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Rettungsassistent Joachim Gerhardy von der Johanniter-Unfall-Hilfe bereitet im früheren Regenwald-Panorama am Erlebnis-Zoo Hannover eine Impfung gegen das Corona-Virus mit dem Impfstoff Comirnaty von Biontech vor. Am Zoo gibt es ein neues Impfangebot, welches sich dann zukünftig vor allem auch an Kinder richten soll.
© Julian Stratenschulte/dpa

Corona, Impfungen und Präsenzpflicht: Der Schutz der Kinder und ein gefährliches Scheinargument

Kinder dürfen nie Mittel zum Zweck sein? In der Corona-Krise sind sie das leider schon lange. Ein Kommentar zur Debatte um eine Kinder-Impfpflicht.

Ein Kommentar von Karin Christmann

Die Diskussion um eine allgemeine Impfpflicht für Erwachsene ist noch nicht beendet, da schlägt der Södograf, zuverlässiges Vorhersageinstrument aller Corona-Debatten-Erdbeben, schon wieder aus: Der Ministerpräsident Bayerns hält eine Impfpflicht für Kinder ab zwölf Jahren für erwägenswert. Damit dürfte er einen Treffer im oberen Bereich der Richterskala landen – auch wenn er nicht der erste ist, der das Thema auf die Agenda setzt.

Insbesondere ein Argument wird in den kommenden Wochen vermutlich oft zu hören sein: Kinder dürfen niemals Mittel zum Zweck sein, schon gar nicht, um impfunwillige Erwachsene gegen deren erklärte Absicht vor sich selbst zu schützen. Wer wollte da widersprechen? Und doch ist es bei weitem komplizierter, als diese griffige Formel vermuten lässt.

Da wäre zunächst, um die Debatten-Grundlage zurechtzurücken, die nüchterne Beobachtung, dass die Politik in der Corona-Krise Kinder durchaus als Mittel zum Zweck instrumentalisiert. Beispielsweise beim Thema Präsenzpflicht. Sie gilt trotz sehr hoher Inzidenzen in vielen Bundesländern.

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Begründet wird das oft mit dem Verweis auf Kinder, denen zu Hause Gewalt oder Vernachlässigung droht. Auch da gilt: Wer wollte widersprechen? Natürlich müssen diese geschützt werden. Und doch degradiert die Argumentation andere zum Mittel zum Zweck, nämlich jene Kinder, die zu Hause gut aufgehoben wären und deren Eltern es tatsächlich darum geht, eine Infektion zu vermeiden.

Bald sind Kinder-Impfstoffe verfügbar, in ein paar Wochen kann die Zweitimpfung ihre Wirkung entfaltet haben. Auf ein Schülerleben gerechnet sind ein paar Wochen nichts.

[Lesen Sie bei Tagesspiegel Plus: Steigende Corona-Inzidenz an Schulen - Wieso Eltern ihre Kinder jetzt lieber zu Hause unterrichten]

Es wäre in der Tat falsch, Kinder als Mittel zum Zweck einzusetzen – aber nicht jede Schulsenatorin und nicht jeder Kultusminister sollte nach allem, was war, für sich noch das Recht in Anspruch nehmen, sich darauf zu berufen.

In der anstehenden Debatte um eine Kinder-Impfpflicht hat die Mittel-zum-Zweck-Überlegung darüber hinaus das Potential, zum Totschlagargument zu werden. Das aber wäre gerade nicht im Interesse der Kinder. Die wissenschaftliche Evidenz für den Nutzen der Kinderimpfung ist sehr hoch. Gründlich zu diskutieren ist nun, ob sie so schwer wiegt, dass die Entscheidung Eltern aus der Hand genommen werden sollte.

[Lesen Sie bei Tagesspiegel Plus ein Interview mit einem Off-Label-Impfarzt: Ema-Empfehlung ab 5 Jahren - „Es kann noch lange nicht geimpft werden“]

Bei der Masernimpfung hat die Politik genau das getan. Im Fall des Coronavirus ist die Ausgangslage der Debatte eine andere, der Nutzen der Impfung ist trotz der Faktenlage gesellschaftlich hoch umstritten. Aufgrund der Infektionszahlen unter Kindern wird die kommende Zeit vielen Menschen den persönlichen Erfahrungshorizont verschaffen, der bisher nicht gegeben war.

Kennt man selbst ein Kind, das mit schwerem Verlauf in die Klinik musste – oder nicht? Eines, das noch Monate nach der Infektion viel schläft und selbst an einfachen Denkaufgaben scheitert – oder nicht? Diese Erfahrungen werden in der Summe die gesellschaftliche Debatte prägen.

Die statistische Datenlage zur Gefährlichkeit des Virus für Kinder wird noch klarer werden, die Omikron-Variante wird womöglich Rahmenbedingungen neu setzen. Nur ein Fehler sollte bitte nicht wiederholt werden: eine Kinderimpfpflicht für alle Zeiten auszuschließen.

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