HIV, Aids und die Gesellschaft: Der Kampf gegen die Unwissenheit über Aids hält an
Vor 30 Jahren hat die CDU-Politikerin Rita Süssmuth das Thema Aids aus der Tabuzone geholt. Die Unsicherheiten sind dennoch weiter groß. Eine Betrachtung.
36,5 Millionen Infizierte, 35 Millionen Tote – HIV, Aids, eine Geißel der Menschheit. Bis heute. War es auch die Schreckenskrankheit eher der achtziger und frühen neunziger Jahre, ist der Schrecken jetzt gemäßigter – nicht jedem ist die Lage gegenwärtig. Aber immerhin, der Umgang damit ist sehr viel souveräner geworden.
1987, zwei Jahre vor dem Mauerfall. Besuch bei Bundesgesundheitsministerin Rita Süssmuth, CDU, in ihrem Heimatort im rheinischen Neuss. Es soll ein Gespräch stattfinden, daraus ein Interview entstehen. Dazu kommt es – doch erst nach einem Telefonat von Süssmuth mit Franz Josef Strauß, damals CSU–Chef. Es wird so laut, dass Strauß’ Stimme in der Entfernung zu hören ist. Es geht um: Aids. Und um Süssmuths liberale Haltung.
Auch Politiker schürten Panik
In der Öffentlichkeit wurde zu jener Zeit teilweise regelrecht Panik geschürt – leider auch von der Politik. Man denke an die berüchtigten Vorschlägen von Peter Gauweiler, einem Staatssekretär unter Strauß in Bayern, der Zwangstests und Absonderungen vorsah. Oder an den damals aufstrebenden CSU-Abgeordneten Horst Seehofer, der Aids-Kranke "in speziellen Heimen" sammeln wollte. Er sprach von "konzentrieren", sein Parteifreund Erich Riedl von "absondern", berichtet der "Spiegel" aus jener Zeit.
Da war es das große Verdienst von Süssmuth, HIV aus der Tabuzone herausgeholt und jeglicher Hetze ein Ende bereitet zu haben: „Gib Aids keine Chance“, „Mach‘s mit“ gehören zu den erfolgreichsten Aufklärungskampagnen in der Geschichte der Bundesrepublik. Sie ermöglichten auch eine intensivere Forschung zu HIV – und ein neues gesellschaftliches Gespräch über Sexualität insgesamt.
Heute, drei Jahrzehnte später, hat HIV deshalb an Schrecken verloren, weil es neue Therapieformen und wirksame Medikamente gibt. HIV ist zwar immer noch nicht heilbar, längst aber auf dem Weg zu einer behandelbaren chronischen Erkrankung. Wenn die Infektion früh entdeckt wird, ist sie sogar sehr gut behandelbar: Patienten haben die Aussicht auf ein langes Leben ohne schwere Erkrankung, ohne dass Aids ausbricht. Keiner muss mehr befürchten, dass die Infektion ein Todesurteil bedeutet.
3000 neue Infektionen pro Jahr
Bekannt ist all das aber leider noch viel zu wenigen Menschen in Deutschland. Dass HIV-Infizierte unter erfolgreicher Therapie niemanden anstecken können, wissen laut einer Umfrage nur zehn Prozent der Bevölkerung. Ebenso wenig dürften viele die Tabletten für die Prophylaxe kennen, die eine Infektion verhindern können und die seit kurzem auch in Deutschland zugelassen sind.
Und so bleibt eine seltsame Ungleichzeitigkeit: Während die Krankheit hierzulande unter Kontrolle ist, sind viele immer noch in den Horrorszenarien der achtziger Jahre verhaftet. Vor allem die AfD, wie unlängst auch eine Redebeitrag im Bundestag zeigte. Was an die Prophezeiung von Bundeskanzler Helmut Kohl von 1987 erinnert, der vor einer Hysterie "schlimmer als Tschernobyl" warnte und dass eine Partei rechts von der Union kräftig Auftrieb erhalten könnte, die ein hartes Durchgreifen gegen Aids-Kranke auf ihre Fahne schreibe.
HIV bleibt auch von daher mit Stigma und Scham verbunden; sich etwa am Arbeitsplatz als HIV-positiv zu outen, dürfte für viele ein leider allzu großes Risiko sein. Die Unwissenheit und damit auch die Unsicherheit beim Thema HIV zu bekämpfen, ist daher eine der dringendsten Aufgaben. Zum Wohle der Patienten – und auch zum Wohl von (Noch-)Nicht-Infizierten.
Wissenslücken über Übertragungswege und spätere Wissenslücken über Symptome sind immer noch ein Hauptgrund, dass sich weiter knapp 3000 Personen pro Jahr bundesweit anstecken – und manche viel zu spät von ihrer Infektion erfahren. Noch immer leben nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts 11.400 Menschen in Deutschland, die gar nicht von ihrer Infektion wissen.
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