Nach dem Referendum in Italien: Der Renzi-Rücktritt ist eine schlechte Nachricht für die EU
Italien droht wieder einmal eine Phase politischer Instabilität. Zudem verliert die EU in Renzi einen verlässlichen, pro-europäischen Regierungschef. Ein Gastkommentar.
Das italienische Nein gegen eine Verfassungsreform fiel deutlich aus. Wie angekündigt hat Ministerpräsident Matteo Renzi bereits seine Konsequenzen aus dem Referendum gezogen und seinen Rücktritt erklärt. Dies ist eine schlechte Nachricht für die Europäische Union. Italien droht nun wieder einmal eine Phase politischer Instabilität. Die EU verliert in Renzi einen verlässlichen, pro-europäischen Regierungschef, der sich viel Achtung durch seine Reformagenda verdiente und dem zugetraut wurde, die verkrusteten Strukturen der drittgrößten europäischen Volkswirtschaft aufzubrechen.
Nach dem Brexit-Referendum hinterlässt Renzis Rücktritt zumindest für kurze Zeit ein weiteres Vakuum in der Hierarchie der einflussreichen EU-Mitgliedstaaten. Mit wahrscheinlichen Neuwahlen im kommenden Jahr schließt sich Italien den Niederlanden, Frankreich und Deutschland an – der EU droht damit trotz einer langen Krisenliste Stillstand durch Handlungsunfähigkeit.
Wiedermal zeigt sich, dass die Mitglieder der Eurozone die Risiken politischer und wirtschaftlicher Wechselwirkungen für die Stabilität der gemeinsamen Währung unterschätzen. Nun rächt sich, dass den großen Ankündigungen einer Reformierung der Eurozonenarchitektur in den vergangenen Jahren nur unzureichend Taten gefolgt sind. Weil die Eurozonenmitglieder die Risiken bewusst in Kauf genommen haben, bleibt der gemeinsame Währungsraum bei Finanzmarktturbulenzen nach wie vor anfällig.
Zwar scheinen die Finanzmärkte ein Nein im Verfassungsreferendum bereits antizipiert und damit die Verluste in den vergangenen Wochen eingepreist zu haben; doch die Mischung aus einer schwächelnden Wirtschaft, der zweithöchsten Staatsverschuldung in der EU (133 Prozent des BIP) und einem angeschlagenen Bankensektor birgt auf kurz oder lang große Gefahren für Italien – und auch für die Eurozone. Das Ausmaß der finanzpolitischen Verwerfungen wird auch davon abhängen, wie schnell Italien seine Regierungskrise wird überwinden können.
Übergangsregierung könnte in Zwickmühle geraten
Ein zentrales Problem stellen die italienischen Banken dar, deren faule Kredite sich auf circa 360 Milliarden Euro belaufen. Die größten Probleme hat die drittgrößte Bank Italiens, Monte dei Paschi di Siena, die im vergangenen Sommer bei einem europaweiten Stresstest der EZB durchfiel und die bis zum Jahresende gezwungen ist, bis zu fünf Milliarden Euro per Kapitalerhöhung auf den Finanzmärkten einzunehmen, um die Kapitallücke zu schließen. Sollte dieser Prozess aufgrund der politischen Unsicherheit scheitern, droht die Bank zu kippen und würde damit auch das Vertrauen in andere nationale und europäische Bankinstitute in Italien untergraben. Die Übergangsregierung würde so in eine Zwickmühle geraten: Entweder müsste sie die 60 000 Sparer der Bank an den Kosten der Sanierung beteiligen oder sie müsste die Eurozone um Hilfe bitten. Beide Optionen würden langfristig die populistische Fünf-Sterne-Bewegung begünstigen, da die Regierung in beiden Fällen den Zorn der Bürger auf sich ziehen würde.
Eine italienische Bankenkrise würde die EU vor ein doppeltes Problem stellen: Erstens müssen die europäischen Regierungen ein längst vergessenes und kontrovers diskutiertes Thema zurück auf die Agenda heben. 2017 wird in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland gewählt; es dürfte schwer werden, gerade diese Bevölkerungen davon zu überzeugen, warum es notwendig ist, italienische Banken zu retten. Zweitens würde sich die Frage aufdrängen, ob die Eurozone bei einem solch systemrelevanten Mitglied wie Italien nach wie vor am Instrument der harten Konditionalität festhalten kann.
Etablierte Parteien müssen neues Wahlrecht erarbeiten
Um Handlungsfähigkeit zu gewährleisten, müssen die politischen Kräfte in Italien nun die Lücke schließen, die Renzi hinterlassen wird. Es ist wahrscheinlich, dass Präsident Sergio Mattarella in den nächsten Tagen eine Übergangsregierung ernennt, die die Amtsgeschäfte bis zu vorgezogenen Neuwahlen übernehmen wird.
Bis dahin liegt es an den etablierten Parteien, zusammen ein neues Wahlrecht zu erarbeiten, welches das Mehrheitswahlrecht inklusive eines Bonus für die stärkste Partei in ein Proporzwahlrecht umwandelt. Nur so können sie den unmittelbaren Aufstieg der Fünf-Sterne-Bewegung verhindern, die sich für ein Nein beim Verfassungsreferendum ausgesprochen hatte und offen mit einem Referendum über die Euro-Mitgliedschaft kokettiert.
Schockszenarien, wie sich das italienische Referendum unmittelbar auf die EU auswirken könnte, haben sich zunächst nicht bewahrheitet. Das Nein der Italiener beim Verfassungsreferendum war in erster Linie eine Abstimmung über die Regierungsbilanz Renzis und sollte weder als Nein zum Euro noch als Nein zur EU gewertet werden.
Es bestätigt auch nur bedingt den Trend eines europaweiten Zulaufs für Populisten und Euroskeptiker – zu heterogen waren die Gruppen der Gegner und Befürworter des Referendums. Kurzfristig geht von Italien demnach kein Risiko für die Eurozone und die gesamte EU aus. Der wirkliche Stresstest steht Italien und der EU erst noch bevor – und zwar dann, wenn die politische Instabilität im Land anhält und mittelfristig auf Schocks im italienischen Bankensektor trifft. Die EU sollte vorbereitet sein.
Julian Rappold ist Programmmitarbeiter des Alfred von Oppenheim-Zentrums für Europäische Zukunftsfragen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).
Julian Rappold