„Urananreicherung nach Bedarf erhöht“: Der Iran geht über das Limit
„Ab heute halten wir uns nicht mehr an die 3,67 Prozent“, erklärte der Iran am Sonntag. Das wäre ein Bruch des Abkommens – drei Szenarien, was passieren könnte.
Der Nahe Osten hält den Atem an. An diesem Sonntag will der Iran die Uran-Anreicherung über jene Grenze hinaus steigern, die im Atomabkommen festgelegt ist. Der Iran erklärte am Morgen, dass er sich ab sofort nicht mehr an das im Wiener Atomabkommen erlaubte Limit zur Urananreicherung halten will. „Ab heute halten wir uns nicht mehr an die 3,67 Prozent und unsere Urananreicherung wird je nach Bedarf erhöht“, sagte Regierungssprecher Ali Rabei. „In wenigen Stunden“, in denen einige technische Details geregelt würden, werde der Iran die Anreicherung von Uran auf einen Wert über 3,67 Prozent aufnehmen, teilte gleichzeitig der Sprecher der iranischen Atomenergieorganisation, Behrus Kamalwandi, mit.
Nach dem Ausstieg der USA aus der Vereinbarung vor gut einem Jahr und der absichtlichen Überschreitung des vertraglichen Limits für den Vorrat an schwach angereichertem Uran durch Teheran in den vergangenen Tagen könnte dieser Schritt das endgültige Aus für den Atomdeal von 2015 bedeuten. Eine militärische Konfrontation wird wahrscheinlicher. Drei Szenarien, wie es weitergehen könnte.
Ein neuer Krieg am Golf
Eine Uran-Anreicherung von mehr als 3,67 Prozent, wie im Atomabkommen als Grenze festgeschrieben, heißt zwar nicht automatisch, dass der Iran nach der Bombe strebt – dafür sind mehr als 90 Prozent Anreicherung erforderlich. Präsident Hassan Ruhani sagte aber, die Anreicherung werde ab Sonntag bis zu dem Grad hochgefahren, „den wir wollen“. Und: „Wer auf 20 Prozent angereichert hat, hat 90 Prozent der Arbeitsschritte bis zum waffenfähigen Uran hinter sich“, zitiert die Deutsche Presseagentur Oliver Meier, Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die Mullahs betonen jedoch, sie strebten nicht nach einer Nuklearwaffe. Zudem argumentieren sie, dass sich zunächst die USA aus dem Abkommen zurückgezogen und Sanktionen verhängt hätten – deshalb dürfe der Iran mit einem Teilausstieg antworten.
Doch diese Sichtweise wird kaum geteilt. Teherans Ankündigung könnte also die ohnehin angespannte Lage eskalieren lassen. Donald Trump hat mehrmals erklärt, er werde den Iran an der Entwicklung einer Bombe hindern. Kürzlich befahl der USPräsident schon einmal Angriffe auf Ziele im Iran, blies diese aber nach eigener Darstellung in letzter Minute wieder ab. Diesmal wird Trump möglicherweise anders handeln. Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge stehen am Golf bereit, um Befehlszentralen, Atomeinrichtungen und andere Institutionen der Islamischen Republik unter Beschuss zu nehmen.
Ein US-Einmarsch in den Iran ist nicht zu erwarten. Dennoch dürften auch begrenzte Luftschläge den Iran zu Gegenreaktionen veranlassen. Diese könnten in Angriffen von Marine-Verbänden auf die US-Truppen bestehen oder auch in Terroranschlägen iranischer Verbündeter in der Region, etwa der Huthis im Jemen, pro-iranischer Milizen im Irak und in Syrien oder der Hisbollah im Libanon.
