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Lächeln fürs Foto. Bis vor drei Wochen hatte Omar al Bariki noch nie eine Waffe in der Hand.
© Katharina Eglau

Kampf gegen Gaddafi: Der libysche Rebell aus Berlin

Der Student Omar al Bariki lebt in Prenzlauer Berg. Als sein Bruder von Gaddafis Schergen erschossen wird, zieht er in den Krieg.

Vom Prenzlauer Berg in Gaddafis Zelt, vom Hörsaal in Berlin zum Rebellensturm auf Tripolis. Bis vor drei Wochen hatte Omar al Bariki noch nie in seinem Leben ein Gewehr in der Hand. Jetzt legt er die betagte Kalaschnikow vorsichtig neben seinem Stuhl auf den Boden. „Ich hasse Waffen, aber ich bin dazu gezwungen“, sagt er. Gewaschen hat er sich seit Tagen nicht mehr.

Lässig läuft der Rebell aus Deutschland an diesem Abend in Converse-Chucks und grünem T-Shirt herum. Die Uniform hat er endlich einmal in der Unterkunft lassen dürfen. Seine rechte Hand ist bandagiert, beim Sturm auf Gaddafis Hochsicherheitstrakt Bab al Azizia vor drei Tagen streifte ihn eine Kugel. Die Nato bombardierte drinnen, die Aufständischen feuerten von draußen. Stundenlang standen dicke, schwarze Rauchwolken über der Hauptstadt. Nach fünf Stunden harten Kampfes – „von Angesicht zu Angesicht“, wie Bariki sagt – war alles vorbei. Gaddafis Leute flohen Hals über Kopf, die übrigen wurden gefangen genommen, darunter Söldner aus der Ukraine, Serbien, dem Tschad und Mali. Bariki führte drei ghanaische Krieger ab. Danach stapften er und seine Kameraden zum ersten Mal neugierig und angewidert durch das Allerheiligste des Regimes: die luxuriöse Residenz und das berühmte Zelt des verhassten Diktators.

Bariki hat nichts von einem Krieger. Er strahlt Lauterkeit und Idealismus aus, hat ein offenes Gesicht und lebhafte Augen. „Ja, ich habe Angst vor dem Sterben“, bekennt er, als wenn er sich darüber wundere, dass er nur mit einem Kratzer aus dem Feuersturm von Tripolis herausgekommen ist. Über den Kampf zu reden, fällt ihm schwer. „Einen habe ich wohl getötet“, sagt er leise – und einen zweiten verwundet.

In Berlin führte er das Leben eines normalen Studenten. Warum hat er all das zurückgelassen? Lesen Sie weiter auf Seite 2.

Seit drei Jahren lebt der 28-Jährige in Deutschland, studiert an der Technischen Universität Berlin „erneuerbare Energien“. Abends geht er am liebsten in die Diskothek Berghain am Ostbahnhof, von der britischen Techno-Zeitschrift „DJ Mag“ zum besten Technoclub der Welt gekürt. Obwohl Muslim, trinkt er auch mal ein Bier, hört gerne Jazz und Rock. Die Sprache gelernt hat er in Hamburg auf einer privaten Schule, in Berlin verdient er sich seinen Lebensunterhalt bei der studentischen Zeitarbeitsfirma Heinzelmännchen. Mal schleppt er Säcke in einer Kaffeefabrik, mal stellt er in Straßen Sperrschilder auf für eine Film-Produktionsfirma.

Sein Entschluss, mit den Rebellen in den Krieg zu ziehen, geht zurück auf den 19. Februar. Zwei Tage nach dem Beginn des Volksaufstandes in Bengasi wurde sein älterer Bruder Abdullah bei einem Beerdigungszug von Gaddafi-Leuten erschossen. „Seitdem habe ich eine unbändige Wut in mir“, sagt er. Seine deutsche Freundin, die aus Freiburg stammt und mit der er seit einem Jahr zusammen ist, versuchte immer wieder, ihm das Vorhaben auszureden – ohne Erfolg. „Ich bin sehr hartnäckig“, schmunzelt er. Einmal hat er nach dem Sturm auf Tripolis bisher mit ihr gesprochen, da hat sie am Telefon nur geweint.

Nach dem Sommersemester war er auf eigene Faust nach Tunesien geflogen und hatte sich nach Nalut in den libyschen Nafusabergen durchgeschlagen zum Trainingslager der Tripolis-Brigade, die in ihrem Wappen einen Löwen trägt. Die meisten hier hatten schon drei bis vier Monate Training hinter sich und wollten endlich losschlagen. Der schmächtige Neuankömmling aus Berlin bekam nur noch rasch das Nötigste beigebracht, wie man mit einer Kalaschnikow schießt oder eine Rakete auf ein Gebäude abfeuert. Lediglich sieben Tage habe er auf einem Fußballfeld geübt. „Es war ein großes Durcheinander“, erinnert er sich. „Und meist waren wir zu faul zum Aufstehen.“

"Wir wollten endlich kämpfen." Lesen Sie weiter auf Seite 3.

Denn mit dem stupiden Waffendrill mochten er und seine Kameraden sich nicht länger aufhalten. „Wir wollten los nach Tripolis und endlich kämpfen.“

Dabei war es nicht selbstverständlich, dass Bariki einmal gegen Gaddafis Regime in den Krieg ziehen würde. Sein Vater Muhammed gehörte zu den freien Offizieren, die im September 1969 König Idriss I. vom Thron stürzten und vor 42 Jahren den „Bruder Führer“ an die Macht hievten. In seinem Elternhaus in Bengasi, sagt Bariki, gibt es Fotos von einer Privataudienz, die Muammar al Gaddafi seinem alten Mitkämpfer und dessen vier Söhnen auf seiner Farm vor den Toren der Stadt gewährte. Zum Essen in kleinem Kreis, so erinnert sich Bariki, erschien der Despot in rotem Trainingsanzug und roten Adidas-Turnschuhen, stellte dem jungen Besucher ein, zwei Fragen und schaute ansonsten – wie gewohnt – gelangweilt und arrogant an die Decke.

Heute ahnt der 80-jährige Vater in Bengasi nichts davon, dass sein jüngster Sohn beim Sturm auf Tripolis dabei ist. Später will er es ihm vielleicht einmal sagen. „Gaddafi hat unser Land kaputt gemacht, so viele Menschen wurden ermordet.“ Junge Deutsche könnten vielleicht nicht verstehen, was es heißt, keine Freiheit zu haben, sagt er. „Freiheit kostet ziemlich viel, und ich bin bereit, dafür zu sterben.“ Acht aus seiner 30-köpfigen Kampfeinheit haben bereits ihr Leben verloren. Nach einer Stunde Gespräch muss er weiter, seine drei Rebellenfreunde drängen zum Aufbruch. In zehn Tagen aber will Bariki mit dem Krieg Schluss machen und in seine Studenten-WG in Berlin zurückkehren, „wenn ich noch lebendig bin“. Denn dann müsse er seine Semestergebühren bezahlen, „und die will ich persönlich vorbeibringen“.

Martin Gehlen

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