EU-Flüchtlingsgipfel in Brüssel: Der nächste Zwischenschritt einer Union der Egoisten
Gipfel der Schuldzuweisungen: Beim Brüsseler Krisentreffen vermitteln die Europäer immer noch nicht den Eindruck, sie hätten die Flüchtlingskrise als Gemeinschaft im Griff. Ein Kommentar.
Es steht nicht gut um den Zusammenhalt in der Europäischen Union. Der Zustrom der Flüchtlinge, der das Miteinander der EU-Staaten mehr auf die Probe stellt als jede Krise zuvor, setzt auch die Beziehungen unter den Mitgliedsländern einer nie dagewesenen Zerreißprobe aus.
Das jüngste Treffen der Länder entlang der Balkanroute, an dem auch die Nicht-EU-Länder Serbien, Mazedonien und Albanien teilnahmen, war auch ein Gipfel der gegenseitigen Schuldzuweisungen: Kroatien kritisiert Griechenland wegen der mangelnden Grenzsicherung zur Türkei, das kleine Slowenien fühlt sich von der Gemeinschaft im Stich gelassen, und Bulgarien, Rumänien und Serbien kündigen vorsorglich schon einmal an, dass sie notfalls zum Mittel des Zaunbaus greifen würden, um die Flüchtlinge fernzuhalten.
Die Schutzsuchenden, so scheint die Maxime in den Ländern entlang der Balkanroute zu lauten, sollen möglichst schnell nach Nordwesten weiterziehen – in den Hoheitsbereich des jeweils nächsten Staates.
Auch wenn Europa angesichts der Flüchtlingskrise eher einer Union der Egoisten als einer Solidargemeinschaft ähnelt, so gehen von dem Brüsseler Krisentreffen dennoch auch positive Signale aus. Immerhin sollen demnächst in Griechenland 50.000 Aufnahmeplätze und 50.000 weitere Plätze entlang der Balkanroute geschaffen werden. Diese Vereinbarung ist ein erstes Zugeständnis der Länder entlang der Route, dass nicht alle Schutzsuchenden einfach nach Deutschland durchgewunken werden können.
Allerdings weiß auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), dass dieser Beschluss auch nur ein weiterer Zwischenschritt auf dem mühsamen Weg zu einer abgestimmten europäischen Flüchtlingspolitik ist. Die Aufnahme von 100.000 Flüchtlingen entlang der Balkanroute wird in den nächsten Monaten wohl kaum etwas daran ändern, dass der Großteil der Schutzsuchenden weiter Richtung Deutschland ziehen werden.
Wenn man wie das Flüchtlingshilfswerk UNHCR davon ausgeht, dass pro Tag immer noch rund 8000 Flüchtlinge in der EU ankommen und sich auch im Winter diese Zahl wohl lediglich auf 4000 halbieren wird, dann kann man sich schnell ausrechnen, dass auch die zusätzlichen Unterkünfte entlang der Balkanroute schnell überfüllt sein dürften – einmal davon abgesehen, dass sie überhaupt erst einmal eingerichtet werden müssen.
Den Praxistest muss auch noch jener Gipfel-Beschluss bestehen, dem zufolge die Länder entlang der Flüchtlingsroute die Menschen aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan künftig nicht mehr ohne Vorwarnung ins Nachbarland weiterleiten sollen. Ob beispielsweise Kroatien die slowenischen Nachbarn tatsächlich künftig besser darüber informiert, wo und wann wie viele Flüchtlinge im Grenzgebiet zwischen beiden Staaten ankommen, bleibt abzuwarten.
Völlig unklar ist indes, welche Chancen überhaupt der langfristige Plan der Bundeskanzlerin hat, zu einer fairen Verteilung der Flüchtlinge unter allen EU-Staaten zu kommen. Die unverfrorene Feststellung des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban, dass er wegen seiner Politik der geschlossenen Zäune nur als „Beobachter“ an dem Brüsseler Gipfel teilnehme, zeigt, dass Merkel noch viel Überzeugungsarbeit wird leisten müssen, wenn ihr Umverteilungsplan überhaupt eine Chance haben soll.
Die politische Großwetterlage in Europa sieht jedenfalls im Moment nicht günstig aus. Am Wochenende hat die rechtspopulistische Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) von Jaroslaw Kaczynski in Polen einen deutlichen Wahlsieg verbucht. Wie die neue Regierung in Warschau sich in der Quoten-Diskussion künftig verhalten wird, ist völlig offen.
Trotz aller berechtigten Zweifel, die die jüngsten Gipfelbeschlüsse aufkommen lassen, bleibt es dennoch dabei: Ohne Europa wird es keine Lösung der Flüchtlingskrise geben. Aber es wird noch viele Zwischenlösungen nach Brüsseler Art brauchen, damit die Europäer den Eindruck vermitteln können, sie hätten die Krise – als Gemeinschaft – im Griff.