Eine Ausweitung des Konflikts auf andere Teile des Nahen Ostens wäre kaum zu verhindern, vor allem wenn iranische Kontrahenten wie Israel oder Saudi-Arabien eingreifen sollten. Beide eint die Überzeugung, dem Iran Einhalt gebieten zu müssen. Das gilt gleichermaßen für dessen Atomprogramm wie für seinen aggressiven Kurs in der Region. Für den jüdischen Staat steht fest, was zu passieren hat, wenn der Iran gegen die Auflagen verstößt: Die Welt muss handeln, einschließlich der Europäer. Die rief Israels Premier Benjamin Netanjahu kürzlich dazu auf, bei einem Verstoß den im Weltsicherheitsrat vereinbarten Mechanismus automatischer Sanktionen einzusetzen. „Ich sage euch: Tut es, tut es einfach.“
Mit dieser Haltung steht Netanjahu für viele Israelis, die sich durch Irans Regime bedroht fühlen. Teherans Vernichtungsrhetorik wird ernst genommen. Kein Wunder, dass die Opposition ebenfalls die Weltgemeinschaft auffordert, gemeinsam entschlossen gegen den Iran vorzugehen. So sagte Benny Gantz, früherer Chef der israelischen Streitkräfte und heute Vorsitzender des Bündnisses Blau-Weiß: „Ich fordere einen weiten internationalen Pakt, zunehmende Sanktionen und gemeinsame Vorbereitung für den Fall, dass Iran auf seinem gegenwärtigen Kurs verweilen sollte.“
Atomares Wettrüsten in Nahost
Selbst wenn ein militärischer Konflikt vorerst ausbleibt, werden die Spannungen in der Region nicht nachlassen. Die USA dürften weiterhin eine massive Streitmacht am Golf halten. Störungen der Schifffahrt in der Straße von Hormus könnten weltweit den Ölpreis hochtreiben – wie nach den Angriffen auf mehrere Tanker in den vergangenen Wochen bereits geschehen.
Ohne die Beschränkungen des Atomvertrages wird der Iran möglicherweise sein militärisches Nuklearprogramm wieder beschleunigen. Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, hat klargemacht, dass das Königreich in diesem Fall ebenfalls nach der Atombombe greifen wird. SaudiArabien hat sein erstes Kernkraftwerk fast fertiggestellt. Israel ist bereits Nuklearmacht. Auch die Türkei könnte zu dem Schluss kommen, dass ihre Sicherheit nur durch atomare Abschreckung gewährleistet werden kann.
Verhandlungen
Sowohl der Iran als auch die USA haben mehrfach ihre Verhandlungsbereitschaft betont, stellen dafür aber Bedingungen, die für das jeweilige Gegenüber inakzeptabel sind. Dennoch: Trump sieht sich als „Dealmaker“, der – wie im Fall Nordkorea – den direkten Dialog mit dem Gegenüber sucht. Frankreich und die Türkei haben sich als Vermittler angeboten, um einen neuen Krieg am Golf zu verhindern.
Trotz ihrer kriegerischen Rhetorik und trotz des Abbruchs der diplomatischen Beziehungen nach der islamischen Revolution 1979 haben Teheran und Washington schon häufiger bewiesen, dass sie miteinander reden können, wenn es wirklich darauf ankommt. Der in den USA lebende Autor und Iran-Experte Arash Azizi verweist im Gespräch mit dem Tagesspiegel unter anderem auf Kontakte zur Stabilisierung Afghanistans nach dem Sturz der Taliban und auf Gespräche über eine Befriedung des Irak nach der US-Invasion von 2003.
Allerdings herrscht zwischen beiden Seiten seit Jahren tiefes Misstrauen. Azizi betont deshalb, nur dramatische Gesten der Vertrauensbildung könnten eine Grundlage für Verhandlungen schaffen. So könnte Trump seinen Sicherheitsberater John Bolton, den führenden Iran-Hardliner in der US-Regierung, entlassen, sagte Azizi. „Das könnten die Iraner nicht ignorieren.“ Bisher gibt es allerdings keine Anzeichen dafür, dass Trump einen derart drastischen Schritt überhaupt in Erwägung zieht.