"Fire and Fury": Der Etikettenschwindel des neuen Trump-Buchs
"Fire and Fury" wird aus den falschen Gründen gelobt. Die "Enthüllungen" sind nicht neu. Gut beschreibt Michael Wolff aber die Selbstzerstörung in Trumps Team.
Die Dinge sind nicht so, wie sie nach außen dargestellt werden. Nicht im Weißen Haus unter Donald Trump. Aber auch nicht in dem Buch, das seit Tagen die Schlagzeilen beherrscht, weil es angeblich die Wahrheit über seine Präsidentschaft enthüllt. Es gehört zu den Rätseln unserer Zeit, warum so viele Medien sich immer wieder für irreführende Vermarktungsstrategien von Buchverlagen einspannen lassen.
Episches Ringen zwischen Bannon und Trumps Familie
„Fire and Fury“ von Michael Wolff ist ein durchaus hilfreiches Buch. Auf gut 320 Seiten, die sich zügig und amüsant lesen, schildert er die Machtkämpfe verschiedener Lager im Weißen Haus in den ersten neun Monaten der Präsidentschaft und bietet tiefere Einblicke, warum diese Präsidentschaft so verkorkst verläuft - Gründe, die über die offenkundigen charakterlichen Schwächen Trumps hinausgehen. Wolff beschreibt sie als episches Ringen zwischen Steve Bannon, dem langzeitigen rechtspopulistischen Chefstrategen, und der „Jarvanka“-Fraktion. Das Kunstwort setzt sich aus den Vornamen von Schwiegersohn Jared Kushner und Tochter Ivanka zusammen.
Wolff erinnert daran, warum es für Trump so schwierig ist, gutes Personal für wichtige Regierungsposten zu finden. Trump war ein „unwahrscheinlicher Kandidat“, an dessen Sieg niemand glaubte, nicht einmal er selbst, auch nicht seine Familie. Die guten Leute gehen zu den aussichtsreichen Favoriten. Bei denen wäre Bannon mit seinem Mittelmaß nichts geworden; an Personen wie Jared und Ivanka hätten seriöse Kandidaten keine politische Verantwortung übertragen.
Gegenseitige Vernichtung im Weißen Haus
Nun aber haben Bannon und Jarvanka Einfluss und bekämpfen sich immer erbitterter, zum Schluss mit dem Ziel der politischen Vernichtung, weil sie jeweils davon überzeugt sind, dass die Gegenseite mit ihren strategischen Fehlern ungewollt Trumps Sturz herbeiführen wird. Ebenso rücksichtslos wird gegen alle intrigiert, die im Ruf stehen, Parteigänger der Gegenfraktion zu sein. Mal hat die eine, mal die andere Seite die Oberhand, je nachdem wer gerade Trumps Ohr hat und ihn überzeugen kann, dass die Gegenseite seinem Ruf und seinen Interessen soeben geschadet hat.
Wolff folgt im Wesentlichen Bannons Sicht der Dinge, auch wenn er dessen politische Ziele und Methoden zwischendurch verurteilt. Bannon habe mehr Weitsicht und gehe strategischer vor. Jarvanka agieren wie Laien, die unvorbereitet auf der Weltbühne stehen.
Mit der Entlassung des FBI-Chefs beginnt das Verhängnis
In dieser Interpretation ist das Feuern des FBI-Chefs James Comey im Mai Jarvanka anzulasten, ebenso die Berufung des Selbstdarstellers Anthony Scaramucci als Kommunikationsdirektor im Juli, der nach wenigen Tagen wieder gehen muss. Bannon schadet sich, wenn er sich nach außen als das „Supergehirn“ darstellt und so tut, als könne er Trump dirigieren.
Immer wenn Jarvanka in der Defensive sind, kann Bannon seine Ziele durchsetzen, etwa Trumps Ankündigung am 1. Juni, die USA würden aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen, nach dem Comey-Desaster. Oder die Beschränkung des Zugangs von Jared und Ivanka zu Trump nach dem Scaramucci-Desaster, als John Kelly neuer Stabschef wird.
Die "Fliege an der Wand" als Augenzeuge
Wolff behauptet im Vorwort, er habe das alles mit eigenen Augen und Ohren im Weißen Haus miterlebt, „wie eine Fliege an der Wand“. Trump habe die Idee, dass ein Journalist die ersten Monate der Präsidentschaft von innen protokolliert, anfangs gut gefunden. Später habe niemand mehr zu fragen gewagt, warum Wolff dabei sei.
Das Buch vermittelt einen anderen Eindruck. Wenn Wolff Szenen und Gespräche mit farbigen Details ausschmückt, haben sie zumeist außerhalb des Weißen Hauses stattgefunden. Zum Beispiel ein Abendessen mit Bannon und Roger Ailes, dem früheren Chef des TV-Senders Fox, der über Vorwürfe sexueller Belästigung stürzte, Anfang Januar in einem Reihenhaus gemeinsamer Freunde in New York. Oder ein Get-together mit wenigen Freunden in Bannons kleinem Appartment in Arlington, einem Vorort der Hauptstadt, am 20. Juli, bei dem Bannon ausführlich über Jared und Ivanka herzieht, während seine Assistentin, Alexandra Preate, chinesische Speisen reicht. Genau genommen, kann man nicht sicher sein, ob Wolff dabei war oder sich die Dialoge von einem Teilnehmer hat erzählen lassen.
