Ein Jahr US-Präsident Joe Biden: Der Mann des Übergangs hat seine Mission erfüllt
Im Wahlkampf hatte Joe Biden seine Kompetenz und langjährige politische Erfahrung betont. Desto härter trifft ihn nun das Image der Inkompetenz. Ein Kommentar.
Diese Bilanz kann sich sehen lassen, oder? Joe Biden gewann die Wahl, verjagte Donald Trump aus dem Weißen Haus, seine Partei eroberte beide Häuser im Kongress.
Als Präsident, der vor einem Jahr sein Amt antrat, kehrte er zum Pariser Klimaschutzabkommen zurück, stoppte den Austritt der USA aus der Weltgesundheitsorganisation, verabschiedete ein billionendollarschweres Investitionsprogramm, drückte die Arbeitslosigkeit auf 3,9 Prozent, kurbelte die Wirtschaft an, organisierte viele Millionen Corona-Impfungen.
Trotzdem rutschen die Popularitätswerte des 79-Jährigen immer weiter ab, nicht einmal die Hälfte der Befragten hält ihn noch für kompetent, alle Kurven zeigen nach unten. Was ist passiert?
Amerikaner sind ins Gelingen verliebt. Sie wollen einen Macher an der Spitze ihres Landes, einen, der tut, was er sagt. Oder der zumindest kämpft und feurige Reden hält. Trump bekam bei seiner Abwahl im November 2020 elf Millionen Stimmen mehr als bei seiner Wahl im Jahr 2016. Als Präsident arbeitete er fast alle Wahlversprechen ab. Mit einfachen, zugespitzten Sätzen, die sofort in den Bauch gehen, ohne je im Kopf gewesen zu sein, imponierte er seinen Anhängern.
Er wollte Anstand und Zivilität wiederbeleben
Biden gewann die Wahl als Anti-Trump. Sein Ziel war es, die amerikanische Demokratie vor den Machenschaften des Demagogen zu retten. Er wollte Anstand und Zivilität wiederbeleben, Brücken bauen zwischen den Menschen der verfeindeten politischen Lager. Das klang gut und richtig. In seiner Dringlichkeit wurde es durch die Erstürmung des Kapitols am 6. Januar 2021 untermauert.
Aber reicht es, um eine volle Amtszeit erfolgreich zu bestehen? Gerade weil Biden der Präsident ist und seine Partei den Kongress dominiert, nährt jede Negativmeldung den Vorwurf der Opposition, da seien Amateure am Werk.
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Die Corona-Impfpflicht in Firmen? Vom Obersten Gericht kassiert. Die Wahlrechtsreform? Von zwei Querschlägern der Demokraten blockiert. Die Inflation? Auf sieben Prozent gestiegen. Die weiterhin hohen Flüchtlingszahlen an der Grenze zu Mexiko? Die Verantwortliche dafür, Vizepräsidentin Kamala Harris, scheint überfordert zu sein. Von Afghanistan gar nicht erst zu reden.
In zehn Monaten, bei den Midterms, droht ein Machtwechsel im Kongress
Biden hatte im Wahlkampf seine langjährige politische Erfahrung und Kompetenz betont. Desto härter trifft ihn nun das Image der Inkompetenz. Das ist die offene Wunde, in die seine Widersacher, die Republikaner, ihre Pfeile schießen.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie in zehn Monaten, bei den Midterms, einen Machtwechsel im Kongress herbeiführen. Dann ist Biden allein auf weiter Flur, zumal auch ein mehrheitlich konservativ besetztes Er wollte Anstand und Zivilität wiederbelebenkann. Die Zahl der Corona-Toten in den USA wird bis dahin auf mehr als eine Million gestiegen sein.
Biden ist nicht verantwortlich für die Pandemie, er kann nichts für Parteirebellen, es liegt nicht in seiner Macht, die ins Extreme abgleitende Republikanische Partei zu Kompromissen zu bewegen. Er ist auch ein Opfer des in vielerlei Hinsicht dysfunktionalen politischen Systems in den USA und einer polarisierten medialen Öffentlichkeit, die den Unterhaltungscharakter von Politikern oft höher bewertet als deren Programmatik.
Dennoch drängt sich die Frage auf, ob seine Mission nicht bereits mit dem Machtwechsel vor einem Jahr erfüllt wurde. Die Anti-Trump-Attitüde nutzt sich mit der Zeit ab. Die Demokratie-Rettungs-Botschaft kippt gelegentlich ins Alarmistische und taugt als vorrangige Wahlmotivation womöglich nicht bis zur nächsten Präsidentschaftswahl. Wer aber langfristig Politik gestalten will, muss mehr wollen, als immer nur akut einen Kontrahenten zu verhindern.
Für den Rest der Welt ist Joe Biden der richtige amerikanische Präsident, vielleicht gar ein Glücksfall. Für Amerikaner indes ist er mehr und mehr ein Mann des Übergangs. Je früher die Demokraten das verstehen und personelle Alternativen fördern, desto besser.