Die K-Frage bei den Grünen: Baerbock oder Habeck – wer hat die besseren Chancen?
Die SPD im Dauertief, die Union auf Talfahrt – für die Grünen stellt sich die K-Frage mit Wucht. Egal, wer es wird: Der Doppelspitze steht ein Bruch bevor.
Zu Fuß stapften Annalena Baerbock und Robert Habeck ins Haus der Heinrich-Böll-Stiftung. Mit Maske und Abstand, entschlossen durchs Schneegestöber, es war Mitte Januar. Drinnen, bei der Pressekonferenz zur Jahresauftaktklausur, legten die beiden dann einen hitzigen Auftritt hin. Man wolle die Union herausfordern, sagte Habeck.
„Wir sind nach wie vor der Underdog, wir können auch rechnen und Abstände zählen“, sagte Baerbock lächelnd. Das vergangene Jahr habe gezeigt: „Das Unvorstellbare kann möglich werden.“
Zehn Wochen später blühen in Berlin die ersten Frühlingsblumen und das Unvorstellbare scheint tatsächlich möglich. In nur wenigen Wochen, geprägt von Maskenaffäre, Dauerlockdown und Impfproblemen, ist die Union regelrecht eingebrochen. Bei allen großen Forschungsinstituten sank die Zustimmung für CDU und CSU in nur vier Wochen um fast zehn Prozentpunkte.
Der Zustand der Union wird bei den Grünen intern schon spöttisch mit Schalke 04 verglichen: Es gehe nicht mehr um den Klassenerhalt, der Abstieg sei besiegelt, nur noch nicht offiziell. Mit Blick auf die Umfragen hinkt der Vergleich zwar, doch die Tendenz stimmt. Bei 28 Prozent steht die CDU aktuell, die Grünen klettern auf 22, teils sogar 24 Prozent. Auf Angela Merkel kann erstmals ein Grüner im Kanzleramt folgen. Oder eine Grüne.
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Aber wer macht es? Und wer kann es? Er oder sie? Seit Monaten wird spekuliert, parteiintern und in den Medien. Egal, wie häufig und trickreich die beiden bei ihren Auftritten gefragt werden, näher gekommen ist dem großen Geheimnis bislang offenbar niemand.
Habeck und Baerbock wollen die K-Frage unter sich klären
Man werde zwischen Ostern und Pfingsten eine Entscheidung fällen, heißt es seit dem vergangenen Herbst. „Wenn die Bäume wieder grün blühen“, hat Baerbock mehrfach gesagt. Intern rechnen viele Spitzengrüne eher mit einer raschen Verkündung, Ende April, Anfang Mai. Ob Habeck und Baerbock es überhaupt schon für sich wissen, ist unklar. Die beiden wollen die Frage untereinander klären.
Schließlich endet mit der Entscheidung der K-Frage ein erfolgreicher Paarlauf. „Wir hatten noch nie eine so gut funktionierende Spitze“, erklärt eine Grüne, die seit Jahrzehnten dabei ist. Sie sagt es nicht mit Blick auf die Umfragen, sondern auf die Geschlossenheit der Grünen.
Wo sich früher Flügel und Realos bekriegten, herrscht nun große Eintracht. Eine Einheit, die von beiden Parteivorsitzenden seit ihrer Wahl 2018 vorgelebt wird. Symbolisch dafür war der viel fotografierte Schreibtisch, den sich Baerbock und Habeck in der Bundesgeschäftsstelle teilen – auch wenn sich die beiden angesichts Hunderter Termine dort schon vor der Pandemie eher selten begegneten.
Pressekonferenzen machen sie im Wechsel
Tatsächlich hilft es, dass sie mit Robert Heinrich einen gemeinsamen Büroleiter haben, der sich darum kümmert, dass Konflikte und Missverständnisse gar nicht erst aufkommen. Anders als bei früheren Spitzen-Duos kommen Forderungen und Ideen nicht mal aus dem einen oder aus dem anderen Büro.
Habeck und Baerbock gönnen sich gegenseitige Erfolge und Aufmerksamkeit. Die wöchentlichen Pressekonferenzen halten sie im Wechsel ab – früher kamen immer beide Vorsitzende. Diese Einheit steht nun vor einem Bruch. Aus Gleichberechtigung und Augenhöhe wird Machtgefälle.
„Ich glaube, keinem von uns fällt es schwer zu sagen: Du bist der oder die Richtige. Aber natürlich ist es am Ende ein kleiner Stich ins Herz“, sagte Baerbock jüngst im „Spiegel“. Die 40-Jährige, die mit ihrem Mann und zwei kleinen Kindern in Potsdam lebt, ist nach einem TV-Auftritt von Habeck zuletzt in eine gefühlte Favoriten-Rolle gekommen.
Baerbock bekommt auf Parteitagen mehr Applaus
Wenn sie als Frau sage, sie wolle die Kandidatur, dann werde sie es, sagte Habeck bei „Anne Will“. Auch in der Grünen-Fraktion gibt es vor allem Frauen, die denken, dass sich eine feministische Partei nicht die Chance entgehen lassen kann, mit einer Frau gegen die beiden männlichen Kanzlerkandidaten von Union und SPD anzutreten. Doch dieses Argument allein würde Baerbock nicht gerecht werden.
Auf Parteitagen bekommt sie die besseren Wahlergebnisse und mehr Applaus. Sie hat es von der angesehenen Fachpolitikerin zur bekannten Spitzenpolitikerin gebracht und dabei wenig Fehler gemacht.
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Auch für Habeck gibt es gute Argumente. Er hat keinen Funktionärs-Lebenslauf, war lange Schriftsteller. Bis heute bemüht er sich, nicht in den üblichen Politik-Sprech zu verfallen, allerdings unterlaufen ihm immer mal wieder Patzer. Anders als Baerbock hat er zudem in Schleswig-Holstein als Umweltminister Regierungserfahrung sammeln können.
Wer ist kompetenter?
Vor allem aber: In den Beliebtheitsumfragen liegt er stets vorn. Am Samstag wurde er von seinem Landesverband Schleswig-Holstein auf den ersten Männer-Platz für die Bundestagswahl aufgestellt. Vorher formulierte er einige dieser typischen Habeck-Sätze. Die Grünen wollten im Bund einen „Aufschwung, der über das Ökonomische hinausgeht, der Vielfalt und Kultur ermöglicht und Lebenszufriedenheit schafft.“ Wellness für alle, das kommt an. Aber genügt es auch?
Von Baerbock als Spitzenkandidatin erwarten viele Grüne einen Wahlkampf ohne große Fehler – sie gilt als Garantin für ein gutes Ergebnis, ihr Rückhalt in der Partei ist groß. Manche bei den Grünen sind sich sicher, sie wäre geeigneter für das Kanzleramt, härter und kompetenter als Habeck.
Dagegen verbindet sich mit seiner Kandidatur die Hoffnung, die Beliebtheit des Grünen-Chefs werde der Partei am Ende die womöglich entscheidenden Prozentpunkte bringen für einen klaren Regierungsauftrag.
Wetten darf man auf politische Ereignisse in Deutschland nicht, in Österreich hingegen schon. Bei den Wettquoten, wer ins Kanzleramt kommt, werden Habeck und Baerbock beide gelistet. Sie liegen gleichauf.