Bei der Lektüre drängt sich allmählich die Frage auf: Mit wem außer Bannon hat Wolff denn nun wirklich ausführlich und kontinuierlich gesprochen?
Hat Wolff den Präsidenten interviewt? Er weicht aus
Unter US-Kollegen hat Wolff den Ruf, es mit der Sorgfalt nicht so genau zu nehmen. Trump und seine Frau Melania bestreiten die ihnen zugeschriebenen Zitate. Trump sagt, er habe kein Gespräch mit Wolff für das Buch geführt. Wenn der Autor im Fernsehen gefragt wird, ob er den Präsidenten im Weißen Haus interviewt habe, antwortet er ausweichend: Er habe mit Trump insgesamt drei Stunden während des Wahlkamps und nach der Inauguration gesprochen. Vielleicht habe der nicht bemerkt, dass dies eine Interview-Situation gewesen sei.
In Vorveröffentlichungen war von einem ausführlichen Bannon-Interview die Rede, im Buch nicht. Die Zitate, die jetzt Schlagzeilen machen, muss man suchen. Unter den Kapitelüberschriften, unter denen man, zum Beispiel, die Aussagen zu Kushners Geschäften mit der Deutschen Bank und mit Russland vermuten würde - „Russia“ oder „Comey“ – wird man nicht fündig. Das Buch hat zwar ein Schlagwort-Register, aber ohne Seitenangaben. Der daran interessierte Leser ist mit dem eBook besser bedient. Es hat eine Suchfunktion.
Jared Kushners Firma ist angeblich in Geldwäsche verwickelt
Ein Großteil der Zitate, mit denen der Verlag nun, fünfeinhalb Monate später, die Werbetrommel rührt, ist im Kapitel „Bannon und Scaramucci“ unter dem Datum 20. Juli zu finden. Wolff erzählt chronologisch, nicht nach Themengebieten geordnet. Bei dem Get-together mit Freunden habe Bannon gesagt, Ivanka sei „dumm wie ein Ziegelstein“. Und die Immobilienfirma der Kushner-Familie sei tief in Russland-Geschäfte und Geldwäsche verwickelt. Bannon spottet im Anschluss über Trumps Naivität; der glaube, er könne die Ermittlungen, sobald sie seine Familie betreffen, beliebig stoppen, weil er Präsident sei. Sonderermittler Robert Mueller habe erst kürzlich einen Spezialisten für Geldwäsche, Andrew Weissmann, in sein Team geholt. „Es geht um die Deutsche Bank und den ganzen Kushner-Scheiß. Der Kushner-Scheiß ist schmierig.“
Trump rede sich ein, der Sonderermittler dürfe die privaten Finanzen der Familie des Präsidenten nicht untersuchen. Und er könne diesen Mueller jederzeit feuern. Am Tag zuvor habe Trump auf Drängen von Jarvanka der „New York Times“ ein Interview gegeben, ohne seine Kommunikationsdirektorin Hope Hicks auch nur zu informieren. In dem Gespräch fordert der Präsident seinen Justizminister Jeff Sessions auf, zurückzutreten. Er nimmt ihm noch immer übel, dass der sich wegen eigener Russland-Kontakte für befangen erklärte und die Tür für die Ernennung eines Sonderermittlers öffnete. Und Trump droht Mueller, er solle keinesfalls die Finanzen seiner Familie unter die Lupe zu nehmen; das sei „eine rote Linie“.
"Die Tochter bringt den Vater zu Fall"
Bannon ist entsetzt. Dieses Vorgehen könne zum Impeachment führen. Und falls Trump Mueller entlasse, werde sein Nachfolger den Auftrag erhalten, jetzt erst recht die Finanzen der Familie zu untersuchen. Bannon sieht eine Tragödie von Shakespeare’scher Tragweite auf Trump zukommen. „Die Tochter bringt den Vater zu Fall.“ Aus Furcht, selbst in die Mühlen der Sonderermittlungen zu geraten, drängen Jarvanka den Präsidenten zu verhängnisvollen Schritten: Comeys Entlassung, Sessions Entlassung, vielleicht auch Muellers Entlassung. Zunächst muss freilich Bannon gehen. Die Familienbande sind Trump am Ende wichtiger als die Weitsicht seines Chefstrategen.
Die Schilderung der zerstörerischen Binnendynamiken in Trumps Weißem Haus sind das eigentlich Interessante an Wolffs Buch. Das Schlagzeilenfutter – wer hat Trump gerade mal wieder einen Idioten genannt, sein Desinteresse an den Sachproblemen beklagt oder dunkle Andeutungen zu seinen Russland-Geschäften gemacht – hat man schon vor den angeblich neuen Enthüllungen unzählige Male von anderen gehört. Und wird sie weiter hören.
Christoph von Marschall ist erster Helmut-Schmidt-Fellow der ZEIT-Stiftung und des German Marshall Fund of the United States (GMFUS) und arbeitet derzeit in Washington an einer Studie über die Zukunft der Transatlantischen Beziehungen.