Barack Obamas Rede an die Nation: Der entzauberte Präsident
Nach einem schlimmen Jahr will US-Präsident Barack Obama mit einer großen Rede neuen Schwung in alte Versprechen bringen. Die Menschen sollen wieder darauf vertrauen: Yes, he can. Aber kann er noch?
Es ist einer dieser bitterkalten Tage in der amerikanischen Hauptstadt, Januar 2014, und Barack Obama gönnt sich eine Auszeit. Er sitzt hinter seinem Schreibtisch im Oval Office und blättert in einer Akte, die „geheim“ gestempelt ist, als sich die Tür öffnet und David Remnick hereingeführt wird. Remnick ist Journalist und einer der wenigen Beobachter, die noch Zugang zum Präsidenten haben, er hat seine Begegnungen gerade aufgeschrieben. „Ich habe mir etwas Ruhe genommen“, sagt Obama, „aber die Arbeit wartet.“ Es klingt wie eine Entschuldigung. Aktenlesen fühlt sich für ihn an wie Entspannung, ein Moment, in dem keine Kameras auf ihn gerichtet sind, in dem ihn nicht die Weltöffentlichkeit hetzt, Irak, Iran, Afghanistan, Syrien, Snowden, Gesundheitsreform… Und für alles soll ein einzelner Mann verantwortlich sein.
Das Amt hat den Präsidenten verändert. Er ist grau geworden, die Falten sind tiefer, seine Auftritte wirken mechanisch und seine Reden uninspiriert. In ihnen liegt der immer gleiche Sound von Historie und Pathos, ganz egal, über welches Thema er spricht. Barack Obama ist ein müder Präsident.
Zauber des Aufbruchs
„Wir leben in einer sich schnell verändernden Kultur“, sagte Obama. „Nach den fünf, sechs Jahren, die ich auf der Bühne der Nation stand, wollen die Leute vielleicht etwas anderes. Die Menschen fragen sich, ob es da draußen jetzt einen anderen gibt, der ihnen den Funken der Inspiration geben kann.“
Ein anderer? War es nicht Obama, der inspirieren sollte, der anders sein wollte als das Establishment, ein Messias, der kam, das politische System der USA zu erneuern? Der erste schwarze Präsident? Der Zauber des Aufbruchs ist verflogen. Obama spricht über seinen Nachfolger.
An diesem Dienstag wird der US-Präsident wie jedes Jahr eine Rede an die Nation halten. Es ist eine besondere Rede, vielleicht ist es seine wichtigste Ansprache seit langem, seine Schreiber feilen seit Wochen daran. Sie könnte die verbleibenden drei Jahre seiner Amtszeit definieren. Die Stimmung im Land ist schlecht, Obama muss den Menschen wieder etwas davon geben, was sie an ihm geliebt haben: Das Gefühl, dass er all ihre Wünsche erfüllen könne. Yes, he can. Aber kann er noch?
Sein Jahrhundertwerk drohte zu scheitern
2013 war das schlimmste Jahr seiner Präsidentschaft. Edward Snowden hat die Geheimnisse der NSA gelüftet, es gab den Chemiewaffeneinsatz in Syrien, im Oktober stand Amerika kurz vor dem Bankrott. Und dann drohte sein Jahrhundertwerk, die Gesundheitsreform, an der Unfähigkeit von ein paar Programmierern zu scheitern. Obamas Zustimmungswerte sind heute auf das Niveau von George W. Bush gefallen, nur noch 42 Prozent der Amerikaner vertrauen ihm. Barack Obama droht das Schicksal, als unbeliebtester Präsident seit Jahrzehnten in die Geschichte einzugehen. Was für ein tiefer Fall.
Ausgerechnet er. Es war doch dieses spezielle Talent, das Barack Obama die Türen öffnete und ihn bis in die Pennsylvania Avenue getragen hat. Sein Lachen, sein bissiger Witz. Die Menschen entwickelten Hoffnung durch seine Hingabe. Selbst politische Gegner mochten seine Energie und Durchsetzungskraft.
Wie an jenem Samstag im März 2006. Im „Capital Hilton Hotel“ in Washington streift der junge Senator aus Illinois lässig durch den Dinner-Saal. Obama ist erst 44 Jahre alt und außerhalb Chicagos weitgehend unbekannt. An diesem Abend aber soll er die Ansprache für die Demokraten beim traditionsreichen „Gridiron Club Dinner“ halten. Er trägt einen schwarzen Frack, Krawatte und sein breites ansteckendes Lächeln.
