Vor der Europawahl 2019: Der EU droht durch den Rechtspopulismus eine Zerreißprobe
Bei der Europawahl 2019 steht der Fortbestand der EU auf dem Spiel. Dagegen müsse entschieden gekämpft werden, warnt Kanzlerin Merkel. Eine Kolumne.
Gemeinhin setzt Angela Merkel ihre Worte vorsichtig und betont nüchtern. Pathos ist nicht ihr Ding. Doch bei dieser Herausforderung greift die deutsche Kanzlerin zu starken Worten. Es drohe eine Entwicklung, „die ins Elend führen würde“. Dagegen müsse entschieden gekämpft werden“, warnte sie. „Das wird ein großer Kampf“, kündigte sie an.
Die Warnung ist berechtigt. Merkels ungewöhnlicher Aufruf zielt auf die Wahlen zum Europaparlament im kommenden Mai. Dabei geht es dieses Mal aber um den Fortbestand der Union selbst. Denn mit dem Aufstieg der Rechtspopulisten formiert sich erstmals eine „sehr gefährliche“ (Merkel) politische Kraft, die das Projekt der europäischen Integration grundsätzlich in Frage stellt.
Schon versprechen deren Exponenten, dass sie alsbald auch die Macht in Brüssel übernehmen könnten. „In ein paar Monaten werden wir gemeinsam mit Viktor Orban Europa regieren“, kündete siegesgewiss Italiens Innenminister und Führer der rassistischen Lega, Matteo Salvini. „Unsere Ideen sind jetzt schon in Ungarn, Österreich, Polen und Italien in der Regierung vertreten“, frohlockte auch Marine Le Pen, Chefin des zur „Rassemblement National“ umbenannten Front National. Ihnen zur Seite steht Steve Bannon, der vormalige Rechtsaußen-Stratege von Donald Trump. Er will mit einer eigens gegründeten Stiftung der europäischen Rechten die digitalen Propaganda-Instrumente andienen, mit denen er auch schon das Referendum über den Brexit befeuerte.
Als stärkste Fraktion im Parlament könnten die Rechtspopulisten die EU-Gesetzgebung sabotieren
Dabei müssen Salvini und seine Mitstreiter keineswegs die absolute Mehrheit erringen, um die angestrebte Auflösung der EU voranzubringen. Schon wenn ihre Parteien gemeinsam die stärkste Fraktion im künftigen EU-Parlament bilden würden, könnten sie die EU-Gesetzgebung so nachhaltig sabotieren, dass die Union kaum noch entscheidungsfähig wäre. Dringend nötige Reformen, etwa zur Stabilisierung des Euro, würden praktisch unmöglich.
Das könnte so kommen, aber es muss nicht. Denn so stark die neue Rechte sich auch gebärdet, so angreifbar sind ihre anti-europäischen Positionen. Von den Schweden-Demokraten über Ungarns Fidesz-Partei bis zu den griechischen Neonazis der „Goldenen Morgenröte“ hat keine der aufstrebenden Rechtsparteien ein konsistentes Konzept, wie sie das wirtschaftlich verflochtene Europa ohne gemeinsame Institutionen und Gesetze regieren wollen. Die Vorstellung, man könne wieder alle Macht den Nationalstaaten übertragen, ist etwa so intelligent wie die von der AfD verbreitete Behauptung, es gebe gar keinen menschengemachten Klimawandel.
Würde man die Gesetzgebung auf EU-Ebene einstellen, würde dies Europas Volkswirtschaften über kurz oder lang in ein tiefe Rezession stürzen. Ohne gemeinsame Gesetze wären die EU-weiten Lieferketten und Vertriebsnetze, auf denen Europas Ökonomie beruht, nicht aufrecht zu erhalten. Schon ein ernsthafter Zweifel am Fortbestand der EU und des Euro würde einen EU-weiten Investitionsstopp auslösen. Darum ist es auch keineswegs Zufall, dass der Brexit bisher keine Nachahmer gefunden hat. Die unendlichen Querelen darum liefern ein beredtes Zeugnis, wie destruktiv es ist, die Integration wieder rückgängig zu machen.
Insofern ist es für die pro-europäischen Parteien eigentlich eine leichte Aufgabe, den Neonationalisten Paroli zu bieten. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sie nicht den Fehler der bisherigen Europa-Wahlen wiederholen, bei denen sie mit schwachen Kandidaten und läppischen Parolen um Stimmen warben. Dies verleitete die Bürger stets dazu, in großer Zahl gar nicht erst wählen zu gehen.
Stattdessen gilt es, sich nicht weiter den Streit um eine fiktive Masseneinwanderung aufzwingen zu lassen, sondern den Wahlkampf für das EU-Parlament endlich auch um die großen europäischen Fragen zu führen. Europas Sozialdemokraten könnten für europäische Gesetze gegen Lohndumping und die Steuerflucht der Konzerne werben. Die Liberalen könnten für den Schutz der Bürgerrechte im digitalen Raum antreten, die auf nationaler Ebene gar nicht durchzusetzen sind.
Die Grünen könnten dafür streiten, die EU-Gesetzgebung vom technokratischen Kopf auf demokratische Füße zu stellen. Und die Konservativen könnten sich für mehr Europa bei Polizei und Militär stark machen, weil es Sicherheit entweder europäisch oder gar nicht geben wird. Würde den Bürgern auf diesem Weg erlaubt, endlich mitzubestimmen, wie das Europa der Zukunft aussehen soll, wäre der Aufstieg der Anti-Europäer bald nur noch eine Episode.