Vor Abstimmung am 24. Juni: Der türkische Wahlkampf in Europa
Die Türkische Parteien bereiten Wahlkampf vor. Es könnte auch wieder Veranstaltungen in Europa geben.
Ein Jahr nach dem heftigen Streit um türkische Wahlkampfveranstaltungen in Europa bereiten sich die großen türkischen Parteien angesichts der vorgezogenen Neuwahlen am 24. Juni auf mögliche neue Kundgebungen in der EU vor. Vertretungen der Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan, der säkularistischen Oppositionspartei CHP und der pro-kurdischen HDP schlossen am Freitag auf Anfrage unserer Zeitung erneute Wahlkampfaktivitäten in Europa nicht aus, betonten aber, die Arbeit an den Wahlkampfplänen sei noch nicht abgeschlossen.
Erdogan selbst will kommende Woche in der Türkei mit dem Wahlkampf für die Doppel-Neuwahl von Parlament und Präsident im Juni beginnen. Auch ohne Auftritte in Europa ist zu erwarten, dass Erdogans Rhetorik in Ankara in den kommenden Wochen wieder schärfen werden dürfte: Kritik am Westen gehört zu seiner bewährten Wahlkampfmunition.
Erdogan hatte das Nein der Deutschen und anderer Europäer zu Kampagnen-Besuchen türkischer Regierungspolitiker vor dem Verfassungsreferendum in der Türkei im vergangenen Jahr unter anderem mit Nazi-Vergleichen quittiert. In den Niederlanden sorgte ein von der Polizei unterbundener Besuch der türkischen Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya für einen Eklat. Auch andere EU-Staaten verboten Auftritte türkischer Politiker. Im deutschen Bundestagswahlkampf im Herbst rief Erdogan dann die türkischstämmigen Deutschen zum Boykott von Union, SPD und Grünen auf, weil diese Parteien „Feinde der Türkei“ seien.
Deutschland hat nach dem Streit des vergangenen Jahres alle Wahlkampfaustritte ausländischer Amtsträger in der Bundesrepublik drei Monate vor dem jeweiligen Wahltag verboten – die Frage ist nun, ob türkische Politiker trotzdem versuchen wollen, direkten Kontakt zu ihren Wählern zu suchen.
In Europa leben etwa 2,5 Millionen türkische Wähler, die Hälfte davon in Deutschland. Sie können über mehrere Wochen hinweg ihre Stimmen in diplomatischen Vertretungen ihres Landes abgeben; die Stimmzettel werden anschließend zur Auszählung in die Türkei geflogen. Wann die Stimmabgabe vor den Wahlen am 24. Juni starten soll, steht noch nicht fest. Beim Verfassungsreferendum öffneten die Wahllokale für Auslandstürken drei Wochen vor dem Wahltermin; sollte dies diesmal wieder so sein, würde die Stimmabgabe am 3. Juni beginnen.
Auslandstürken wichtig für Erdogan
Erdogan ist bei den Auslandswählern beliebter als in der Türkei selbst. Beim Verfassungsreferendum kam er bei ihnen auf fast 60 Prozent Zustimmung für seinen Plan eines Präsidialsystems mit weitreichenden Vollmachten für ihn selbst – beim Gesamtergebnis waren es lediglich 51 Prozent.
Allerdings ging nicht einmal jeder zweite Auslandstürke zur Urne. Bei der Parlamentswahl vom November 2015 schaffte Erdogans AKP bei den Türken in Deutschland ebenfalls knapp 60 Prozent, während sie insgesamt unter 50 Prozent blieb. Auch bei dieser Wahl war die Beteiligung der Auslandswähler mit 41 Prozent weniger als halb so hoch wie in der Türkei.
Obwohl die Auslandstürken angesichts einer Gesamtwählerschaft von 55 Millionen Menschen nur eine kleine Gruppe bilden, sind sie für türkische Politiker durchaus interessant. Insbesondere bei der Präsidentschaftswahl im Juni, bei der Erdogan für einen Erfolg im ersten Wahlgang mindestens 50 Prozent braucht, könnte es ein knappes Ergebnis geben. Das gilt insbesondere für den Fall, dass Ex-Präsident Abdullah Gül gegen Erdogan antritt. Gül äußerte sich am Freitag jedoch nicht zu einer möglichen Kandidatur.
Ob der Kampf um Stimmen auch in Europa stattfinden soll, dürfte schon in den kommenden Tagen klar werden. Die AKP erklärte am Freitag auf Anfrage des Tagesspiegels, die Wahlkampfplanung solle am Montag abgeschlossen sein. Bei der HDP soll der Plan bis zu diesem Sonntag stehen. Die CHP äußerte sich zunähst nicht dazu, wann die Entscheidung über eventuelle Auslandskundgebungen fallen soll.
Türkei wird Ton gegenüber dem Westen verschärfen
Unabhängig von der Frage türkischer Wahlkampfkundgebungen in der EU ist zu erwarten, dass die türkische Regierung mit Blick auf nationalistische Wähler ihren Ton gegenüber dem Westen wieder verschärft. Auch die jüngsten Spannungen mit Griechenland wegen ungeklärter Hoheitsansprüche in der Ägäis seien zum Teil auf die türkische Innenpolitik zurückzuführen, sagt Gönül Tol, Direktorin des Zentrums für Türkei-Studien am Middle East Institute in Washington.
Athen klagt über eine zunehmende Zahl von Verletzungen des griechischen Hoheitsgebietes durch türkische Kampfjets in der Ägäis. Vor einigen Tagen sollen türkische Jets laut griechischen Presseberichten sogar den Hubschrauber des griechischen Premier Alexis Tsipras bedrängt haben.
Erdogan spiele die nationalistische Karte, weil dies ein Thema sei, bei dem sich die meisten Türken einig seien, sagt Tol unserer Zeitung. „Wir werden noch mehr von dieser scharfen Rhetorik hören“, sagte sie. Die seit Monaten beschworene Wiederannäherung zwischen der Türkei und dem Westen muss zumindest bis zum Wahltag im Juni warten.