Corona in Südafrika: Der Optimismus könnte trügerisch sein
Südafrika hat sich in der Coronakrise auf das Schlimmste eingestellt – nun nimmt die Zahl der Infizierten ab. Doch die Gefahr ist längst nicht gebannt.
Ein über vier Meter großer Nelson Mandela blickt starr über den nach ihm benannten Platz im Johannesburger Geschäftsviertel Sandton. Der in Bronze gegossene Volksheld steht neuerdings mutterseelenallein da – ohne die Scharen an Besuchern, die sich sonst für Erinnerungsfotos zwischen seinen Beinen versammeln. Auch die den Platz säumenden Lokale sind leer, und Afrikas höchstes Gebäude, das „Leonardo“, ragt wie ein abgestorbener Zahn in den Himmel.
Vor knapp drei Wochen verhängte Südafrikas Regierung eine der striktesten Ausgangssperren der Welt über das Land: Mindestens fünf Wochen lang dürfen die fast 60 Millionen Einwohner ihr Haus nur noch zum Einkauf von Lebensmitteln verlassen – und werden dabei außer von Polizisten auch von Soldaten kontrolliert. Textil-, Haushaltswaren- oder Elektronikläden sind genauso geschlossen wie Schulen oder Ämter; auch Restaurants, Cafés und öffentliche Parks mussten ihre Pforten dicht machen. Selbst der Verkauf von Alkohol und Zigaretten ist – aus welchen Gründen auch immer – verboten.
Hinter meterhohen Mauern verfolgen Sandtons Villenbesitzer unterdessen auf ihren TV-Schirmen, wie das Corona-Virus eine Region des Erdballs nach der anderen aufrollt. Und fragen sich bange, was der gnadenlose Erreger wohl im eigenen Land, direkt vor der Haustür, anrichten wird.
Ausgerechnet Sandton gilt als Südafrikas Corona-Hotspot: Geschäftsleute und Touristen haben das Virus aus Europa hier eingeschleppt. Anders als Aids, Cholera oder Tuberkulose gilt Covid-19 hierzulande als Krankheit der Reichen: Manche Weißen meinen, als angebliche Virenträger eine bislang unbekannte Feindseligkeit zu spüren zu bekommen. Noch lässt es sich auf Sandtons hektargroßen Grundstücken mit Wlan, Swimmingpool und Tennisplatz gut leben. Doch die Johannesburger „Sunday Times“ warnt bereits: „Wappne dich, Südafrika!“
Wie in anderen afrikanischen Staaten traf das Coronavirus am Kap der Guten Hoffnung mit Verspätung ein: Der erste Infektionsfall wurde erst Anfang März gemeldet. Schon zwei Wochen später schoss die Zahl der Ansteckungen wie in Europa in die Höhe: Anfang April müsse mit 4000 Infizierten gerechnet werden, warnten Epidemiologen, im Mai könnten es schon 100000 sein. Wegen der engen Lebensbedingungen in Slums, zusätzlichen Epidemien wie HIV/Aids sowie dem Mangel an fließendem Wasser zugeschriebenen Hygiene-Defizit würde die Pandemie unter afrikanischen Bedingungen noch verheerender als anderswo ausfallen, warnten Experten.
Nur wenige hundert Meter von Sandton entfernt liegt Alexandra, ein hundert Jahre alter Slum. Im Gegensatz zur Nobelmeile ist das Armenviertel keineswegs ausgestorben. Trauben von Menschen sind unterwegs. „Wie soll ich denn sonst überleben?“, fragt ein Altmetallsammler, der auf der Hauptstraße des Slums widerrechtlich seinem Geschäft nachgeht. Andere sitzen am Straßenrand – ihre Behausungen seien zu klein, um sich darin mit der gesamten Familie wochenlang einbunkern zu können, sagt ein Passant.
Opposition warnt vor dem Polizeistaat
Missmutig verfolgen Polizisten und mit automatischen Gewehren bewaffnete Soldaten das Treiben. Wiederholt schon gingen sie mit Gummigeschossen und Tränengas gegen Anwohner vor, die sich der Ausgangssperre widersetzten. Angesichts der weit mehr als 20000 Menschen, die von den Sicherheitsbehörden bereits wegen angeblicher Verstöße gegen das Ausgangsverbot verhaftet wurden, warnt die Opposition vor polizeistaatlichen Tendenzen. Und in den sozialen Netzwerken machen Videos von Polizisten die Runde, die mit Peitschen auf Menschen einschlagen.
