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Rückschlag auf dem Weg in die EU. Anhänger eines Wahlboykotts feierten Ende September in Mazedonien.
© AFP

Westlicher Balkan: Der lange Weg zur EU

Sechs Westbalkan-Staaten wollen in die EU. Aber es gibt Gebietsstreitigkeiten, Korruption – und einen Namenszwist

Seit über einem Jahrzehnt hat die EU den Staaten des westlichen Balkans immer wieder den Beitritt in Aussicht gestellt. Doch daraus wurde nichts. Das liegt vor allem daran, dass die EU-Bevölkerung nach der großen Osterweiterung der Nullerjahre inzwischen beitrittsmüde ist. Aber weil die sechs Staaten des westlichen Balkans nicht unter den Einfluss Russlands, Chinas und der Türkei geraten sollen, versucht die EU-Kommission nun, dem Beitrittsprozess neues Leben einzuhauchen. Optimistische Szenarien der Brüsseler Behörde gehen davon aus, dass Serbien und Montenegro als erste der insgesamt sechs Westbalkan-Staaten im Jahr 2025 der Gemeinschaft beitreten könnten. In der Region gibt es jedoch immer wieder Rückschläge auf dem Weg zum EU-Beitritt, wie das jüngste Beispiel Mazedoniens zeigt. Eine Übersicht.

MAZEDONIEN

Es war eine Hiobsbotschaft mit Ansage: Am vorvergangenen Sonntag nahmen nur 37 Prozent der Wahlberechtigten an einem Referendum teil, von dem sich Regierungschef Zoran Zaev Rückhalt für seinen Versöhnungsplan mit Griechenland erhofft hatte. Damit wurde das notwendige Quorum verfehlt – und Zaev muss nun zusehen, wie er den kommendes Jahr geplanten Beginn der EU-Beitrittsgespräche doch noch ermöglicht.

In der Sache geht es bei dem griechisch-mazedonischen Streit um den Namen der Balkan-Republik, die 1991 unabhängig wurde. Athen blockiert die Aufnahme des Landes in die EU, so lange es seinen endgültigen Namen nicht gefunden hat. „Mazedonien“ passt den Griechen nicht, weil damit Gebietsansprüche auf die gleichnamige nordgriechische Provinz verbunden sein könnten, die als Geburtsstätte Alexanders des Großen gilt. Als Kompromiss hatten sich Zaev und der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras auf „Republik Nord-Mazedonien“ geeinigt.

Die Lösung des Namensstreits gilt für Mazedonien als wichtigste Bedingung für den EU-Beitritt. Auch wenn sich bei der Volksabstimmung, die keinen bindenden Charakter hatte, nicht genügend Wahlberechtigte beteiligten, möchte Regierungschef Zaev die geplante Namensänderung doch noch durchs Parlament bringen. Über die dafür nötige Zwei-Drittel-Mehrheit verfügt der Premierminister allerdings nicht. Einen Ausweg könnten Neuwahlen im November bringen. Darauf spekuliert inzwischen auch Oppositionschef Hristijan Mickoski, dessen nationalistische Partei VMRO strikt am Landesnamen „Mazedonien“ festhält.

ALBANIEN

Albanien ist zwar seit 2009 Mitglied der Nato, aber bis zum Beitritt zur EU ist es für das Land noch ein langer Weg. Premierminister Edi Rama konnte in der vergangenen Woche bei einer Begegnung mit Journalisten aus Deutschland in Tirana seine Frustration nicht verbergen. Die unsichere Beitrittsperspektive verglich der Sozialist mit einer komplizierten Vermählung: „Wir wollen unbedingt diese Hochzeit. Aber sie kommt nicht zu Stande.“ Ein – wenn auch in weiter Ferne liegender – EU-Beitritt gilt bei Albaniens Politikern parteiübergreifend als Gegenmittel zum „brain drain“, dem Exodus junger, talentierter Albaner.

Immerhin hat ein EU-Gipfel im vergangenen Juni wie auch im Fall Mazedoniens einen möglichen Beginn von Beitrittsgesprächen Ende 2019 in Aussicht gestellt. Premierminister Rama beklagt aber, dass angesichts der Skepsis in einigen EU-Mitgliedstaaten der Beitrittsprozess „unvorhersehbar“ sei. Obwohl nach seinen Worten die EU-Kommission über die Details der Beitrittsfähigkeit seines Landes viel besser im Bilde sei als irgendeine Institution in Berlin oder Paris, gebe es in einigen Mitgliedstaaten eine „andere Agenda“. Damit kritisiert Rama in verklausulierter Form, dass in Teilen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion große Vorbehalte bestehen, Beitrittsgespräche mit Albanien aufzunehmen.

Diese Vorbehalte beziehen sich vor allem auf die organisierte Kriminalität und die Korruption in dem Balkanstaat. Dem hält Rama entgegen, dass Albanien bei der Umsetzung der Justizreform weiter sei als jedes anderes Land auf dem westlichen Balkan. Nach Angaben aus dem Justizministerium hat die vor einem Jahr eingesetzte erstinstanzliche Kommission, welche die Vermögensverhältnisse der insgesamt 800 Richter und Staatsanwälte überprüft, inzwischen 41 Entscheidungen getroffen. Dabei wurde in 22 Fällen die Entlassung der Richter und Staatsanwälte verfügt. In 13 Fällen haben sich die Betroffenen zudem von sich aus von den Ämtern zurückgezogen.

