Verbot oder Kontrolle?: Der Holzhammer im digitalen Raum
Der Staat sollte besser geltendes Recht durchsetzen, als Messengerdienste zu verbieten. Ein Gastbeitrag.
Franziska Brandmann ist Politikwissenschaftlerin, Vorsitzende der Jungen Liberalen und Beisitzerin im Bundesvorstand der FDP.
Der Messengerdienst Telegram ist der neuen Innenministerin Nancy Faeser ein Dorn im Auge. Einige Personen in Deutschland nutzen die App, um Hassbotschaften, ja sogar Mordaufrufe zu verbreiten. Erst kürzlich wurde bekannt, dass Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer und Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig dort mit dem Tod bedroht wurden. Dabei handelt es sich offensichtlich um Straftaten – deshalb ist es im Grunde richtig, dass sich unsere Innenministerin mit dem Problem beschäftigt. Leider zieht sie die falschen Schlüsse.
So hat Frau Faeser nun die angebliche Verantwortung von Apple und Google herausgestellt, welche die App in ihren Stores zum Download anbieten. Über Twitter appellierte sie an die „gesellschaftliche Verantwortung“ der Konzerne und gab zu verstehen, die Bereitstellung des Messengerdiensts mache Apple und Google zu einer „Form von Brandbeschleuniger für Rechtsextremismus und Verschwörungstheorien“. Als „ultima ratio” denkt sie sogar über ein Verbot oder eine Blockierung von Telegram nach. Das wäre grundfalsch.
Telegram steht auch im Dienst der Freiheit
Messengerdienste wie Telegram und Whatsapp sind eine Innovation, die unzähligen Nutzern weltweit kostenlose Kommunikation und eine schnelle Vernetzung ermöglicht. In Belarus, wo Demonstranten seit Monaten für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in ihrem Land kämpfen und ihr Leben für diese Werte riskieren, ist Telegram laut Tagesschau „die App der Opposition“, weil sie den Freiheitskämpfern ermöglicht, miteinander zu kommunizieren und sich zu organisieren.
Die App ist für sie eine Möglichkeit, sich in einem autoritären Regime auszutauschen. Und diese App soll in Deutschland nun blockiert werden? Das wäre ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger und ein fatales Signal im weltweiten Einsatz für Menschenrechte.
Die Reihe derer, die Telegram bisher verboten haben, ist kurz, dafür aber eine illustre Runde autoritärer Staaten: Nordkorea, China, Russland. Gebracht haben die Bemühungen dieser Regierungen, die Vernetzung der Opposition zu unterbinden – nichts. Die Sperrungen lassen sich mit wenig Aufwand durch die Nutzung von VPN-Servern umgehen. Russland versuchte vor ein paar Jahren, besonders restriktiv gegen Telegram vorzugehen und sperrte Millionen von IP-Adressen. Das Ergebnis?
Andere Internetdienste waren nicht mehr erreichbar, Bezahlsysteme gingen in die Knie, und sogar das Kreml-Museum war betroffen. Russland musste die Sperrungen rückgängig machen, Telegram wird weiter von Oppositionellen genutzt.
Um Straftaten hat sich der Staat zu kümmern
Die Bekämpfung und vor allem Verfolgung von Straftaten ist eine Kernaufgabe unseres Staates. Sie auf Unternehmen abzuwälzen, ist unseriös. Wenn Innenministerin Nancy Faeser nun vermittelt, die Reaktion auf Hassbotschaften und Tötungsaufrufe müsse eine Löschung der genutzten App durch Unternehmen sein, dann vermittelt das vor allem eins: Hilflosigkeit. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum.
Straftaten geschehen online wie offline. Ihre Verfolgung darf nicht vom guten Willen der Betreiber von Messengerdiensten abhängig sein, sondern muss durch den deutschen Staat erfolgen.
Wer davon überzeugt ist, dass ein Messengerdienst massenweise genutzt wird, um Straftaten zu verüben, der sollte nicht über eine realitätsferne Blockierung des Messengerdienstes nachdenken, sondern Polizei und Bundeskriminalamt in die Lage versetzen, auch im digitalen Raum für die Durchsetzung unseres Rechts zu sorgen.
Das BKA muss besser ausgestattet werden
Das Bundeskriminalamt bestätigte bereits, dass es Telegram-Gruppen beobachte. Die Äußerungen der Innenministerin verwundern deshalb: Wenn es die Anzahl der dort wahrgenommenen Straftaten ist, die Nancy Faeser dazu motiviert, über die Schließung des Messengerdiensts zu spekulieren, dann ist der logische Schluss: Das Bundeskriminalamt muss so ausgestattet und für den Umgang mit Straftaten im Netz geschult werden, dass es verübten Straftaten Herr werden kann.
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Der Extremismus-Forscher Matthias Quent stellte auf Twitter zuletzt im Rahmen der Debatte über Telegram eine interessante These auf: „100 engagierte Cybercops, die bei Telegram zwei Monate Beweise sammeln, Anzeigen erstellen, an Türen klopfen und Gerichte, die in Schnellverfahren Strafbefehle verschicken, und das Vertrauen der radikalisierten Milieus in die Plattform ist kaputt.“
Ich bin überzeugt: Es bräuchte nicht einmal Cybercops. Schon eine bessere personelle Ausstattung unserer Polizei und unserer Gerichte würde erreichen, was das Ziel sein sollte: die freie Wahl eines Messengers zu ermöglichen und gleichzeitig keine rechtsfreien Räume zuzulassen.
Franziska Brandmann