Für Südafrika stehe viel zu viel auf dem Spiel, um der Ausgangssperre auch nur eine Chance zum Scheitern zu geben, wenden Apologeten der Regierung ein. Der wochenlange Lockdown könnte die ohnehin angeschlagene Wirtschaft des Landes vollends in den Ruin treiben. Die Arbeitslosenquote droht in diesem Jahr auf über 50 Prozent zu steigen, die Wirtschaftskraft wird nach Schätzungen der Zentralbank mindestens vier Prozent einbüßen. Der hochverschuldete Staat kann sich auch keine wirtschaftlichen Stützprogramme leisten: In dem Land mit der ungerechtesten Besitzverteilung der Welt könnten Aufstände ausbrechen.
"Wir könnten uns in der Ruhe vor dem riesigen Sturm befinden"
Doch zur Halbzeit des Lockdowns zeichnet sich am Horizont ein Silberstreif ab. Der exponentielle Anstieg der Ansteckungsraten hat sich wie durch ein Wunder abgeschwächt: Statt 4000 Fälle Anfang April wurden zwei Wochen später weniger als 2400 Infektionen gemeldet.
Trotz des Hoffnungsschimmers zeigt sich Gesundheitsminister John Mkhize zunächst noch vorsichtig: „Wir könnten uns in der Ruhe vor dem riesigen Sturm befinden“, warnt der ANC-Politiker. Doch nachdem die Zahl der Neuansteckungen seit Tagen nur noch um rund 100 wächst, werden auch Regierung und Fachwelt hoffnungsvoller. Womöglich wird Südafrika ja etwas schaffen, was bisher nur Südkorea oder Singapur gelang.
Worauf der überraschende Erfolg beruht, ist noch nicht einmal klar. An massenhaften Tests wie in den asiatischen Vorbildstaaten kann es jedenfalls nicht liegen. Denn in Südafrika wurden bislang nur 1400 von einer Million Einwohnern und nicht 16000 wie in Deutschland oder gar 65000 wie in den Arabischen Emiraten getestet. Auch die Lieblingserklärung der Regierung, wonach der frühe Lockdown für das Abflachen der Kurve verantwortlich war, muss mit Vorsicht betrachtet werden. Denn die Kurve flachte gleich zu Beginn der Ausgangssperre ab, was angesichts der Inkubationszeit des Coronavirus einen Zusammenhang eher unwahrscheinlich macht.
Spielen die hohen Temperaturen eine Rolle?
Experten spekulieren nun darüber, ob doch die Temperaturen im afrikanischen Sommer eine Rolle spielen könnte – oder die Tatsache, dass südafrikanische Kinder obligatorisch mit „Bacille Calmette-Guérin“ (BCG) gegen Tuberkulose geimpft werden. Beweise für die Wirksamkeit des Impfstoffs gegen Covid-19 gebe es allerdings nicht, wendet die WHO ein.
Die nächsten Tage würden für Südafrika entscheidend werden, meint der Chef des ministeriellen Beratungskomitees, der Epidemiologe Abdool Karim. Schnellt die Quote doch noch in die Höhe, sei es um Südafrika schlecht bestellt. Die fast acht Millionen HIV-Infizierten, deren Immunsystem ohnehin angegriffen ist, sowie Millionen an Slumbewohnern, die Infektionskrankheiten besonders hilflos ausgeliefert sind, lassen dann Schlimmstes befürchten.
Doch selbst wenn Südafrika die abgeflachte Kurve der Neuinfektionen beibehalten kann, wird von Entwarnung keine Rede sein können. Die Regierung arbeitet offenbar mit einer Prognose, die den Zenit der Pandemie für diesen Fall erst im September erwartet. Bis dahin muss sie dafür sorgen, dass die Kurve nicht doch nach oben ausbricht.
Voraussetzung dafür ist vor allem eine drastische Vermehrung der Tests: Noch immer gelingt es Südafrikas Gesundheitsbehörde nicht, die täglich 15000 Menschen zu testen, die Experten zufolge zur Identifizierung und Eindämmung von Epidemie-Herden notwendig sind.
Johannes Dieterich
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