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Er genießt den Triumph im Machtkampf lieber leise: Trumps neuer Stabschef John Kelly.
© Joshua Roberts / Reuters

Aufräumen im Weißen Haus: Das große Ablenkungsmanöver

Der Wirbel um den Abgang Scaramuccis kommt Trump in der Affäre um die Russlandkontakte seines Sohns zu Gute. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Das ging schnell. Und natürlich wird jetzt, da das Großmaul überraschend schnell gestürzt ist, überall Spott über Anthony Scaramucci ausgegossen. Der Mann mit dem Styling, als wolle er einen Mafioso imitieren. Der Mann mit der Gossensprache. Mit dem Familiennamen, der in der Commedia d'ell arte im Herkunftsland Italien für eine Spottfigur steht, den Gernegroß ("Scaramuz"), über den sich die Anderen lustig machen. Das passt zu einem Kommunikationsdirektor, der die unbedingte Rückendeckung des Präsidenten zu haben glaubte, aber bereits 14 Tage vor seinem offiziellen Arbeitsbeginn gefeuert wurde.

Ablenkung durch Äußerlichkeiten: Spitzname "The Mooch"

Und dann der Spitzname "The Mooch". Den hat er sich gewiss nicht wegen seiner volksmundlichen Bedeutung in den USA ("Schnorrer", "Herumlungerer") zugelegt. Sondern er ist, wie das in der Einwanderernation oft geschieht, in einer Verballhornung des für Amerikaner schwer aussprechbaren ausländischen Namens an ihm hängen geblieben. Als Scaramucci dann als Investmentmanager reich und erfolgreich war, hat er diesen Spitznamen wie einen Orden vor sich hergetragen: Seht her, ich hab's geschafft.

Generell gilt: Die Zusammenhänge sind vielleicht doch nicht so, wie sie auf den ersten Blick scheinen - das gilt für einige Aspekte des großen Aufräumens im Weißen Haus in den jüngsten Tagen. Zum Beispiel die Theorie von der raffiniert eingefädelten Operation Personalwechsel im Weißen Haus. Scaramucci sei benutzt worden wie eine Mordwaffe, die man hinterher entsorgt: Er sollte den Sturz des in Ungnade gefallenen Präsidentensprechers Sean Spicer und des Stabschefs Reince Priebus herbeiführen und dann selbst fallen. Nur: Warum sollte der Präsident ein Werkzeug brauchen, um Untergebene zu feuern? Das kann er jederzeit - und zudem wirkt er mächtiger, wenn er es selbst tut, als es durch unangenehme Dynamiken wie Scaramuccis Vulgär-Ansprache geschehen zu lassen.

Suche nach den Stillen, nicht nach den Lauten

Es wird dauern, bis sich dank der Recherchen der US-Medien und der inoffiziellen Tipps von Eingeweihten ein einigermaßen verlässliches Bild der Abläufe und Wirkungsmechanismen herausbildet. Und natürlich werden auch da einige absichtsvoll falsch gelegte Fährten dabei sein, die erst einmal entlarvt und aussortiert werden wollen.

Wenn etwas besonders laut behauptet wird, muss es nicht richtig sein, zumal wenn es von notorischen Lautsprechern kommt. Siehe Scaramucci, der öffentlich so tat, als sei er unantastbar. Siehe Donald Trump, der tweetete, es sei nicht richtig, dass "Chaos im Weißen Haus" herrsche. Wenn er sich die Mühe macht, einen sich aufdrängenden, für ihn negativen Eindruck zu bestreiten, darf man in der Regel vermuten, dass dieser Eindruck zutrifft.

Der wahre Sieger ist Ex-General Kelly

Die wahren Sieger sollte man in Trumps Weißem Haus unter den Stillen suchen. Sie genießen ihren Erfolg schweigend, wohl wissend, dass er durch neue Machtkämpfe bald wieder in Frage stehen kann. Das gilt ganz voran für den neuen Stabschef John Kelly. Der kampferprobte Ex-General der "Marines" weiß, worauf es ankommt und dass man sich die unverzichtbaren Arbeitsbedingungen zusichern lässt, ehe man den Job annimmt. Scaramuccis Entlassung war Teil dieser Abmachung, ist aus dem Weißen Haus zu hören.

