Wiesbaden: Der Mord an Susanna F. – Gift für die Gesellschaft
Die 14 Jahre alte Susanna F. aus Wiesbaden ist mutmaßlich von einem abgelehnten Asylbewerber getötet worden. Das strahlt weit aus in die gesellschaftliche Realität. Ein Kommentar.
Am Ende seiner Ausführungen zu dem Fall sagte der Präsident des Polizeipräsidiums Westhessen, Müller mit Namen, einen Satz mit dem Wörtchen „aber“, der ahnen lässt, dass er weiß, was dieser Fall jenseits kriminalistischer Fragestellungen ist: Gift für das gesellschaftliche Klima.
Müller sprach über den Mord an Susanna, 14 Jahre alt, mutmaßlich vergewaltigt und ermordet von einem Mann, der nach abgelehntem Asylantrag weiter in Deutschland wohnte. Eine Tat, die wie ein grausamer und zynischer Kommentar zur Flüchtlingspolitik in genau diesen Tagen öffentlich wird, in denen der Umgang mit Migranten und Asylsuchenden auch auf politischer Ebene wieder Topthema ist.
Der Polizeipräsident spricht von einem „abstoßenden Verbrechen“, und sagt dann „aber“. „Aber“ es sei ein 13-jähriger Flüchtling gewesen, der wesentlich zur Aufklärung beigetragen habe. In dem Bemühen die Worte Mord und Flüchtling nicht miteinander zu verknüpfen, hat er Aufklärung und Flüchtling verknüpft, als gleiche das irgendetwas aus. Damit ist er in eben die Verallgemeinerungsfalle getappt, vor der er warnen wollte.
Das Land schaut nach den Tötungsverbrechen von Freiburg und Kandel, nach Maria und Mia, nun entsetzt nach Wiesbaden, zu Susanna. Siehste, werden die einen sagen. Bitte nicht schon wieder, die anderen. In den Onlinemedien schreien sich diejenigen, die in diesem dritten Mädchenmord ein Muster bestätigt sehen, und diejenigen, die Einzelfall rufen und danach fragen, welchen Unterschied Herkunft oder Aufenthaltstitel des Täters für die Tat machen, wieder an. Wutentbrannt klingen die Kommentare, bisweilen hasserfüllt. Und so kann man bei diesen Verbrechen wohl tatsächlich einen Unterschied erkennen: Sie strahlen weit aus in die gesellschaftliche Realität.
Unsicherheitsgefühl bei den Verunsicherten wird weiter zunehmen
Das Unsicherheitsgefühl bei denen, die sich verunsichern lassen, wird weiter zunehmen, und damit auch der Groll auf die Behörden, auf die Politik, auf alle, die das aus deren Sicht zulassen. Die Wut auf diejenigen Flüchtlinge wird steigen, die statt dankbar zu sein für Aufnahme, Kost und Logis, kriminell werden – besonders dann, wenn die Opfer aus der Gesellschaft stammen, die sie aufgenommen hat.
Auch wächst offenbar die Wut auf diejenigen, die dieses Muster nicht erkennen wollen, die aus Sicht der Verunsicherten Kriminalitätsstatistiken verharmlosen oder wohl meinten, Flüchtlinge seien per se bessere Menschen. Umgekehrt wird allzu oft ebenso vereinfacht – wer Angst hat, wird als Nazi oder Rassist beschimpft.
Die Gesellschaft gräbt sich immer tiefer in Vorbehalte den jeweils anders Denkenden gegenüber ein. So wird es immer schwieriger, über Flüchtlinge überhaupt noch zu sprechen. Die Diskussion über ein zentrales gesellschaftliches Thema droht unter immer mehr Unaussprechlichem begraben zu werden.
Der mutmaßliche Täter im Fall Susanna, der inzwischen im Irak gefasst wurde, hat bereits mehrere Einträge bei der Polizei. Einer aus der Liste, die vorgetragen wurde: die mögliche Vergewaltigung eines elfjährigen Mädchens, das im Flüchtlingsheim lebt. Das wäre ebenfalls eine grausame Tat. Doch ihr gesellschaftliches Vergiftungspotenzial ist geringer. Die Grausamkeit hat die Gruppe der Migranten nicht verlassen, der Tat fehlt scheinbar die Bedrohungskomponente für die deutsche Gesellschaft.
Eher zündelt dort die Frage: Als gewalttätiger Flüchtling polizeibekannt – wie ist das überhaupt möglich? Und wer wäre wirklich glücklich, wenn er als Antwort allein auf zähe rechtsstaatliche Verfahren und überlastete Staatsanwaltschaften hinweisen kann?
Besonders traurig in allen drei Fällen ist auch, dass die Mädchen selbst, die späteren Opfer, keine der vielen auf Distanz bedachten Vorbehalte gegen „die Flüchtlinge“ hatten. Sie waren interessiert, neugierig, sind auf die Fremden zugegangen, haben versucht, sie kennenzulernen, sich mit ihnen angefreundet. So funktioniert im Normalfall Integration – es gibt sie in Deutschland hunderttausendfach. Ebenso wie jetzt die drei toten Mädchen.