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Das Aids-Museum in Fort Lauderdale, Florida.
© Tobias Sauer

Welt-Aids-Tag: Sind HIV und Aids reif fürs Museum?

HIV und Aids werden zunehmend zu Themen, die auch Historiker beschäftigen - zum Beispiel im ersten Aids-Museum. Doch wie weit ist die Gesellschaft wirklich?

Fast übersieht man den entscheidenden Moment im Kampf gegen HIV und Aids im World Aids Museum. Es führt durch die Geschichte des HI-Virus' und dem von ihm ausgelösten Krankheitsbild Aids. Das Museum in Fort Lauderdale, im Süden Floridas, ist das weltweit einzige zu diesem diesem Thema. Wichtige Ereignisse aus den USA und weltweit werden aufgeführt, dazu die Zahl der an Aids verstorbenen Amerikaner. Deren Entwicklung kennt zunächst nur eine Richtung: Nach oben. Plötzlich aber stagniert die Zahl, sinkt dann sogar.

Der Wendepunkt fällt ins Jahr 1996. Zu den Ausstellungsstücken dieses Jahres zählt ein in knalligem rot und grün gestaltetes Cover des Time Magazine. Der Besucher blickt einer Person ins Gesicht, in deren Sonnenbrille sich das Bild eines Forschungsmonitors spiegelt. Als „Man of the Year“ zeichnet die Time-Redaktion David Ho aus, den „Aids Forscher“, wie es zur Erklärung heißt.

Heute ist HIV medizinisch beherrschbar

Der Grund für die Ehre: Seine Forschungen haben wesentlich die Entwicklung des als Kombinationstherapie bezeichneten Medikamentencocktails vorangetrieben. Seit diese 1996 eingeführt wurde, gilt HIV als medizinisch beherrschbar. Patienten unter erfolgreicher Therapie können andere nicht mehr anstecken. Werden bestimmte Wirkstoffe vorbeugend genommen, lässt sich eine Infektion sogar ganz verhindern.

Gut 35 Jahre, nachdem Ärzte 1982 die ersten damals noch rätselhaften Erkrankungen bei schwulen Männern in New York und San Francisco beobachtet haben, wird HIV und Aids zum Thema für Museen und Archive. Der Fokus ihrer Sammlungen liegt dabei meist auf der ersten Phase der Epidemie, die mit der Einführung der Kombinationstherapie endete.

Scham und Stigma: 17 Jahre erzählte er nur seinem Partner davon

In den Jahren zuvor bedeutete ein positives Ergebnis auf einen HIV-Test für die meisten Patienten einen Schock: Befürchteten sie doch, es käme einem Todesurteil gleich. Solange es keine wirksamen Medikamente gab, konnten Ärzte den Krankheitsverlauf nur verzögern. Manche HIV-Positive versuchten, ihre Infektion zu verbergen. Steve Stagon kennt diese Zeit aus eigener Anschauung. Im Jahr 1989 teilten dem späteren Gründer des World Aids Museum seine Ärzte mit, dass er HIV-positiv ist. „Siebzehn Jahre lang habe ich abgesehen von meinem Partner niemandem davon erzählt“, erinnert er sich. Wider besseren Wissens hatte er das Gefühl, eine Gefahr für alle Menschen um ihn herum zu sein.

Als er infolge der Infektion an Gewicht verlor, machte er zusätzlich eine strenge Diät. „So konnte ich gegenüber mir selbst und anderen behaupten, dass ich nur deshalb abnahm“, sagt er. Mit solchen Vermeidungsstrategien stand Stagon nicht allein, wie das Museum zeigt. Auch der Pianist und Showstar Liberace rechtfertigte seine einer Aids-Erkrankung geschuldete Gewichtsabnahme damit, dass er eine „Wassermelonen-Diät“ mache. Genau das sei das perfide an der Selbststigmatisierung, meint Stagon. „Man tut Sachen, die nicht gut für einen sind.“

 Erst in einer Selbsthilfegruppe lernte er, die Infektion zu akzeptieren

Erst als er im Jahr 2006 einer Selbsthilfegruppe beitrat, lernte er, seine Infektion zu akzeptieren. Aus Diskussionen dort entwickelte sich auch die Idee, mittels eines Museums Aufklärungsarbeit zu betreiben. „Obwohl damals bereits viele Millionen Menschen an den Folgen von Aids gestorben waren, gab es noch kein Museum dieser Art“, sagt er. „Stattdessen waren viele Gerüchte und Missverständnisse im Umlauf. Wir aber wollten die tatsächliche Geschichte von HIV und Aids erzählen.“

Denn Fehlinformationen etwa über die Übertragungswege bahnen dem Virus oftmals erst den Weg. Dazu kommen Selbsthass sowie Diskriminierung durch andere. Auch Stagon wurde von Ärzten und Zahnärzten nicht behandelt, obwohl keinerlei Übertragungsgefahr bestand, solange die ganz normalen Hygienestandards eingehalten werden. HIV-Positive verloren ihre Jobs und ihre Wohnungen, manchmal brachen Bekannte und Familie den Kontakt ab. „HIV-positiven Freunden von mir wurde verboten, ihre Nichten und Neffen oder ihre Enkel zu umarmen.“

Berühmtes Plakat: "Silence = Death"

Die Folge dieser Formen von Ausgrenzung: Oft haben Menschen nach Risikosituationen vermieden, überhaupt einen HIV-Test zu machen. „Silence = Death“, Schweigen führt zum Tod, ist deshalb die Kernaussage eines berühmten Plakats der Initiative Act Up, das ebenfalls im Museum zu sehen ist.