Das erinnert an Aufstieg und Fall des früheren Trump-Flüsterers Stephen Bannon. Der nationalpopulistische Chefstratege wollte in den Nationalen Sicherheitsrat (NSC), obwohl strategische Politikberater in dem Gremium, das über Krieg und Frieden entscheidet, nach traditionellem Verständnis in den USA nichts zu suchen haben. Der erste Nationale Sicherheitsberater Mike Flynn konnte Bannon nicht verhindern. Er war durch seine Russland-Kontakte und die Art, wie sie öffentlich wurden, angeschlagen. Als Flynn stürzte und Trump einen Nachfolger unter den Militärs suchte, machte einer nach dem anderen zur Bedingung, dass Bannon den NSC verlässt. So kam es auch. Der neue Sicherheitsberater Herbert Raymond McMaster setzte Bannons Abstieg durch.

Wer nach Vernunft und "No Nonsense" in Trumps Weißem Haus sucht, landet bei den Militärs: Verteidigungsminister Jim Mattis, dem Nationalen Sicherheitsberater Herbert Raymond "H.R." McMaster - und bei John Kelly, bisher Heimatschutzminister, jetzt Stabschef.

Tochter Ivanka und Schwiegersohn Jared werden Kelly untergeordnet

Kelly hat noch etwas weit Wichtigeres durchgesetzt als Scaramuccis Abgang - und das droht im oberflächlichen Spott über den Sturz des "Mooch" unterzugehen: Trump-Tochter Ivanka und Schweigersohn Jared Kushner werden dem Stabschef untergeordnet. "They are going to report to him." Offiziell führt ihr Zugang zu Trump von nun aber über Stabschef Kelly.

Bisher hatten die Familienmitglieder überdurchschnittlichen Einfluss im Weißen Haus. Sie haben leichteren Zugang zum Präsidenten als andere Berater. Und in einer Atmosphäre des Machtkampfes zwischen den "Realos" um den gestürzten Stabschef Priebus und den Populisten um Stephen Bannon sowie unklarer Hierarchien eröffneten sich Ivanka und Jared zusätzliche Einflussmöglichkeiten.

Trump hat erfahren: Die eigene Familie kann ihm gefährlich werden

Kelly wird sich keine Illusionen machen: Offizielle Hierarchien sind das Eine, das tatsächliche Leben ist das Andere. Auch künftig wird der Präsident mit Familienmitgliedern anders umgehen als mit anderen Beratern; auch künftig haben sie einfacher Zugang zu ihm. Aber eine Grenze ist gezogen.

Und das dürfte leichter gefallen sein, seit offenkundig ist, dass die Familienbande Trump politisch gefährlich werden können, zum Beispiel in der Russland-Affäre. Trump-Sohn Donald - der freilich keine Beraterfunktion im Weißen Haus hat - muss vor den Untersuchungsausschüssen aussagen. Auch Schwiegersohn Jared Kushner ist durch seine Verschleierungsversuche beschädigt.

Parallel kommt heraus: Der Präsident hat gelogen

Und parallel zu all dem Hype um Scaramucci ist dem Präsidenten eine Lüge nachgewiesen worden. Als vor drei Wochen ans Licht kam, dass Trump-Sohn Donald im Wahlkampf ein Treffen mit einer russischen Anwältin arrangiert hatte, die ihm schmutziges Material gegen Hillary Clinton versprochen hatte, sollte der Präsident aus der Affäre herausgehalten werden. Also behaupteten er und seine Umgebung, dass Trump davon nichts gewusst habe - ja, er habe nicht einmal Einfluss auf die offizielle Stellungnahme des Sohnes Trump Jr. zu den Vorwürfen genommen; schließlich sei er damals beim G-20-Treffen in Hamburg und dann auf dem Rückflug gewesen. Nun heißt es, Trump habe diese Stellungnahme persönlich diktiert.

Da kommt ihm die ganze Aufregung um Scaramucci gerade recht: Sie lenkt die Öffentlichkeit ab und hilft, dass nicht ganz so viel Aufhebens um eine öffentliche Lüge des Präsidenten gemacht wird.

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