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Seitdem in der vergangenen Woche Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz seine Kandidatur erklärte, steht erstmals ein Genosse aus der ersten Reihe im Rennen um die SPD-Spitze.
© Annegret Hilse/REUTERS

Suche nach Parteiführung: Der Kampf um die SPD-Spitze ist auch eine Abstimmung über die Groko

Insgesamt 13 Kandidaten wollen die Genossen führen, darunter Gegner der Koalition. Sie könnten ein vorzeitiges Ende der Regierung erzwingen.

Raus aus der Groko um jeden Preis – das will Boris Pistorius nicht. „Wir müssen gucken, was mit der CDU noch möglich ist“, sagte der niedersächsische Innenminister am Sonntag in Leipzig. Als einer von inzwischen 13 Kandidaten bewirbt sich Pistorius zusammen mit Sachsens Integrationsministerin um den SPD-Vorsitz.

Der Wahlkampf um den Chefposten der traditionsreichen Partei hat sich inzwischen zu einer Art Abstimmung über die große Koalition entwickelt. Seitdem in der vergangenen Woche Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz seine Kandidatur erklärte, steht erstmals ein Genosse aus der ersten Reihe im Rennen. Er ist der einzige prominente Bewerber, der offen für eine Fortsetzung der Groko wirbt. Im Juni hielt der Hamburger die Kandidatur neben seinen Regierungsämtern noch für „zeitlich nicht zu schaffen“. Inzwischen hat er seine Meinung geändert, will doch SPD-Chef werden, „weil die Verantwortung das gebietet“, wie er am Sonntag in der Bundespressekonferenz erklärte. Am 1. September läuft die Frist für das langwierige Bewerbungsverfahren aus, anschließend sollen sich die Kandidaten bei insgesamt 23 Regionalkonferenzen der Parteibasis vorstellen – eine „Ochsentour“ im Schnelldurchlauf. Die Zeit dafür wird sich Scholz nun nehmen müssen.

Die meisten anderen Bewerber stehen der Groko mindestens skeptisch gegenüber. Einige, wie der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach oder der Bautzner Oberbürgermeister Alexander Ahrens, fordern sogar ein schnelles Ende der Koalition. Geht der Parteivorsitz im Dezember an einen von ihnen, wäre die Groko Anfang 2020 wohl Geschichte.

An diesem Montag trifft sich die SPD-Spitze, um erstmals zu beraten, wie das Verfahren um einen möglichen Ausstieg organisiert werden kann. Dabei diskutiert das Parteipräsidium die Frage, wie die SPD mit der sogenannten Revisionsklausel im Koalitionsvertrag umgehen soll. Der Passus war Anfang 2018 als Angebot an die regierungsmüden Teile der SPD festgeschrieben worden. Bei anhaltendem Unmut über die Groko könne man ja zur Halbzeit aus dem Bündnis aussteigen, lautete das damalige Versprechen der Parteispitze. Von einem „Exit“ ist im Groko-Vertrag zwar keine Rede. Vielmehr heißt es, dass zur Mitte der Legislaturperiode „eine Bestandsaufnahme des Koalitionsvertrages erfolgen“ solle – und dass gebenenfalls „aufgrund aktueller Entwicklungen neue Vorhaben vereinbart werden müssen“.

Ausstieg erzwingen

In der SPD geht man jedoch fest davon aus, dass die Groko-Gegner unter den Genossen spätestens am Jahresende einen Ausstieg erzwingen wollen. In der Parteizentrale erwartet man, dass die Exit-Befürworter beim Bundesparteitag im Dezember einen Antrag auf ein sofortiges Groko-Aus einbringen. Auch einen möglichen Mitgliederentscheid über die Fortsetzung von Schwarz-Rot will die Parteispitze bei ihrem Treffen an diesem Montag diskutieren. Scholz hat sich bereits für eine Befragung der Basis ausgesprochen. Auch das Kandidaten-Team aus Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt, und der NRW-Landtagsabgeordneten Christine Kampmann sind für einen Mitgliederentscheid über die Groko. Es wäre das dritte Basis-Votum in zwei Jahren. Nach der Briefwahl-Abstimmung über die Groko im Jahr 2018, läuft aktuell der Wettbewerb um den Parteivorsitz, der laut einem Parteisprecher trotz teilweiser Online-Abstimmung erneut mehr als 1,2 Millionen Euro kosten dürfte. Finanziell günstiger wäre wohl die Idee von Parteivize Ralf Stegner, der mit der Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan für den Vorsitz kandidiert. Er erklärte am Freitag, ein Parteitag müsse über die Fortsetzung der Groko entscheiden.

Die Bundestagsfraktion der SPD will dafür bald einen Zwischenbericht vorlegen, indem sie Bilanz über die eigene Arbeit zieht. Vielen in der Partei wird das jedoch nicht reichen, wenn die Fraktion und SPD-geführte Ministerien Erfolgsberichte vorlegen. Der Frust sitzt tief in der Partei, dass die Sozialdemokraten trotz pflichtbewusster Regierungsarbeit nicht aus dem Umfragekeller von derzeit 14 Prozent herauskommen. Für Groko-Befürworter wie Scholz dürfte es schwer werden, alle in der Partei vom Weiterregieren zu überzeugen – vor allem, wenn die SPD die anstehenden Landtagswahlen im Osten verliert.

Überzeugungsarbeit nötig

Die Groko-Anhänger werden einiges an Überzeugungsarbeit leisten müssen. Als Mindestvoraussetzung für einen Verbleib in der Groko gilt in der SPD die Umsetzung des im Koalitionsvertrag vereinbarten Klimaschutzgesetzes. Dort hakt es bislang. Die Union müsse sich da bewegen, fordert Matthias Miersch, Klimaexperte der SPD-Bundestagsfraktion. CDU und CSU blockierten etwa den Ausbau von Windenergie. Fähigkeit zum Kompromiss zeigten die Parteien am Sonntag mit ihrer Einigung auf ein neues Mietpaket. Eine Beilegung des Streits um die Bedürftigkeitsprüfung bei der Grundrente steht indes noch aus, ebenso eine Übereinkunft beim Solidaritätszuschlag, den die Union am liebsten ganz, die SPD aber nur teilweise abschaffen will. Dass sich die Koalitionspartner hier spätestens nach den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen einigen, gilt aber als wahrscheinlich. Vor allem in der SPD-Fraktion ist der Wunsch dazu groß. Die sozialdemokratischen Abgeordneten fürchten ein vorschnelles Ende der Groko. Bei raschen Neuwahlen droht vielen von ihnen nach aktuellen Umfragen der Verlust des Mandats.

Im Willy-Brandt-Haus will man die Halbzeitbilanz nutzen, um zu fragen: „Was geht noch mit der Union?“ Der Inhalt einer möglichen „Revision“ des Koalitionsvertrags hänge vor allem an den Ideen der künftigen SPD-Spitze. Die meisten Bewerber treten mit einem dezidiert linken Profil an. So fordern die Teams Stegner-Schwan und Roth-Kampmann jeweils eine Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 30, beziehungsweise 25 Stunden. In der aktuellen Stimmung der Partei mögen solche Forderungen die Chancen auf den SPD-Vorsitz erhöhen. Für einen Koalitionsvertrag mit der Union taugen sie nicht.

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