Baerbock, Habeck und die K-Frage: Der nächste Schritt in Richtung Kanzleramt
Die Entscheidung der Parteichefs ist wohl gefallen, am 19. April soll sie verkündet werden. Altgediente Grüne äußern ihre Präferenzen für die Kanzlerkandidatur.
Es sind nur zwei knappe Absätze in einer Mail von Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner an den Parteirat am Mittwoch. Doch mit deren Inhalt kommen die Grünen ihrem Ziel wieder einen Schritt näher – dem Kanzleramt: „Als Bundesvorstand schlagen wir den Delegierten der Bundesdelegiertenversammlung vom 11. bis 13. Juni vor, mit Annalena Baerbock und Robert Habeck als Spitzenduo und mit einer/einem der beiden als Kanzlerkandidatin/Kanzlerkandidaten in den Bundestagswahlkampf zu gehen. Wer von beiden die Kanzler*in-Kandidatur übernehmen soll, werden wir am 19. April gemeinsam vorstellen.“ Noch viele Schrägstriche und Sternchen, noch keine Entscheidung, aber ein Termin.
„Wir wollen das Land in die Zukunft führen. Darum kämpfen wir für das historisch beste grüne Ergebnis aller Zeiten und die Führung der nächsten Bundesregierung“, schreibt Kellner in der Mail, die dem Tagesspiegel vorliegt, euphorisch.
Die beiden eigentlichen Protagonisten schweigen an diesem Tag. Baerbock retweetet die Ankündigung kommentarlos. Von Habeck, der sich nach einigen Patzern von Twitter zurückgezogen hat, gibt es keine Reaktion. Auf Instagram hat er vor einigen Tagen ein Bild von einer verschneiten Osterglocke gepostet.
Wenn die Bäume wieder blühen, werde man eine Entscheidung verkünden, haben die beiden Partei-Vorsitzenden seit Monaten mantraartig wiederholt. Nun sind bereits erste Knospen an den Bäumen, nur ein paar Tage noch. Der Fahrplan der Grünen, seit Monaten geplant und durchinszeniert, er wackelt nicht. Die Partei, die sich früher gern in Flügelkämpfen verlor, zelebriert Geschlossen- und Entschlossenheit.
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Der Kontrast ist umso größer vor dem Bild, das die Union in diesen Tagen von sich gibt: Maskenaffäre, rasant sinkende Werte in Umfragen, Wahlniederlagen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz und zwei Vorsitzende der Schwesterparteien, die einen Machtkampf um die Kanzlerkandidatur auf offener Bühne austragen.
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Baerbock und Habeck, die seit drei Jahren als Vorsitzende harmonisch zusammenarbeiten, wollen sich dagegen gütlich einigen. Die Berliner Grünen-Abgeordnete Renate Künast geht davon aus, dass sie es bereits getan haben. „Bei der Union wird der gordische Knoten immer dicker, bei uns wurde in Ruhe geredet und am 19. wird verkündet. Das macht mich froh, denn das Land erwartet Klarheit.“
In der Fraktion gibt es wohl eine Mehrheit für Baerbock
Eine Präferenz nennt Künast nicht, auch sonst bekennt sich niemand aus der Fraktion öffentlich. Dabei hat Baerbock dort offenbar eine Mehrheit. Viele weibliche Abgeordnete wollen die Chance nicht ungenutzt lassen, als feministische Partei mit einer Frau als Kanzlerkandidatin anzutreten – zumal SPD und Union mit Männern ins Rennen gehen werden. Dieser Gedanke scheint auch unter den Wählerinnen und Wählern populär. Einer aktuellen Forsa-Umfrage zufolge kommt Baerbock erstmals auf höhere Zustimmungswerte als Habeck. Doch offen für Baerbock aussprechen, möchte sich dennoch niemand: „Die Entscheidung treffen die beiden“, heißt es von verschiedenen Abgeordneten fast wortgleich.
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Offener positionieren sich altgediente Parteimitglieder. Der langjährige Europa-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit sprach sich in der „Zeit“ gemeinsam mit dem Politikwissenschaftler Claus Leggewie für Habeck aus. „Er hat eine besondere Fähigkeit, mögliche Wirkungen und Nebenwirkungen von politischen Entscheidungen zu durchdenken. Deswegen halten wir ihn für den besseren Kanzlerkandidaten der Grünen.“
Elisabeth Schroedter, ebenfalls frühere Europa-Abgeordnete und erste Chefin von Baerbock, traut dagegen ihrer ehemaligen Mitarbeiterin das Kanzleramt zu. „Wer Kanzlerkandidatin oder Kanzlerkandidat wird, entscheiden beide. Praktisch aber entscheidet Annalena, denn wir haben als Grüne ein Frauenstatut“, sagte sie dem Tagesspiegel.
"Lebenszeit hat jede Frau und jeder Mann nur einmal"
Entscheidend sei, ob Baerbock es wirklich wolle. „Auf der einen Seite macht es Spaß, so ein Amt auszufüllen, zu gestalten und die Gesellschaft voranzubringen. Aus eigener Erfahrung weiß ich aber auch, dass Frau alles an Freizeit und Privatem aufgeben muss.“ Ein großer Verzicht sei das, sagt Schroedter, die als junge Mutter zwischen Brandenburg und Straßburg pendelte.
„Lebenszeit hat jede Frau und jeder Mann nur einmal“, sagt Schroedter. Sie bereue es jedenfalls nicht, versichert sie. Noch heute könne sie Spuren ihres Wirkens in europäischen Gesetzen sehen. Ein Rat für Baerbock hat die 62-Jährige jedenfalls nicht. „Das muss sie allein entscheiden, es hängen viele persönliche Opfer daran. Sie weiß, was auf sie zukommt.“