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Eine Demonstration für Pressefreiheit vor einem Gericht in Istanbul.
© AFP/Ozan Kose

Pressefreiheit: Der türkische Staat will keine Kontrolle durch Medien

Die Türkei hat nicht erst seit der aktuellen Regierung ein Problem mit der Meinungsfreiheit. Sogar Erdogan selbst saß wegen Volksverhetzung im Gefängnis.

Vom „Schatten der Diktatur“ und vom „Sultanat“ schrieb die türkische Journalistik-Studentin Berivan Bila in einem Aufruf an ihre Kommilitonen. Sie forderte einen aufrechten Journalismus in der Türkei. Die Überschrift lautete: „Erste Lektion des Journalismus: Journalismus ist kein Verbrechen.“ Das sahen die Behörden offenbar anders: Im Dezember klopfte die Polizei am frühen Morgen an Bilas Tür in Trabzon im Nordosten der Türkei. Die Beamten beschlagnahmten ihren Computer, ihr Handy, Zeitschriften und Bücher und führten die junge Frau ab.

Die Staatsanwaltschaft wertete Bilas Beitrag, den sie in sozialen Medien veröffentlicht hatte, als Beleidigung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Sie ist inzwischen wieder auf freiem Fuß, doch das Verfahren gegen sie läuft weiter.

Bilas Schicksal ist kein Einzelfall. Allein im Jahr 2017 eröffnete die Justiz nach einer Zählung des Jura-Professors Yaman Akdeniz mehr als 20.000 Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Erdogan-Beleidigung, in über 6000 Fällen wurde ein Strafverfahren eingeleitet.

Der Staatspräsident selbst teilt unterdessen kräftig gegen Journalisten aus – und animiert die Justiz damit zusätzlich, gegen Regierungskritiker vorzugehen. So wird gegen den bekannten Fernsehmoderator Fatih Portakal ermittelt, weil er Erdogan unangenehm auffiel: Portakal hatte die Frage gestellt, ob in der Türkei noch friedliche Protestdemonstrationen möglich seien. „Die Justiz wird ihm die angemessene Antwort geben“, lautete die Reaktion des Präsidenten. Wenn Portakal so weitermache, werde ihm die Nation „den Hintern versohlen“.

Absurde Anschuldigungen gegen Journalisten sind an der Tagesordnung. Vor wenigen Wochen bestätigte ein Berufungsgericht lange Haftstrafen für Journalisten der Zeitung „Cumhuriyet“. Sie sollen laut der Justiz gleich mehrere Terrororganisationen unterstützt haben, und zwar islamistische sowie linke und kurdische Gruppen. Der Schriftsteller und frühere Chefredakteur der Enthüllungszeitung „Taraf“, Ahmet Altan, wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er bei einem Auftritt in einer Talkshow „unterschwellige“ Botschaften an die Organisatoren des Putschversuches von 2016 geschickt habe. Nach einer Zählung des Journalistenverbandes TGC sitzen derzeit 135 Journalisten und Medienmitarbeiter hinter Gittern. Auf dem Pressefreiheits-Index von Reporter Ohne Grenzen steht die Türkei auf 157. Stelle – von 180 Staaten. Kritik und Appelle aus der EU perlen an den Politikern in Ankara ab.

Diese deprimierende Bilanz nur der Regierung Erdogan zuzuschreiben, greift zu kurz. Der türkische Staat hat schon seit jeher seine Probleme mit der Rolle einer unabhängigen Presse innerhalb westlicher Normen der Meinungsfreiheit. Erdogan selbst landete als Istanbuler Oberbürgermeister in den 1990er Jahren für einige Monate im Gefängnis, weil er in einer Rede ein Gedicht zitierte, in dem es unter anderem hieß, die Moscheen seien die „Kasernen“ der Gläubigen. Die Justiz erkannte darin Volksverhetzung.

Journalisten und Vertretern der Zivilgesellschaft erging es in diesen Zeiten nicht anders. Im Jahr 1998 musste der bekannte Menschenrechtler Akin Birdal ins Gefängnis, weil er eine friedliche Lösung des Kurdenkonflikts gefordert hatte. Als „Gedankenverbrechen“ wurden damals unbotmäßige Meinungsäußerungen gewertet. Es gebe drei Konstanten im Leben eines türkischen Mannes, lautete damals der bittere Scherz eines Journalisten, der wegen eines Artikels über den Kurdenkonflikt ebenfalls in Gefängnis kam: Beschneidung, Wehrdienst, Knast.

