Staat und Islam: Anfang für muslimischen Wohlfahrtsverband ist gemacht
Seit einem Jahr hat die Deutsche Islamkonferenz zwei konkrete Aufgaben: Sie soll muslimische Wohlfahrtspflege und Seelsorge beim Staat möglich machen. Teil eins scheint jetzt geschafft.
Die Deutsche Islamkonferenz hat die Weichen für den ersten muslimischen Wohlfahrtsverband gestellt. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) erklärte am Dienstag, "fast alle" muslimischen Verbände hätten sich in einer Arbeitsgruppe zusammengeschlossen, die die "Keimzelle" eines solchen Verbands werden könne. Um die Details zu klären, gehe das Projekt ab Januar an die zuständigen Minister für Gesundheit, Familie und Soziales und an die Beauftragte der Bundesregierung für Migration und Integration. Für die Islamkonferenz (DIK) sei es abgeschlossen, im Haushalt 2016 soll das Projekt erstmals berücksichtig werden.
Eine muslimische Caritas
Nach Jahren des Streits um Wertvorstellungen und die Rolle der DIK in Antiterror- und Sicherheitspolitik hatte de Maizière ihr im Frühjahr letzten Jahres zwei konkrete Aufgaben gestellt, nämlich die Entwicklung einer "muslimischen Caritas" und die Integration muslimischer Geistlicher überall dort, wo auch christliche Pfarrer in staatlichen Einrichtungen als Seelsorger tätig sind, bei der Bundeswehr etwa. Die Seelsorge soll die Konferenz im neuen Jahr angehen. Maizière und Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) lobten die strategische Bedeutung, die die Entwicklung muslimischer Wohlfahrtspflege "für unser Land und den Zusammenhalt in Deutschland" habe. Die beiden christlichen Verbände Caritas und Diakonie mit ihrer etwa einen Million hauptamtlichen Mitarbeiterinnen sind neben religiös neutralen Verbänden wie dem Paritätischen die wesentlichen Träger von sozialer Arbeit und in vielen Teilen Deutschlands die größten Arbeitgeber; ihre Tätigkeit in Gesundheitswesen und Fürsorge wird zu 90 Prozent vom Staat finanziert.
Auch die alten Verbände sollen sich öffnen
Erika Theißen, Geschäftsführerin des Begegnungs- und Fortbildungszentrums muslimischer Frauen in Köln, betonte, muslimische Wohlfahrt müsse nicht erst erfunden werden, es gebe sie längst. "Neu ist aber, dass dieses Engagement gesehen, anerkannt und gefördert wird." Man sei dem Innenminister sehr dankbar, "dass die Islamkonferenz unter ihm dieses neue Kapitel aufgeschlagen hat". Zekeriya Altug von der türkisch-islamischen Ditib ergänzte, auch wenn Muslime siet langem Teil der deutschen Gesellschaft seien, bedeute eine staatlich unterstützte muslimische Wohlfahrtspflege für sei weitere "Beheimatung". Es werde ihrer Teilhabe und dem Zusammenwachsen mit Deutschland dienen, wenn sie sich künftig nicht nur als Empfänger von sozialen Dienstleistungen sähen, sondern auch als deren Anbieter - nicht nur für Glaubensbrüder und -schwestern, sondern für alle, die sie brauchten. Auch die beiden Minister betonten, dass der zu gründende Verband "nicht exklusiv, sondern inklusiv" (Maizière) arbeiten müsse und Angehörigen aller Religionen und Weltanschauungen offen stehen werde.
Brückenbauer für Flüchtlinge
Theißen sieht die bestehende muslimische Sozialarbeit dafür ebenso gut vorbereitet wie die Gemeinden. "Die Muslime in Deutschland sind insgesamt sehr multikulturell aufgestellt", arabische oder türkische Herkunft nicht mehr das wichtigste Kriterium dort. Es gebe Konvertierte wie sie selbst, und die jüngere Generation sei längst "eher deutsch als türkisch". Mehr interkulturelle Öffnung sei aber auch Aufgabe der bestehenden Wohlfahrtsverbände, betonte Schwesig. Es brauche nicht nur einen neuen muslimischen Verband, sondern auch sie müssten "sich für Muslime stärker öffnen", wofür es bereits gute Beispiele gebe.
Eine wichtige Aufgabe sehen die in der DIK Engagierten für muslimische Wohlfahrtspflege auch in der Versorgung der Flüchtlinge und als deren Anlaufstelle. Man brauche sie für die Neuankömmlinge, die zu etwa 70 Prozent Muslime seien, "als Brückenbauer", sagte der Innenminister. Reinhard Sager, der Präsident des Deutschen Landkreistages, betonte ihre Rolle in der Zukunft. Aktuell beherrschten die unmittelbaren Bedürfnisse und Probleme der Flüchtlinge die Debatte, etwa der nötige Wohnraum. Die eigentliche "Herkulesaufgabe" komme noch, ihre Integration.