. „Wir haben Schlimmeres gemeistert.“
Steinmeier unterscheidet zwischen pragmatischen Lösungen am Boden, die man daran messen solle, ob sie eine Lösung näher bringen, und Strategien, wie man die internationale Ordnung wieder sicherer macht. Man müsse „trotz mancher Enttäuschung beharrlich bleiben. Anders als im sonstigen Leben mag Penetranz hier eine Tugend sein.“ Auch die Geografie spiele eine Rolle. Der kanadische Außenminister habe im vergangenen Sommer die Frage aufgeworfen, ob „Russland ein Freund, ein Partner, ein Gegner oder ein Feind“ sei. Aus der Ferne falle die Antwort leicht. Für Deutschland sei „Russland ein Nachbar und hat Einfluss, im Guten wie im Schlechten“.
Was steht in dem von Merkel und Hollande vorgestellten Friedensplan?
Der von Merkel und Hollande am Freitagabend Putin in Moskau vorgestellte neue Friedensplan ist bisher nur in Umrissen bekannt. So soll die entmilitarisierte Pufferzone entlang der Frontlinie von bisher 30 auf 50-70 Kilometer ausgedehnt werden. Die beiden Rebellenhochburgen Donezk und Lugansk würen damit demilitarisiert. Auch soll die Ostukraine gemäss Merkel und Hollande eine weitgehende Autonomie erhalten. Wie diese genau aussehen soll, blieb indes unbestimmt. In Kiew hiess es dazu bereits am Samstag, die von Putin gewünschte „Föderalisierung“ der gesamten Ukraine sei damit nicht gemeint.
Poroschenkos Münchner Rede stößt in Kiew auf geteiltes Echo
Die für westeuropäische Gemüter teilweise sehr emotionale Rede, die Präsident Petro Poroschenko auf der Münchner Sicherheitskonferenz gehalten hat, ist in seiner Heimat auf geteiltes Echo gestoßen. Während viele Zuhörer im Westen fanden, der ukrainische Präsident habe zu dick aufgetragen, drohen ihm seine Widersacher sogar mit Amtsenthebungsverfahren, weil sie befürchten, Poroschenko könne zu nachgiebig gegenüber Moskau sein.
Der ukrainische Parlamentarier und frühere Investigativ-Journalist Mustafa Naidem beschreibt in seinem Blog seine Eindrücke aus München. Der 33-Jährige ist seit Oktober Abgeordneter der Präsidentenpartei „Block Petro Poroschenko“ und umgeht geschickt die strengen Chatham-House-Regeln, die auf der Münchener Sicherheitskonferenz gelten. Demnach ist die freie Verwendung der erhaltenen Informationen nur unter der Bedingung gestattet, dass Identität und Zugehörigkeit von Teilnehmern nicht preisgegeben werden. Naidem liefert zahlreiche Äußerungen seiner Gesprächspartner, die die Angst der Westeuropäer vor einem „Krieg mit Russland“ kritisieren. Doch der Jungpolitiker ist sich sicher: Egal welche Einigung die Merkel-Hollande-Initiative bringen wird, der Westen wird um Waffenlieferungen, wie von Poroschenko gefordert, nicht herumkommen.
Auch Naidems Parlamentskollegin, die Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses in der Werchowna Rada, Hanna Hopko, lobt die Rede Poroschenkos und spricht sich für die Lieferung von Waffen aus. In einem Fernsehinterview machte sie am Samstagabend in Kiew deutlich, dass die ukrainische Seite streng zwischen defensiven und offensiven Waffen unterscheide. „Wir müssen unser Land und unsere Leute verteidigen, dazu brauchen wir moderne, wirkungsvolle Waffen“, sagte Hopko, die ebenfalls erst im vergangenen Jahr in das Parlament gewählt wurde und dort die Bürgerrechtspartei „Samopomitsch“ präsentiert. Wie Naidem gehörte auch die 32-Jährige Hopko zu den führende Figuren der pro-europäischen Maidan-Proteste des Winters 2014.
Poroschenkos Widersacher in der Ukraine sinnen auf eine Amtsenthebung
Äußerst kritisch sind dagegen die Meinungen, die sich in den sozialen Netzwerken zu Poroschenkos Rede finden. Selbst einige Mitglieder der Regierungskoalition diskutieren offen über Möglichkeiten, wie man Präsident Poroschenko abservieren könne, sollte er Russland zu weit entgegenkommen. Details über den parlamentarischen Prozess einer Amtsenthebung machen die Runde. Auch Vertreter der Freiwilligen-Verbände und der Bataillone fordern von Poroschenko gegenüber dem Westen oder Russland ja nicht „einzuknicken“. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, warum Präsident Petro Poroschenko in seiner Rede in München auch Mittel verwendet hat, die eher auf eine Theaterbühne passen. Als er ein halbes Dutzend Pässe russischer Kämpfer, die im Donbass illegal im Einsatz sein sollen, hochhielt, stieß das nicht bei allen Beobachtern in der bayerischen Landeshauptstadt auf Gegenliebe.
Die ukrainischen Medien halten sich mit ihren Bewertungen zum Poroschenko-Auftritt noch zurück, trotzdem berichten sämtliche Internetportale und die TV-Sender detailliert wie selten über die Debatten auf der Sicherheitskonferenz in München. Bei einigen Berichterstattern schleicht sich wieder das Gefühl ein, das in der Ukraine bereits vergangenen Sommer viele Wochen lang die Medien beschäftigte. Damals verpassten ukrainische Journalisten Bundeskanzlerin Angela Merkel den Namen „Frau Ribbentrop“, in Anlehnung an den Molotow-Ribbentrop-Plan, dem sowjetisch-deutschen Nichtangriffspakt von 1939. Einige Medien sind auch jetzt noch der Auffassung, die Bindungen zwischen Berlin und Moskau seien zu eng – trotz der vielfachen und deutlichen Kritik am Vorgehen von Russlands Präsident Wladimir Putin durch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Nicht nur die Journalisten in der Ukraine befürchten, Russland und Deutschland könnten über den Kopf der Ukraine hinweg über das Schicksal des Landes entscheiden.
Die „Kyiv Post“ schreibt in ihrer Internetausgabe, dass auch nach dem Ende der Münchner Sicherheitskonferenz das Ringen um eine Lösung des kriegerischen Konflikts in der Ost-Ukraine weitergehen werde. Dabei müsse die „ukrainische Führung weiterhin klare Kante in ihrer aktuellen Außenpolitik zeigen“.