zum Hauptinhalt
Das erste Mal in großer Runde: Die Teilnehmer Deutschen Islam Konferenz 2006.
© Wolfgang Kumm/dpa

Deutsche Islamkonferenz: "Der Staat muss auch Wertediskussionen führen"

Vor zehn Jahre tagte erstmal die Deutsche Islamkonferenz. Was hat sie gebracht? Ein Gespräch mit Markus Kerber über Religion, staatliche Verantwortung und Sicherheit.

Herr Kerber, Sie waren in der Anfangsphase der DIK als Leiter der Grundsatzabteilung im Innenministerium der Mann hinter der DIK. Was hat sich seither geändert?

Für Wolfgang Schäuble war sie ein Lieblingsprojekt, das er ins Herz geschlossen hatte. Er ließ sich wöchentlich darüber unterrichten, er gab Input, er hatte klare Vorstellungen. Anders wäre die Sache auch nichts geworden, der Zug musste von der Spitze des Hauses kommen. Später wurde die Islamkonferenz nur noch administriert. Das soll kein Vorwurf an Schäubles Nachfolger sein, die hatten einfach andere Steckenpferde.

Aber gerade jetzt bringt die DIK doch relativ geräuschlos Einiges auf den Weg, es geht um islamische Wohlfahrtspflege, ein Riesenfeld und auch ein lukrativer Markt, in den der Islam kommen kann. Da bewegt sich doch etwas.

Nicht in meiner Wahrnehmung. Ich war in der Migrationskrise seit letztem Jahr erstaunt, was die deutsche Politik alles noch als Entdeckung pries, zum Beispiel dass religiöse Identitäten Integration erschweren kann.. Oder dass die DITIB  dem türkischen Staat unterstellt sei– als wäre das Thema Islam nicht jahrelang öffentlich diskutiert worden, als hätte man gar nichts gelernt. Und die Ansätze zur Integration des Islams in den ja eigentlich zuständigen Ländern gab und gibt es, aber es fehlt der inhaltliche Antrieb. Muslimische Religionsgemeinschaften als Körperschaften öffentlichen Rechts anzuerkennen, das können nur die Länder. Aber nach meiner Erfahrungen brauchen die auch bei Kernaufgaben oft Schub vom Bund. Ich weiß nicht, ob da aus Berlin genug kam.

Das Projekt einer muslimischen Caritas…

...ist ein praktischer Schritt, aber es fehlt die Auseinandersetzung mit dem Islam, politisch und theologisch. Das lässt sich über Wohlfahrt nicht machen.

Meinen Sie ernsthaft, Theologie sei Aufgabe von Politik?

Als Hüter der Religionsfreiheit und des Religionsverfassungsrechts muss der Staat seine Aufgabe erfüllen und auch Wertediskussionen führen.

In den Wertediskussionen hat sich die DIK von Anfang an verhakt. Wollen Sie dahin zurück?

Politik ist mit Max Weber das Bohren dicker Bretter. Das kann auch dreißig Jahre dauern, warum nicht. 

Und die Debatte sollte mit den Muslimen geführt werden? Wer AfD-Leuten zuhört, auch solchen mit hohen Bildungsabschlüssen, hat inzwischen häufiger das Gefühl, dass sie nicht aufgepasst haben, als es in der Schule um Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaat ging.

Die AfD zeigt doch gerade, welche Werteverunsicherung es gibt. Da ist der Staat in der Verantwortung. Wir brauchen dringend an etlichen Ecken in Deutschland ein Verständnis dafür, was eine offene, auch religiös offene Gesellschaft ist. Dabei muss man den AfD-Leuten sagen, was nicht geht, und einigen Muslimen auch.

Eine Wertedebatte von oben?

