Brexit-Verhandlungen: Der Poker ist eröffnet
Der britische Brexit-Minister Davis kommt zu den Verhandlungen nach Brüssel – und reist auch gleich wieder ab.
Der britische Brexit-Minister David Davis blieb am Montag nur kurz in Brüssel. Eigentlich soll es bei der aktuellen Verhandlungsrunde über den Ausstieg Großbritanniens aus der EU ans Eingemachte gehen. Es stehen Themen wie der Status der EU-Bürger in Großbritannien, die Höhe der Austrittsrechnung für London und die künftigen Regelungen für die Grenze zwischen Nordirland und Irland auf der Agenda. Das hielt Davis aber nicht davon ab, sich am Montag schon kurz nach seiner Begegnung mit dem europäischen Chefunterhändler Michel Barnier wieder aus Brüssel zu verabschieden. Wie es hieß, müsse er Termine im Parlament in London wahrnehmen. Beim Abschluss der laufenden Gesprächsrunde am kommenden Donnerstag will Davis dann aber wieder dabei sein.
Verhandlungsunterlagen waren beim Briten nicht zu sehen
Vor der Abreise des britischen Chefunterhändlers am Montag hatte sich Davis noch am Verhandlungstisch ablichten lassen. Auffällig war dabei, dass der Franzose Barnier vor sich einen Papierstapel aufgebaut hatte, während vor Davis nur eine leere Tischplatte glänzte. Der „Guardian“ mutmaßte daraufhin, dass die britischen Brexit-Verhandler entweder über ein hervorragendes Gedächtnis verfügten oder die Papiere möglicherweise auch „unter dem Schreibtisch versteckt“ haben könnten.
"Krieg der Worte" im britischen Kabinett
Mit Davis’ Abreise aus Brüssel war die Konfusion, die auf der britischen Verhandlungsseite rund um den Brexit herrscht, noch um eine Facette reicher. Bereits in den vergangenen Tagen hatte sich die britische Presse eingehend mit einem „Krieg der Worte“ beschäftigt, den sich jene Politiker liefern, welche es auf die Nachfolge der angeschlagenen Premierministerin Theresa May abgesehen haben. So hatte Finanzminister Philip Hammond mit der Äußerung aufhorchen lassen, dass sich in der britischen Regierung mittlerweile eine Mehrheit für eine Übergangsphase beim Austritt aus der EU abzeichne. Hammond vertritt die Linie eines „weichen Brexit“, mit dem die negativen Folgen des EU-Austritts für die britische Wirtschaft so gering wie möglich gehalten werden sollen.
Dagegen hatte Außenminister Boris Johnson zuletzt Töne angeschlagen, die eher eine Konfrontation zwischen Brüssel und London erwarten lassen. In der vergangenen Woche bezeichnete Johnson die in Brüssel genannte Summe zwischen 40 und 100 Milliarden Euro, die Großbritannien möglicherweise beim Abschied von der EU begleichen muss, als „erpresserisch“.
"Maulkorb-Erlass" von Regierungschefin May
Regierungschefin May versuchte, Ordnung in das Verhandlungschaos zu bringen. Sie warnte die Kabinettsmitglieder, dass sie keine Details der Brexit-Verhandlungen mehr an die Presse weitergeben sollten. Wie ein Sprecher Mays erklärte, wolle die Regierungschefin die Kabinettsmitglieder an diesem Dienstag daran erinnern, dass die regierungsinternen Diskussionen nicht in der Öffentlichkeit ausgetragen werden sollten. Nach einem Bericht des „Telegraph“ zielt Hammond darauf ab, den „Brexiteers“ ihre politischen Grenzen aufzuzeigen.
Europaabgeordneter Schwab: London hat keine klare Verhandlungsposition
Der CDU-Europaabgeordnete Andreas Schwab sieht unterdessen in der eingeschränkten Anwesenheit des Brexit-Ministers Davis bei den Verhandlungen in Brüssel „ein weiteres Zeichen dafür, dass die britische Regierung wohl weiterhin keine klare und einheitliche Verhandlungsposition hat“. Unter diesen Umständen seien „die höchst komplizierten Verhandlungen in dem extrem kurzen Zeitplan erfolgreich kaum zu bewältigen“, sagte Schwab dem Tagesspiegel. „Man muss nur schon jetzt darauf hinweisen: die Verantwortung dafür liegt auf der britischen Seite“, sagte der CDU-Abgeordnete weiter.
Streit um Rechte der EU-Bürger auf der Insel
Bei der gegenwärtigen Verhandlungsrunde geht es unter anderem darum, wie die Rechte der 3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien und der 1,2 Millionen Briten in der EU gewahrt werden können. Brüssel will sicherstellen, dass die in Großbritannien lebenden EU-Bürger ihre Rechte auch weiterhin vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) einklagen können. Dies lehnt May ab. Sie hat hingegen vorgeschlagen, dass sich die EU-Bürger auf der Insel um einen „gesicherten Status“ bewerben können. Allerdings ist unklar, inwieweit die EU-Bürger künftig auch Familienangehörige nachholen können. Dennoch vertrat Außenminister Johnson die Auffassung, London habe ein „großartiges Angebot“ gemacht.
Schwierig dürften sich die Verhandlungen auch bei der Festlegung der britischen Austrittsrechnung gestalten. In Brüssel und London wird nicht ausgeschlossen, dass es in dieser Frage in den nächsten Wochen zum Eklat kommen könnte. Andererseits gilt eine Einigung über die Austrittsrechnung als Voraussetzung dafür, dass ab dem kommenden Herbst über jenes Thema gesprochen werden kann, welches London am Herzen liegt: die künftigen Handelsbeziehungen zwischen den EU-27 und Großbritannien. Derweil berichtete die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf einen EU-Insider, dass beide Seiten im September oder Oktober einen gemeinsamen Vorschlag für die künftigen Bedingungen ihrer Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation WTO vorlegen wollen.
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