Die Justiz beschützt den Staat und nicht die Bürger

Schon lange vor der Ära Erdogan verstanden sich viele Richter und Staatsanwälte in der Türkei vor allem als Beschützer des Staates vor angeblichen Angriffen seiner Bürger – und nicht als Garanten der Rechte dieser Bürger. Eine Rolle der Medien als vierte Gewalt und Kontrollinstanz fehlt im traditionellen Staatsverständnis der Türkei. Erdogan trat Anfang des vergangenen Jahrzehnts zwar als Reformer an, übernahm im Laufe der Jahre aber immer mehr die obrigkeitsstaatlichen Grundzüge des Staates.

Die Regierungspartei AKP als islamistische Gefahr zu verteufeln, gehe an der Realität vorbei, schrieb der Autor Mustafa Akyol deshalb bereits im Jahr 2012: Das Problem mit der AKP sei nicht, dass sie zu islamistisch sei – sondern dass sie „zu türkisch“ sei. Akyol sah in Erdogans Politik die klassische politische Kultur des türkischen Staates am Werk: „ein allmächtiger Chef, ein Hang zu Verschwörungstheorien, eine Besessenheit mit dem Begriff der ‚Ehre‘, die die Meinungsfreiheit einschränkt, und eine Vorstellung von ‚Terrorismus‘, die sogar Gedanken unter Strafe stellt.“

Auch andere Kritiker des Staates sehen diese Gefahren. „Natürlich ist Recep Tayyip Erdogan nicht das Grundproblem der Türkei“, sagte die Anwältin und Menschenrechtlerin Eren Keskin kürzlich unserer Zeitung. „Ich finde es nicht richtig, nur gegen Erdogan zu opponieren, denn darüber wird die militaristische und autoritäre Struktur der Türkischen Republik vergessen.“ Gegen Keskin laufen rund 140 Strafverfahren.

Diese autoritären Strukturen sind auch deshalb so tief verankert, weil sie von vielen Türken mitgetragen werden. Erdogans Ein-Mann-Präsidialsystem verspricht ein klares Durchregieren von oben nach unten. Seit der Zeit von Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk vor fast hundert Jahren ist der starke Mann an der Spitze ein fester Bestandteil der politischen Kultur der modernen Türkei. Erdogan ist in diesem Verständnis der Landesvater, der das Beste für sein Volk will, zum Wohle des Staates aber hin und wieder streng werden muss und der gegen Feinde des Staates entschieden vorgeht.

Medien sind an einflussreiche Unternehmen angeschlossen

Wie hart diese Weltsicht unabhängige Journalisten treffen kann, zeigt das Schicksal von Ahmet Sik. Der heute 49-jährige Parlamentsabgeordnete arbeitete vor seiner politischen Karriere als Investigativreporter und recherchierte zur engen Zusammenarbeit von Erdogans AKP und der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen. Als Sik im Jahr 2011 ein Buch über die Unterwanderung der türkischen Sicherheitsbehörden durch die Gülen-Leute schrieb, wurde er festgenommen.

Nachdem Erdogan und Gülen zwei Jahre später miteinander brachen, kam Sik erneut vor Gericht. Zusammen mit anderen Journalisten wurde er, der 2011 noch als Gülen-Gegner hinter Gitter gekommen war, nun wegen angeblicher Unterstützung für Gülen verurteilt.

Noch eine weitere Tradition hat Erdogan von seinen Vorgängern der vergangenen Jahrzehnte übernommen: eine für die Meinungsvielfalt unheilvolle Zusammenarbeit zwischen der Regierung und Unternehmen mit angeschlossenen Medienhäusern. Mehrere türkische Konglomerate, die sich in der Bauindustrie oder im Energiesektor engagieren, halten sich Zeitungen oder Fernsehsender – oft aus politischen Gründen.

Erdogan hat auch diese Entwicklung auf die Spitze getrieben. Mehrere regierungsnahe Mischkonzerne haben in den vergangenen Jahren millionenschwere Staatsaufträge für sich an Land gezogen, während die Medien dieser Konzerne die Regierung bejubelten.