Ich würde nicht von oben sprechen, das ist nicht mehr das Verhältnis von Staat und Bürgern. Ich würde eher sagen, dafür brauchen wir eine Bühne – wie die DIK sie war und noch sein könnte -, auf der öffentlich Streit ausgetragen und eine Debatte auch einmal inszeniert wird. Wenn die politische Mitte da kneift, führen die Ränder diese Debatte. Natürlich könnten die Parteien das übernehmen. Aber ernstzunehmende Wertedebatten gibt es doch weder in der Union noch in der SPD. Da wird alles auf die Sozialmechanik der Integrationspolitik verengt: Lass die Leute Deutsch lernen, aufs B 1-Niveau kommen, dann werden sie hier Mechatroniker und alles ist gut. Einmal ganz abgesehen davon, dass nicht alle, die jetzt zu uns kommen, so rasch werden Deutsch lernen können. Wie schnell würde ich Arabisch lernen? Und vielleicht wollen sich gar nicht alle integrieren. Was ihr gutes Recht ist. Sie kommen aus der Hölle, haben sich hier in Sicherheit gebracht und hoffen womöglich auf Rückkehr. Da rate ich dringend zur Mäßigung, was die Integrationsforderungen angeht. Die Islamkonferenz richtete sich aber eben immer auch die Millionen von deutschen Muslimen, die schon lange hier leben. Die im vergangenen Jahr zu uns geflüchteten Menschen aus islamischen Länder unterstreichen die Wichtigkeit der DIK umso mehr.

Markus Kerber leitete 2006 bis 2009 die Grundsatzabteilung des Bundesinnenministeriums. Heute ist der Volkswirt Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie.
Markus Kerber leitete 2006 bis 2009 die Grundsatzabteilung des Bundesinnenministeriums. Heute ist der Volkswirt Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie.
© Bernd von Jutrczenka/dpa

Nicht nur in der Wertedebatte steckte die DIK am Anfang oft fest. Die Muslime ärgerten sich auch, weil das Ministerium Terror und Sicherheitsfragen dort verhandelte. War es ein Fehler, das so offensiv auf die Agenda zu setzen, also immer wieder Islam als Bedrohung zu präsentieren?

Ich hätte es dringelassen. Einfach, weil es islamistisch begründeten Terror gibt und die Mehrheitsbevölkerung den Populisten auf den Leim geht, wenn das ausgeklammert wird. Und auch die Muslime muss man zwingen, sich damit auseinanderzusetzen, dass es Terror unter Berufung auf ihren Glauben gibt. Da reicht es nicht, sich darauf zurückzuziehen, auch Muslime seien Opfer islamistischen Attentate.

Ihre Bilanz der DIK klingt alles in allem pessimistisch.

Ganz und gar nicht. Man hätte einfach mehr daraus machen können. Die DIK hatte für Wolfgang Schäuble immer zwei Aspekte: Sie sollte Verständnis für die Muslime wecken und sie und die Mechanik der deutschen Gesellschaft aufeinander einstellen. Zweitens hätte das deutsche Religionsverfassungsrecht ein Vorbild im Ausland werden können, wie unterschiedlichste Konfessionen friedlich miteinander auskommen. Als Land der Reformation und der religiösen Bruderkriege haben wir das schließlich in unserer DNA. Aber dieser mögliche Exportschlager wurde nach 2009 nicht mehr beworben. Bis dahin war das Auswärtige Amt sehr interessiert.

Aber Erfolge der DIK gab es?

Absolut. Völlig unbemerkt von der deutschen Mehrheit werden die deutschen Muslime seither wahr- und ernstgenommen, die Politik setzt sich mit ihnen auseinander. Und sie haben das sehr wohl bemerkt. Ich halte das immer noch für einen der Gründe, warum es in Deutschland keinen großen Anschlag von „homegrown“ Attentätern gab. Es sollte aber noch mehr von „unseren Muslimen“ gesprochen werden. Die Kanzlerin hat es schon zweimal gemacht, einmal davon im Gespräch mit Erdogan. Das war gut.

Sie sprachen die Migrationskrise an. Hat der Miterfinder der DIK einen Tipp?

Die Leute, die jetzt kommen, empfinden zum großen Teil die Institution  Staat, die wir als Wächter unserer Freiheitsrechte sehen, als unterdrückerisch und korrupt. Man vertraut der Religion und ihren Institutionen mehr – die zu uns gekommenen Menschen müssen den deutschen Staat und sein Religionsverfassungsrecht im Alltag erst noch kennenlernen. Und das mit imperfekten Strukturen und einer vor allem von türkischen Vorbildern geprägten muslimischen Organisationsform, die von den aus dem arabischen und afghanischen Raum kommenden Muslimen als fremd wahrgenommen werden dürfte. Es wird ein langer und schwieriger Weg werden. Die DIK fängt jetzt erst richtig an.

Zur Startseite