US-Spionage: Der nächste Sprengsatz für die Beziehungen zu Deutschland
Weder der BND-Mann noch der mutmaßliche Bundeswehr-Spitzel konnten große Geheimnisse verraten. Gerade deshalb rätseln viele in Berlin, weshalb der US-Geheimdienst mit den kleinen Spitzeleien politische Verwerfungen riskiert.
Die transatlantische Schadensbegrenzung schien gerade auf gutem Wege, da ging der nächste Sprengsatz hoch. Gerade erst hatte sich CIA-Chef John Brennan im Kanzleramt gemeldet und mit Geheimdienstkoordinator Klaus-Peter Fritsche über den aufgeflogenen US-Spion beim BND gesprochen. Da fuhren am Mittwoch frühe Ermittler der Bundesanwaltschaft und des Bundeskriminalamts am Bendlerblock vor. Ein Mitarbeiter des Bundesverteidigungsministeriums steht im Verdacht, ebenfalls im Auftrag des US-Dienstes spioniert zu haben.
Die Fahnder durchsuchten Büroräume des Mannes und eine Wohnung in Berlin; festgenommen wurde er zunächst nicht. Wie schwer der neue Fall in der Sache wiegt, war vorerst auch noch nicht klar. Der Verdächtige hatte nach Hinweisen aus Sicherheitskreisen keine Leitungsposition im Ministerium inne, scheint aber Zugang zu Informationen unter anderem über Russland gehabt zu haben. Der Zivilist war nach dpa-Informationen als Referent in der Abteilung Politik tätig und soll dort für internationale Rüstungskooperation zuständig gewesen sein. Er wirkte damit an der Vorbereitung sicherheitspolitischer Richtungsentscheidungen des Ministeriums mit.
Dass der neue Fall politisch schwer wiegt, steht dagegen außer Zweifel. In der Bundesregierung ist Kopfschütteln noch die mildeste Reaktion auf die Erkenntnis, dass sich US-Agenten hierzulande aufführen wie in Feindesland. Selbst Regierungssprecher Steffen Seibert belässt es nicht dabei, eine „tief greifende Meinungsverschiedenheit“ darüber zu konstatieren, wie man diesseits und jenseits des Atlantiks Sicherheit und Freiheitsrechte in Einklang bringe – er sagt auch einen Satz, den man so deutlich noch nicht gehört hat: „Diese tief greifende Meinungsverschiedenheit geht an das Vertrauen dieser Partnerschaft.“
Magerer Agentenlohn
Tatsächlich ergibt das, was sich in beiden Fällen nach den ersten Erkenntnissen abzeichnet, ein höchst irritierendes Bild. Denn so wie es aussieht, konnten weder der BND-Maulwurf noch der mutmaßliche Bundeswehr-Spitzel große Geheimnisse verraten. In der vergangenen Woche war der BND-Mitarbeiter verhaftet worden. Die Ermittler werfen ihm vor, für die CIA tätig gewesen zu sein. Er soll innerhalb von zwei Jahren 218 Dokumente für 25 000 Euro an US-Geheimdienste verkauft haben. Bei dem Fall aus München spricht schon die magere Bezahlung dagegen: 25 000 Euro für 218 Dokumente ergibt einen Agentenlohn, der, wie ein Sicherheitsmann spottet, „im Grunde grade mal die Kopierkosten deckt“. Seibert lässt durchblicken, dass die Amerikaner doch nur hätten fragen brauchen, wenn sie etwas wissen wollten. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) konstatiert in der „Saarbrücker Zeitung“: „Der Versuch, mit konspirativen Mitteln etwas über die Haltung Deutschlands zu erfahren, gehört sich nicht nur nicht; er ist auch völlig überflüssig.“ Nicht die Größe, im Gegenteil, die Kleinheit dieser Spitzeleien lässt viele in Berlin rätseln, weshalb US-Dienste für so mageren Ertrag schwerwiegende politische Verwerfungen riskieren.
Auch Verteidigungsministerium bestätigt Ermittlungen
Das Verteidigungsministerium bestätigte, dass es „in seinem Bereich“ Ermittlungen gebe. Demnach könnten das Ministerium, die Bundeswehr oder auch der Militärische Abschirmdienst (MAD) betroffen sein. Nach Informationen der „Süddeutschen Zeitung“ wird der neue Fall von Experten noch ernster eingeschätzt als der Verdacht gegen einen Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienst, der für die CIA gearbeitet haben soll. Das Parlamentarische Kontrollgremium soll an diesem Donnerstag über den neuen Fall unterrichtet werden. Die Linke beantragte zudem eine Sondersitzung des Innenausschusses.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen (CDU), sprach am Rande eines Washington-Besuchs von „Dummheiten“ der US- Dienste, die damit echten außenpolitischen Schaden anrichteten. Röttgen wies zugleich Forderungen nach deutscher Gegenspionage zurück. Man dürfe nicht eine Dummheit mit einer anderen beantworten. SPD-Generalsekretärin Jasmin Fahimi forderte, Deutschland könne sich Vertrauensbruch „nicht länger bieten lassen“. Linken-Fraktionsvize Sarah Wagenknecht forderte die Auflösung aller Geheimdienste. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte, mit dem zweiten Fall werde die Bundesregierung von den USA regelrecht vorgeführt.
US-Botschafter erneut im Auswärtigen Amt
Wegen der Spionageaffäre hatte der US-Botschafter in Berlin, John B. Emerson, am Mittwoch erneut einen Termin im Auswärtigen Amt. Zum Inhalt des Gesprächs, das von deutscher Seite von Staatssekretär Stephan Steinlein geführt wurde, gab es zunächst keine näheren Angaben. Emerson dürfte aber versichert haben, dass seine Regierung von der Spionageaktion der CIA nichts gewusst habe. Am Mittwoch wurde bekannt, dass US-Präsident Barack Obama über den Fall nicht informiert gewesen sein soll. Obama habe deshalb ahnungslos am vorigen Donnerstag mit Kanzlerin Angela Merkel über das weitere Vorgehen in der Ukraine telefoniert, berichtete die "New York Times". Merkel, die von dem Vorgang wusste, habe ihn nicht angesprochen. Im Weißen Haus sei man „frustriert“ und verärgert. Die CIA müsse jetzt erklären, wer von der Aktion wusste. (mit dpa)