Die Regierung in Ankara gefährde den Pluralismus in der Medienlandschaft nicht nur durch das Verbot von Zeitungen oder Sendern, kritisiert Reporter Ohne Grenzen. Die „wirtschaftliche Hebelkraft“ durch die enge Verbindung zu Erdogan-treuen Firmen und Unternehmen erlaube „fast vollständige Kontrolle der Massenmedien“.

Erdogan nennt Journalisten „Agenten“

Bei den öffentlichen Medien sieht es ähnlich aus. Der Staatssender TRT und die Nachrichtenagentur Anadolu sind zwar nominell überparteilich, in Wirklichkeit aber Sprachrohre der Regierung. Im Wahlkampf vor der Präsidentenwahl im vergangenen Jahr berichtete TRT insgesamt 181 Stunden lang über Erdogan. Dessen linksnationalistischer Gegenkandidat Muharrem Ince erhielt 15 Stunden, dem kurdischen Bewerber Selahattin Demirtas wurden 32 Minuten zugestanden.

Erdogans Regierung sieht in all diesen Entwicklungen kein Problem. Die Inhaftierung von Journalisten wird mit dem Hinweis beantwortet, die Reporter säßen nicht wegen ihrer journalistischen Arbeit im Gefängnis, sondern wegen Vergehen wie der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.

In dieser Argumentation werden die Grenzen der Meinungsfreiheit so eng gezogen, dass Kritik an der Regierung in die Nähe von Hochverrat gerückt wird. Der nach Berlin geflohene Journalist Can Dündar etwa kam in der Türkei vor Gericht, weil er als Chefredakteur von „Cumhuriyet“ über mutmaßliche Waffenlieferungen der Türkei an syrische Rebellen berichtete. Erdogan nennt Dündar einen „Agenten“.

Die Wortwahl zeigt, dass sich die Regierung selbst als Opfer von Angriffen und Ränkespielen fremder Mächte sieht. Erdogan und seine Berater agieren aus der Überzeugung heraus, diese angeblichen Verschwörungen abwehren, den Platz einer „neuen Türkei“ auf der Weltbühne erkämpfen und besonders dem Westen eine Lehre erteilen zu müssen. Das ist der ideologische Hintergrund für den aktuellen Versuch Ankaras, deutsche Medien zur Entsendung von Türkei-Korrespondenten zu bewegen, die Ankara besser ins Konzept passen.

Der Zorn der Regierung gegen ausländische Medien

Schon seit einigen Jahren richtet sich der Zorn der Regierung gegen ausländische Medien und deren Vertreter. Der deutsch-türkische „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel verbrachte ein Jahr in Untersuchungshaft, bevor er auf Druck der Bundesregierung freigelassen wurde. Mehrere andere Reporter mussten das Land verlassen oder wurden abgeschoben. Der Entzug der Arbeitsgenehmigungen für den Tagesspiegel-Journalisten Thomas Seibert, den ZDF-Korrespondenten Jörg Brase und den NDR-Fernsehjournalisten Halil Gülbeyaz ist das jüngste Beispiel.

Wegen des Rauswurfs für die Journalisten verschärfte das Auswärtige Amt in Berlin am Wochenende seine Reisehinweise für die Türkei. Es könne nicht ausgeschlossen werden, „dass die türkische Regierung weitere Maßnahmen gegen Vertreter deutscher Medien sowie zivilgesellschaftlicher Einrichtungen ergreift“, warnt das Ministerium. „Äußerungen, die nach deutschem Rechtsverständnis von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, können in der Türkei zu berufsbeschränkenden Maßnahmen und Strafverfahren führen.“

Bei Seibert, Brase und Gülbeyaz blieb das türkische Informationsamt trotz aller Proteste bei seiner Entscheidung. Das derzeitige Vorgehen der Regierung gegen in- und ausländische Medienvertreter lediglich im Zusammenhang mit den Kommunalwahlen am 31. März zu sehen, sei naiv, sagt ein prominenter türkischer Akademiker, der bereits seit Jahren im Exil lebt. „Nach den Wahlen wird der Druck noch zunehmen.“

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