Auch in Deutschland wird die erste Phase der Geschichte von HIV und Aids zunehmend zum Thema für Wissenschaftler, Archive und Museen. Denn gerade in dieser ersten Phase hat der gesellschaftliche Umgang mit dem Virus und der von ihm ausgelösten Krankheit bis heute Spuren hinterlassen, sagt Axel Schock, Mitinitiator des Berliner Arbeitskreises „Aids-Geschichte ins Museum“. Er sagt: „Das öffentliche Reden über Sexualität, der Umgang mit Homosexualität, Themen wie Trauerkultur, Patientenmitspracherechte oder die Hospizbewegung, all dies hat sich unter den Bedingungen der HIV-Epidemie weiterentwickelt.“ Deshalb steige auch das Forschungsinteresse jüngerer Wissenschaftler, die analysieren wollen, was genau damals eigentlich geschehen sei.

Auch in Berlin beginnt die historische Forschung

Gleichzeitig droht aber viel Wissen verloren zu gehen, weil die Generation der von der ersten Phase von HIV-Betroffenen nach und nach stirbt, warnt Schock. Der Arbeitskreis hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, möglichst viele Materialien zu bewahren. Anders als das Museum in Fort Lauderdale wendet er sich jedoch vor allem an eine Fachöffentlichkeit und bringt Nachlassgeber mit Archiven zusammen. „Wir wollen sensibilisieren, damit auch private und vermeintlich banale Dinge nicht entsorgt werden“, sagt Schock. Zusätzlich haben Teilnehmer des Arbeitskreises auch selbst Zeitzeugeninterviews geführt und in Kooperation mit der Humboldt-Universität insgesamt zehn Regalmeter an Archivmaterialien zusammengetragen.

Oft finden sich darunter dramatische Geschichten: Von der Mutter eines Kindes etwa, das über Blutprodukte mit dem HI-Virus infiziert wurde und starb. Oder von einem Drogenabhängigen, dem im Gefängnis sogar die medizinische Betreuung verboten werden sollte. „Aus dieser Handlung sprach sicherlich Unsicherheit. Aber es war auch ein Versagen der Gefängnisleitung – und der Gesamtgesellschaft“, kritisiert Schock mit Blick auf die Äußerungen von Politikern wie Peter Gauweiler (CSU), der damals für die Zwangsregistrierung und Isolation von HIV-Positiven eintrat.

"Das Wissen der Leute ist in der Horrorzeit stecken geblieben"

Allem medizinischen Fortschritten zum Trotz sei das gesellschaftliche Bild von HIV nach wie vor von dieser frühen Phase geprägt, argumentiert der Autor und Journalist Martin Reichert in seinem neuen Buch „Die Kapsel“, in dem er sich mit der Geschichte von Aids in Deutschland befasst. „Das Wissen der Leute ist in dieser Horrorzeit stecken geblieben.“

Auch die meisten Bilder, die zu Ikonen wurden, stammen aus dieser Phase. Lady Di etwa, die im Jahr 1987 in einer Krankenstation HIV-Positiven die Hand gab, ohne dabei einen Handschuh zu tragen und damit ein wichtiges Zeichen gegen Angst und Ausgrenzung setzte. Oder der amerikanische Filmstar Rock Hudson, der 1985 nach einer erfolglosen Behandlung in Paris seine Infektion öffentlich machte und niemanden mehr fand, der bereit war, sich mit ihm in ein Flugzeug zu setzen, bis seine Assistentin schließlich einen Jumbojet für eine Viertelmillion Dollar mietete. Auch wenn Hudson dadurch selbst Opfer von Ignoranz und Diskriminierung wurde, war das Thema damit auf den Titelseiten der Zeitungen und Magazine angekommen und führte kurz darauf zur ersten Aids-Spendengala.

In der letzten Phase im Kampf gegen HIV

Dabei, so könnte man argumentieren, nähern wir uns mittlerweile sogar schon der dritten – und möglicherweise letzten – Phase im Kampf gegen HIV. Mit Hilfe von Medikamenten kann die Infektionskette schon früh unterbrochen werden. Dem jedoch stehen nach wie vor die Vorurteile und Ängste aus der ersten Phase entgegen. Alleine in Deutschland leben rund 10.000 Menschen ohne ihr Wissen mit dem HI-Virus, schätzt das Robert-Koch-Institut. Bis Aids bei ihnen ausbricht, kommen viele gar nicht auf die Idee, dass sie infiziert sein könnten, weil sie Aids für eine Krankheit halten, die sie nicht betrifft.

Andere fürchten die Reaktionen ihrer Umgebung und zögern deshalb Test, Arztbesuche oder sogar den Beginn der Therapie hinaus – es könnte ja jemand die Packungen der Medikamente entdecken. So bleibt der Kampf gegen das Stigma auch weiterhin eine der drängendsten Aufgaben der HIV-Präventionsarbeit.

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