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Jaroslaw Kaczynski küsst die Hand der Wahlsiegerin Beata Szydlo.
© dpa

Wahl in Polen: Deutschland wird die konservative Wende beim Nachbarn spüren

Polen ist bei der Parlamentswahl nach rechts gerückt. Ein Anti-EU-Kurs wie 2005 ist dennoch nicht zu befürchten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

In Polen hat das nationalkonservative Lager mit großem Abstand gesiegt. Die Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) wird entweder allein oder mit einem Koalitionspartner eine bequeme absolute Mehrheit der Sitze im Parlament erreichen; das hängt davon ab, ob die rechtspopulistische Partei von Janusz Korwin-Mikke im amtlichen Endergebnis den Einzug in den Sejm, das Parlament, schafft oder nicht.

So oder so bedeutet das Wahlergebnis einen hohen Sieg der nationalpolnischen Kräfte mit der PiS an der Spitze. Die Gründe dafür sind fast ausschließlich innenpolitische. Die Folgen wird Deutschland aber auch im bilateralen Verhältnis und in der europäischen Politik zu spüren bekommen. Die Zusammenarbeit mit dem wichtigsten Nachbarn im Osten wird weniger harmonisch, wird kantiger.

Die Rückkehr der PiS an die Macht weckt ungute Erinnerungen

Die Hauptursache für den Machtwechsel in Warschau ergibt sich aus den Mechanismen der Demokratie: Die bisher regierende bürgerlich-liberale Bürgerplattform (PO) war nach acht Jahren an der Macht verbraucht. Eine vertrauenswürdige linke Alternative steht in Polen schon lange nicht mehr zur Verfügung. Ihr Wahlbündnis ist an der Eingangshürde von acht Prozent für solche gemeinsamen Listen unterschiedlicher Parteien gescheitert.

Die Rückkehr der PiS an die Macht wird bei manchen in Deutschland ungute Erinnerungen wecken. 2005 hatte die PiS schon einmal kurz nacheinander die Präsidenten- und die Parlamentswahl gewonnen und stellte in Gestalt der Zwillinge Lech und Jaroslaw Kaczynski das Staatsoberhaupt und den Regierungschef. Es war eine schwierige Zeit in den deutsch-polnischen Beziehungen, auch weil die damalige Führungsriege geringe internationale Erfahrungen mitbrachte, den großen Nachbarn im Westen und Osten, Deutschland und Russland, aber aus verständlichen biografischen Erfahrungen mit Reserve begegnete. Ihr europaskeptischer Kurs fand auf Dauer aber keine Unterstützung bei den Wählern. 2007 gewann die Bürgerplattform, die die aktive Kooperation mit der EU zu ihrem Markenzeichen macht, die nächste Wahl.

Schon wegen dieser Erfahrung – ein Anti-EU-Kurs macht sich in Polen auf Dauer nicht bezahlt – ist kein Rückfall in die Atmosphäre von 2005 zu befürchten. Wichtiger noch: In den zehn Jahren hat sich die PiS personell und inhaltlich erneuert. Der neue Präsident Andrzej Duda und die designierte Regierungschefin Beata Szydlo sind eine Generation jünger als die Kaczynskis. Sie sowie ihre Berater und Anwärter auf Regierungsposten sind durch zehn Jahre Mitgliedschaft in der EU geprägt.

Die Polen deuten diese Krisen als Kontrollverlust

Diese Erfahrungen mit EU-Europa sind aus polnischer Sicht freilich nicht durchweg positiv. Einerseits hat Polen die Chancen ökonomisch hervorragend genutzt. Das stärkt das polnische Selbstbewusstsein. Andererseits wünscht sich die Mehrheit und wünschen sich insbesondere PiS-Wähler ein Europa, das seine Werte und Regeln nicht nur predigt, sondern auch durchsetzt. Den Umgang, zum Beispiel, mit der Euro- und Griechenlandkrise, aber auch dem Ansturm von Flüchtlingen ordnen sie nicht als großherzig und solidarisch ein, sondern als Kontrollverlust und Unfähigkeit, die beschlossenen Ordnungssysteme durchzusetzen. Die Reaktionen auf Russlands Angriff auf die Ukraine und seine Intervention in Syrien erleben sie als Schwächezeichen, nicht als Ausdruck weiser Zurückhaltung aus dem Vertrauen in die langfristige strategische Überlegenheit des Westens.

Vielerorts in der EU ist derzeit eine Entkoppelung der innenpolitischen Dynamik von den europapolitischen Anforderungen zu beobachten. Angesichts der Fülle und Schwere der Herausforderungen wäre mehr europapolitischer Konsens wünschenswert. Die jeweiligen politischen Dynamiken in den Mitgliedsstaaten laufen jedoch in unterschiedliche Richtungen. Umso größer ist die Verantwortung für die Bundesregierung, aber auch die neue polnische Regierung, aufeinander zuzugehen, sich zuzuhören und gemeinsame Ansätze zur Bewältigung der vielfältigen Krisen auszuloten.

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