SERBIEN

Mit Serbien führt die EU bereits seit 2014 Beitrittsgespräche. Experten bezweifeln indes, dass das Beitrittsdatum im Jahr 2025 einzuhalten ist. Als wesentliche Hürde gilt der Konflikt mit dem benachbarten Kosovo. Wie tief die Animositäten zwischen Belgrad und der einstigen Provinz Kosovo reichen, wurde einem Millionenpublikum während der vergangenen Fußball-WM in Russland vor Augen geführt: Beim Spiel zwischen der Schweiz und Serbien bejubelten die Schweizer Spieler Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri ihre Tore mit dem Doppeladler, dem albanischen Wappentier. Die beiden haben kosovo-albanische Wurzeln, und die Geste der Spieler wurde in Serbien als Provokation aufgefasst.

In der Sache wird gegenwärtig in Serbien und im Kosovo eine hitzige Debatte über den Grenzverlauf zwischen beiden Ländern geführt. Einen von beiden Ländern angestrebten Gebietstausch sieht der derzeitige österreichische EU-Vorsitz kritisch. Dagegen zeigt sich die EU-Kommission offen für eine solche Lösung. Die angespannten Beziehungen zwischen dem Kosovo und Serbien gelten derzeit als das größte Problem auf dem Balkan. Mit einer Normalisierung der Beziehungen, die von der EU unterstützt wird, könnte Serbien einem Beitritt einen großen Schritt näherkommen. Allerdings gibt es dabei ein Problem: Der serbische Präsident Alexandar Vucic sucht im Streit mit dem Kosovo nicht nur die Nähe zur EU, sondern auch zu Russland, das die Unabhängigkeit der einstigen Provinz strikt ablehnt.

MONTENEGRO

Gemeinsam mit Serbien hat Montenegro noch am ehesten Chancen, in absehbarer Zeit in die EU aufgenommen zu werden. Wie im Fall Serbiens hat die EU-Kommission das Jahr 2025 als Datum für einen möglichen Beitritt genannt. Die Brüsseler Behörde will dies jedoch nicht als unumstößliche Planung verstanden wissen. Vor allem die Person des montenegrinischen Präsidenten Milo Djukanovic bereitet den Planern in der EU-Hauptstadt Kopfzerbrechen. Der 56-Jährige hat seit 1998 abwechselnd die Ämter des Staatschefs und des Regierungschefs inne. Kritiker werfen ihm vor, es zugelassen zu haben, dass sich die Mafia in dem Adria-Staat breit machen konnte. Djukanovic hat Berichte, dass er durch zwielichtige Geschäfte zum Millionär geworden geworden ist, stets dementiert.

Aber selbst wenn die Ära Djukanovic im Nato-Mitgliedsland Montenegro irgendwann enden sollte, so ist der EU-Beitritt des Landes keineswegs ein Selbstläufer: Im vergangenen April kam die EU-Kommission zu dem Ergebnis, dass das Justizsystem des Landes auf einen EU-Beitritt nur „mäßig vorbereitet“ sei.

BOSNIEN-HERZEGOWINA

Nachdem die Balkankriege der 1990er Jahre vorbei waren, träumten Politiker in Sarajevo zu Beginn dieses Jahrhundert von einem Datum: 2014. Symbolreich sollte zum 100. Jahrestag des Attentats von Sarajevo und des Beginns des Ersten Weltkriegs die Aufnahme von Bosnien-Herzegowina in die EU besiegelt werden. Doch es kam ganz anders: Bosnien-Herzegowina gilt lediglich als potentieller Beitrittskandidat, mögliche Beitrittsverhandlungen sind daher in weiter Ferne. Dass der aus drei Volksgruppen bestehende Staat von der Europäischen Union dennoch nicht vergessen werden soll, wird auch neuen Westbalkan-Strategie der EU-Kommission vom vergangenen Februar deutlich. Dort heißt es, dass die Tür der EU für sämtliche Länder des westlichen Balkans offensteht, sofern die einzelnen Staaten die Beitrittskriterien erfüllen. Im Fall von Bosnien-Herzegowina hat das größte Reformhindernis einen Namen: Milorad Dodik, der umstrittene Präsident des serbischen Staatsteils. Dodik torpediert alle Versuche, das fragile gemeinsame Staatsgebilde mit muslimischen Bosniern, orthodoxen Serben und katholischen Kroaten zu stärken.

KOSOVO

Das Kosovo hat nach offiziellen Angaben eine Arbeitslosenquote von 35 Prozent – die Quote ist die höchste unter den Staaten des westlichen Balkans. Damit wäre es segensreich für den 2008 unabhängig gewordenen Staat, wenn er künftig von EU-Fördermitteln profitieren würde. Allerdings ist die Wirtschaft des Landes derzeit nicht gerüstet, um dem Wettbewerbsdruck innerhalb der EU standzuhalten. Gegen einen EU-Beitritt spricht auch die Tatsache, dass es immer wieder Spannungen zwischen der Bevölkerungsmehrheit der Kosovo-Albaner und der serbischen Minderheit gibt. Erschwerend kommt hinzu, dass die fünf EU-Staaten Griechenland, Zypern, Rumänien, Slowakei und Spanien die Unabhängigkeit des Kosovo nicht anerkennen. Das Kosovo bildet das Schlusslicht im EU-Beitrittsprozess. Dies wurde im vergangenen Mai deutlich, als die EU zu einem Westbalkan-Gipfel nach Sofia einlud. Spaniens damaliger Ministerpräsident Mariano Rajoy, dessen Land intern mit Unabhängigkeitsbestrebungen der Katalanen zu kämpfen hat, boykottierte das Treffen. Der Grund: Beim Gipfel war auch der kosovarische Präsident Hashim Thaci dabei.

Dieser Text erschien am 9. Oktober 2018 in "Agenda", einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint.

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