Ungarns Regierungschef Orban bei Merkel: Der schwierige Gast
Ungarns Premier Orban hebt plötzlich die „positive Agenda“ in den Beziehungen zu Deutschland hervor - und zeigt sich „dankbar“ für das Treffen mit Merkel.
Auf eine gemeinsame Pressekonferenz verzichteten die Kanzlerin und ihr Gast dieses Mal. Bei seinem letzten Besuch vor anderthalb Jahren hatten sich der ungarische Regierungschef Viktor Orban und Angela Merkel einen Schlagabtausch über die Flüchtlingspolitik geliefert, der im Grundsätzlichen endete: Die Kanzlerin wählte die für ihre Verhältnisse vergleichsweise pathetische Formulierung, die Seele Europas sei die Humanität.
Als Orban am Montag nach Berlin kam, traten die beiden Regierungschefs vor ihrem Gespräch nur kurz vor die Kameras. So blieb es ihnen erspart, im Anschluss über die Themen zu sprechen, bei denen sie nicht einig werden konnten.
Sie würden sicher auch über Migrationsfragen reden, kündigte Merkel an. „Da gibt es Gemeinsamkeiten und Unterschiede.“ Doch statt in diesem Punkt deutlicher zu werden, sprach die Kanzlerin lieber über die „enge Verquickung“ der beiden Volkswirtschaften und die guten Handelskontakte. Auch Orban lobte die Handelsbilanz – und die „positive Agenda“, auf die er sich mit Merkel verständigt habe. „Ich bin dankbar für das heutige Treffen.“
Orban war wohl auch deshalb nach Berlin gereist, um über die Zukunft seiner Partei Fidesz in der Europäischen Volkspartei (EVP) zu reden. Diese hatte die Mitgliedschaft der ungarischen Regierungspartei im vergangenen Jahr ausgesetzt, nachdem die Fidesz eine aggressive Kampagne gegen die EU gefahren hatte. Vor einer Woche verständigte sich der EVP-Vorstand darauf, die Suspendierung fortzusetzen. Weder für einen Ausschluss noch für eine Rückkehr in die EVP hätte es eine Mehrheit geben können, heißt es in Teilnehmerkreisen. Auch eine von der Volkspartei vor einem Jahr eingesetzte Kommission aus drei europäischen Ex-Politikern konnte sich nicht auf eine gemeinsame Haltung verständigen.
Das Europäische Parlament hatte im Januar festgestellt, dass sich der Zustand der Demokratie in Ungarn nach der Einleitung eines EU-Verfahrens gegen das Mitgliedsland sogar noch verschlechtert habe. Auch eine Mehrheit der EVP-Abgeordneten hatte diesem Entschließungsantrag zugestimmt. So könne es nicht weitergehen, betonte Orban einen Tag später im staatlichen ungarischen Radio. „Wenn die EVP nicht für Ungarn einsteht, werden wir eine neue christlich-demokratische europäische Bewegung starten müssen.“ Seine Partei sei ganz knapp davor gewesen, die EVP zu verlassen. Nur die Unterstützung aus Frankreich, Spanien und Italien habe ihn zum Bleiben bewogen, betonte der nationalkonservative Regierungschef.
Ungarns Führung will gute Kontakte zu Union und ÖVP
In EVP-Kreisen heißt es allerdings, viel wichtiger als die Mitgliedschaft in der europäischen Parteienfamilie sei es für die ungarische Führung, gute Beziehungen nicht nur zur ÖVP im Nachbarland Österreich, sondern auch zu CDU und CSU zu pflegen. Letztere waren seit 2015 durch den Streit über die Flüchtlingspolitik schwer belastet. Fidesz-Vertreter hätten jedoch signalisiert, sie würden keinen Kontakt zur AfD suchen, um die Beziehungen zur Union nicht zu gefährden, heißt es in Berlin.
Dass es auch anders geht, zeigen Orbans sonstige internationalen Kontakte: In der vergangenen Woche traf der ungarische Regierungschef in Italien sowohl seinen Amtskollegen Giuseppe Conte als auch den Chef der nationalistischen Lega Nord, Matteo Salvini, und den Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi.
Orban will „Gegenrevolution“ in der EVP
In Rom sprach Orban auch auf einer Konferenz von Nationalisten aus Europa und den USA – und rief einmal mehr das Ende des Liberalismus aus. Nötig sei eine neue Form der Christdemokratie. Auch vor diesem Publikum kritisierte er die EVP scharf. Sie wolle um jeden Preis Teil der EU-Machtstrukturen sein. Zugleich kündigte Orban an, er wolle den Kurs der EVP durch eine „Gegenrevolution“ ändern.
Dass es Orban nicht primär um den Verbleib seiner Partei, sondern einen grundlegenden Richtungswechsel der europäischen Parteienfamilie geht, wird längst auch innerhalb der EVP befürchtet. Deren Präsident Donald Tusk plant nun im Frühjahr 2021 einen Kongress, auf dem sich die EVP mit ihren Werten auseinandersetzen und eine politische Vision für die Zukunft entwickeln soll.
Auf die europäische Kritik an Demokratie-Defiziten in Ungarn gingen Merkel und Orban am Montag in Berlin mit keinem Wort ein. Beide wollten allerdings bei ihrem Treffen über die derzeit noch strittige EU-Finanzplanung reden, die auch Thema eines EU-Sondergipfels in der kommenden Woche ist. Die Kanzlerin erinnerte in diesem Zusammenhang wie nebenbei daran, dass Deutschland Nettozahler sei, Ungarn von der EU aber Mittel empfange.