Heimlicher Wahlsieger „Die Partei“: Der Erfolg macht die Spaßpartei ein wenig ernst
„Die Partei“ ist bei den Jungwählern drittstärkste Kraft. Neu gewählt ist auch Nico Semsrott – der gibt sich nachdenklich, man sei nur eine Notlösung.
Der Späti gegenüber profitiert stark an diesem Wahlabend – noch bevor es die ersten Hochrechnungen von ARD und ZDF gibt. Immer wieder verlassen Menschen die Warteschlange vor dem „SO36“ in Berlin-Kreuzberg, um sich beim Kiosk gegenüber mit frischem Bier zu versorgen. Ein gutes Geschäft für dessen Betreiber.
T-Shirts, Jeansjacken, Antifa-Button
Im „SO36“ feiert „Die Partei“ dieses Jahr ihre Wahlparty, kurz nach 17.30 Uhr strömen die ersten der rund 300 Wartenden hinein. Einige tragen anthrazit-graue Billiganzüge und rote Krawatten, eine Art Uniform für ganz treue „Partei“-Gänger. Die meisten sind aber in Alltagsklamotten gekleidet, T-Shirts, Jeansjacken, Antifa-Buttons. Die Stimmung ist heiter, ausgelassen. Normales „SO36“-Publikum. Hier in dieser Konzerthalle an der Oranienstraße treten in der Regel keine Politiker auf, sondern Punk-Bands, legendäre Gruppen wie die „Dead Kennedys“ waren schon zu Gast hier.
Punk – das ist auch „Die Partei“, ein bisschen zumindest. So richtig passt das Label nicht, vor allem nicht mehr seit diesem Wahlsonntag. Inzwischen könnte man „Die Partei“ schon fast zum Brüsseler Establishment zählen. Nicht ganz natürlich. Aber immerhin schafft die als „Satirepartei“ bekannt gewordene Vereinigung den Wiedereinzug ins EU-Parlament - und verdoppelt sogar die Anzahl ihrer Sitze auf mindestens zwei.
"Schluss mit lustig"
„Ich freue mich sehr, dass Nico jetzt mit nach Brüssel kommt“, ruft Spitzenkandidat Martin Sonneborn, der die Partei 2004 gegründet hat. Er schafft den Einzug 2014 zum ersten Mal, damals mit 0,6 Prozent. Jetzt erreicht die „Partei“ rund zwei Prozentpunkte mehr und damit wird auch der Kabarettist Nico Semsrott, der regelmäßig in der ZDF-„heute show“ auftritt, einen Platz im Brüsseler Parlament erhalten. Vielleicht gibt es sogar noch einen dritten Sitz, das stellt sich noch heraus. Goebbels und Göring werden aber wohl nicht einziehen, auch wenn deren Namen auf den Plakaten der „Partei“ prangten.
Stattdessen könnte die Kandidatin Lisa Bombe künftig neben Sonneborn und Semsrott sitzen – sie steht auf Listenplatz 3. Man wird es sehen. Sonneborn und Semsrott gehen kurz nach den ersten Hochrechnungen fest davon aus, dass es klappt.
Auf der Bühne stehen an diesem Abend aber vorerst nur die beiden Männer. „Schluss mit lustig“, ist hinter ihnen in großen weißen Lettern zu lesen. Doch „lustig“ geht es auf der Bühne trotzdem zu. Ob sie nun 2,6 Prozent erhalten werden oder vielleicht doch noch auf 3,8 zulegen werden - „Scheiß egal“, ruft Sonneborn.
