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Rechnet Olaf Scholz den Bund arm?
© Kay Nietfeld/dpa

45,3 Milliarden Euro aufgetaucht: Der überraschende Haushaltsüberschuss – und was wirklich dahintersteckt

Finanzminister Olaf Scholz sieht den Bundeshaushalt im Defizit. Das Statistische Bundesamt verkündet ein riesiges Plus. Was ist denn da los?

Wo kommt nun plötzlich dieser Überschuss daher? Wo doch alle erwarten, dass es jetzt schlechter läuft mit den Staatseinnahmen? Und dass die wirtschaftliche Abkühlung zur Herausforderung für die Etats von Bund, Ländern und Kommunen wird?

Das Statistische Bundesamt hat am Dienstag seine übliche Halbjahresbilanz der öffentlichen Haushalte veröffentlicht. Demnach erzielte der Staat (inklusive der Sozialversicherungen) 2019 bisher einen Überschuss von 45,3 Milliarden Euro.

Die Einnahmen lagen also entsprechend höher als die Ausgaben. Ausgerechnet der Bund hat den größten Überschuss: 17,7 Milliarden Euro. Dabei geht Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) in seiner bisherigen Haushaltsplanung eher davon aus, dass die Zeit der Überschüsse vorbei ist und die in guten Jahren angehäufte Rücklage nun zum Haushaltsausgleich aufgelöst werden muss.  Die Länder haben nach den Zahlen aus der Statistikbehörde in Wiesbaden bis Juni ein Plus von 12,7 Milliarden Euro zu verzeichnen. Die Sozialversicherungen lagen bei 7,7 Milliarden Euro, die Kommunen verzeichnen einen Überschuss von 7,1 Milliarden Euro.

Erklärt wird die gute Entwicklung damit, dass der Staat weiterhin von einer günstigen Beschäftigungsentwicklung profitiert. Vorerst ist die konjunkturelle Abkühlung nicht auf dem Arbeitsmarkt angekommen. Vorsichtshalber fügt das Statistikamt in seiner Mitteilung den Satz hinzu, dass die Ergebnisse aus dem ersten Halbjahr „nur begrenzt Rückschlüsse auf das Jahresergebnis“ zuließen.

Eine Diskrepanz von 25 Milliarden Euro

In Berlin war die Überraschung angesichts der neuen Daten aus Wiesbaden am Dienstag dennoch nicht gering. Denn die vom Bundesfinanzministerium veröffentlichte Finanzstatistik, in der die laufenden Einnahmen und Ausgaben von Bund und Ländern verzeichnet sind, ergibt derzeit ein anderes Bild. So meldete das Scholz-Ressort schon Ende Juli ein Defizit des Bundes in Höhe von 2,6 Milliarden Euro. Das mittlerweile auf 3,8 Milliarden Euro gestiegen ist.

Und die Länder liegen nach Angaben des Bundesfinanzministeriums aktuell bei einem Überschuss von 8,7 Milliarden Euro. Im Vergleich mit den Wiesbadener Daten vom Dienstag ergibt sich also eine Diskrepanz bei Bund und Ländern in Höhe von fast 25 Milliarden Euro. Wird da etwa Schmu getrieben von Scholz & Co.? Oder liegen die Statistikbeamten in Wiesbaden völlig daneben?

Das Finanzministerium reagierte mit abgewogenen Worten. Das Statistische Bundesamt habe erfreuliche Zahlen vorgelegt, was die Entwicklung der Staatsfinanzen im ersten Halbjahr angehe. „Die Steuereinnahmen entwickeln sich ähnlich positiv wie die Beschäftigungslage“, sagte eine Sprecherin.

„Zugleich zeigt die Politik der Bundesregierung Wirkung, denn der Wert staatlicher Investitionen ist mit einem Plus von mehr als zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr überdurchschnittlich stark gestiegen, was sich konjunkturell positiv auswirkt.“ Doch die Zahlen aus Wiesbaden seien nur eine Momentaufnahme, „die die sich abzeichnende Eintrübung der Konjunktur noch nicht abbildet“. Deren Auswirkungen würden erst im zweiten Halbjahr zu Buche schlagen. „Deshalb ist die Aussagekraft dieses hohen Überschusses für den Finanzierungssaldo des Gesamtjahres sehr begrenzt.“

Es gibt zwei Rechnungen

Grundsätzlich besteht das Problem unterschiedlicher Daten zu den Staatshaushalten schon länger. Es gibt nämlich zwei konkurrierende Berechnungsmethoden. In Berlin und den Landeshauptstädten schaut man eher auf die herkömmliche Finanzstatistik, in Wiesbaden wird dagegen auch die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) herangezogen.

Die einen wollen wissen, was gerade in die Kasse reinkommt und was rausgeht. Die anderen wollen ein breiteres Bild, das über die Kernhaushalte hinausreicht und auch ausgelagerte Einheiten wie Fonds oder Eigenunternehmen in den Blick nimmt. Diese VGR-Rechnung ist auch die Basis ist für die Meldungen zu Staatsfinanzen und Staatschulden an die EU, die auch Nebenhaushalte im Blick haben möchte.

Gerade die halbjährliche Berechnung kann da zu größeren Unterschieden führen, die sich schon aus dem recht komplizierten Verfahren der Ermittlung und der Verbuchung von Einnahmen und Ausgaben ergeben können.

Kreative Buchführung?

Doch die Diskrepanz gerade beim Bund mit mehr als 20 Milliarden Euro ist erklärungsbedürftig. Man kann zunächst nur mutmaßen: Sind zum Beispiel Einnahmen in Sondervermögen geflossen wie den Digitalfonds, die in der Finanzstatistik bisher nicht auftauchen? Oder gab es Verschiebungen bei Zinsausgaben oder Steuereinnahmen? Haben Scholz' Haushaltsbeamte ein bisschen kreative Buchführung angewendet, um ein kleines Defizit zu haben - schließlich stehen harte Etatgespräche mit dem Bundestag an? Oder wurden zum Beispiel einfach ein paar Milliarden an Zinsausgaben erst im Juni verrechnet statt im Juli? Manchmal kommt es auch zu statistischen Neubewertungen. So werden neuerdings die Versteigerungserlöse der Mobilfunkfrequenzen vor fast 20 Jahren vom Statistischen Bundesamt nicht mehr als Gesamteinnahme dem Jahr 2000 zugordnet, sondern als jährliche Pachteinnahmen für die Laufzeit der Frequenzen bis 2020 aufgeteilt. Das bedeutet eine Mehreinnahme beim Bund von 1,1 Milliarden Euro in diesem Jahr nach der VGR-Rechnung, die aber in der Kassenstatistik nicht auftauchen kann, weil das Geld ja längst geflossen ist.

Wie es tatsächlich steht um die Staatshaushalte, wird man erst nach den Endabrechnungen für 2019 wissen. Meist nähern sich VGR und Finanzstatistik dann wieder an, heißt es von Fachleuten.

Aber das muss nicht so sein: 2017 lagen die Wiesbadener Zahlen und die der Finanzministerien auch zum Jahresende deutlich auseinander. 34 Milliarden Euro betrug damals der Überschuss nach der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, 61 Milliarden nach der Finanzstatistik.

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