Dass „Die Partei“ gestärkt aus dem Wahlabend hervorgeht, ist ohnehin die wichtigste Nachricht. Semsrott werde von nun an die Arbeit für Sonneborn übernehmen, sagt der. Denn er, Sonneborn, wolle sich in Brüssel zur Ruhe setzen. Es sind die typischen Witze im Stil des Satire-Magazins „Titanic“, die das „Partei“-Publikum zuverlässig zum Lachen bringen. Die Zuschauer klatschen, johlen, recken Bierflaschen in die Höhe. Ein Hauch von Punk-Konzert liegt in der Luft. Die Menge skandiert: „Nico! Nico! Nico!“
Platz 3 bei Jungwählern
Am stärksten gejubelt an diesem Abend wird jedoch gleich zu Beginn der Wahlparty. Eigentlich sind alle hierhergekommen, um etwas zu sehen, das den Rest der Republik in aller Regel so gut wie nicht interessiert: den Balken mit den „Sonstigen“, der in den Hochrechnungen im Fernsehen die Ergebnisse der Kleinparteien zusammenfasst. Darauf blickt man in der „Partei“ natürlich am meisten. Doch hier im „SO36“ interessiert sich das Publikum überraschenderweise auch für die ersten, die höheren Balken, die von Union und SPD.
Als die um 18 Uhr dann aber gezeigt werden und nicht sehr hoch ausfallen, sondern recht schnell stecken bleiben, tobt die Menge. So wie Union und SPD ihre schweren Niederlagen betrauern an diesem Abend, sind die Verluste der Volksparteien für die Anhänger der „Partei“ der größte Grund zur Freude.
2,4 Prozent der Stimmen hat „Die Partei“ geholt. Eine Sensation, die im Laufe des Abends dann auch weit außerhalb der inzwischen fast überfüllten Konzerthalle des „SO36“ wahrgenommen wird. Den anderen Parteien sollte zu denken geben: Vor allem bei den Jungwählern ist die „Partei“ der Hit. Bei Erstwählern und unter 30-Jährigen belegt sie jeweils den dritten Platz, mehr Stimmen als FDP und Linke holen sie bei diesen beiden Wählergruppen. Sie sind gleich auf mit der SPD.
Solche Feinheiten sind im „SO36“ allerdings egal. Inzwischen läuft Musik, immer mehr Bierflaschen stehen herum, über den Tresen werden Schnäpse gereicht, Sonneborn-Fans machen Selfies mit ihrem Idol. Alles nur Spaß also?
"Die schlechte Politik der anderen"
So scheint es dann doch nicht an diesem Abend. Vor allem Nico Semsrott schlägt zwischendurch nachdenkliche Töne an. Er spielt dabei nicht die Rolle des Depressiven, der wie in der „heute show“ so bitterlich monotone Vorträge hält, dass es zum Lachen ist. Im Gespräch wirkt Semsrott gut gelaunt, bleibt aber ernst, wie einer der Respekt hat vor dem, was als künftigen EU-Abgeordneten auf ihn zukommt.
Der Grund für den Erfolg seiner Partei? „Der Rezo-Effekt im Kleinen“, sagt er dem Tagesspiegel. „Die schlechte Politik der anderen“ spiele der „Partei“ zwar in die Hände. Es stecke aber noch mehr dahinter: Was die „Partei“ im Wahlkampf biete, „das hör ich mir freiwillig an“, sagt Semsrott. Er meint: Wie der YouTuber Rezo bereite „Die Partei“ ihre Inhalte „lustig, kurz und prägnant“ auf. Plakate mit einer Aufschrift wie „Flüchtlingsstrom statt Braunkohle!“ zählen dazu oder auch die tragisch-komischen Ansprachen von Semsrott, die ähnlich einschlagen wie die Videos von Influencern in den Sozialen Medien.
Union und SPD werden in den kommenden Tagen jede Menge damit zu tun haben, ihre schweren Wahlniederlagen auszuwerten. Vor allem auf den Wahlerfolg der Grünen werden sie dann schauen und sich fragen, was sie von denen lernen können. Geht es nach Semsrott, sollten die Großen auch mal „Die Partei“ anschauen. Die sei nur eine „Notlösung“. „Wir springen ein für ein System, das kippt“, sagt Semsrott mit Blick auf die Krise der Volksparteien. „Aber never ever sind wir die Lösung.“