Für große Teile des Landes schien er eine Erlösung zu sein
Obama tritt ans Mikrofon und berichtet den Leuten von einer neuen Studie, die besage, wie sehr Sex vor einer öffentlichen Rede helfe. Was seine Frau Michelle dazu gesagt habe? Sie habe ihm geraten, sein Bestes zu geben. Das Publikum lacht. Was Hillary Clinton und John McCain gemeinsam hätten? Beide verfügten über brillanten Intellekt und seien gleichermaßen verhasst bei den Republikanern. Lachen, Applaus. In einem Atemzug hat er damit zwei Rivalen erledigt. „Ich möchte allen für die Vorschusslorbeeren danken, die ihr mir in der Annahme einer erfolgreichen Karriere gegeben habt“, sagt Obama zum Abschied. „Wenn ich wirklich einmal etwas Relevantes mache, dann lasse ich es euch wissen.“ Was für ein Auftritt.
Für große Teile des Landes schien der Mann aus Illinois, als er 2008 Präsidentschaftskandidat war, eine Erlösung zu sein. Obama kam und bot eine Versöhnung an, zwischen Schwarz und Weiß, Reich und Arm, Demokraten und Republikanern. Nach den dunklen Bush-Jahren und der missglückten Kandidatur von John Kerry trat einer an, der mit Charme und Hingabe idealistische Ziele wie Gerechtigkeit und Gleichheit vertrat. Obama erreichte mit historischen Ausflügen nach Seneca Falls, wo 1848 die Frauen um ihre Rechte gekämpft hatten, mit der Erinnerung an die Märsche der schwarzen Bürgerrechtsbewegung die Herzen von Mehrheiten wie Minderheiten.
Bei seinem Amtsantritt im Januar 2009 standen 69 Prozent der Bevölkerung hinter dem Präsidenten, 27 Prozent hat er seitdem verloren. Demoskopen sagen, dass es statistisch fast unmöglich ist, einen solchen Absturz umzudrehen.
Obama ist hart geworden
Dabei gab es in der Zeit dazwischen viele Erfolge. Obama ist Friedensnobelpreisträger, er hat den Iran an den Verhandlungstisch gebracht, ein historischer Durchbruch. Er hat in Syrien die Vernichtung der Chemiewaffen erzwungen, wenn auch geprägt durch desaströses Agieren. Die Kriege in Afghanistan und Irak hat er beendet, die Soldaten sind auf dem Weg nach Hause. Die Wirtschaft ist stabiler als noch vor vier Jahren, es gibt Jobs und das Silicon Valley ist heute unangefochten der wohl innovativste Ort der Welt. Obama reist durch das Land und wirbt für gleiche Rechte für Lesben und Schwule, bessere Bildung für Schwarze und für die Stärkung der Mittelklasse. Aber die Minderheiten danken es ihm ebenso wenig wie die Mehrheit.
Im Weißen Haus residiert ein Mann, der hinter seinem schwarzen Zaun das Volk nicht mehr erreicht und der immer öfter von seinen Beratern nicht mehr erreicht wird. Obama ist hart geworden, sein Lachen aufgesetzt. Er hat fast seine gesamte Regierungsmannschaft einmal ausgetauscht. Die, die immer noch da sind, haben die dunkle Seite des Präsidenten erlebt. Wenn er arrogant wird, seine eigenen Leute belehrt und unter Druck ein wenig schönes Gesicht zeigt.
Ist er selber noch für etwas zu begeistern?
Das wurde schon im Wahlkampf 2012 zum Problem, als ihn der Republikaner Mitt Romney herausforderte. Am 14. Oktober 2012, einen Monat vor der Wahl, trimmen David Axelrod und David Plouffe, seine beiden wichtigsten Berater, Obama in der Endphase des Wahlkampfs. In einem Resort in Virginia beobachten sie den Präsidenten 48 Stunden vor dem zweiten Fernsehduell in einem Probestudio. Beim ersten Duell hatte er sich wie ein uninteressierter und pedantischer Oberlehrer präsentiert. Die Umfragen reagierten sofort.
Teilnehmer des Wochenendes haben die nervöse Vorbereitung den Journalisten Mark Halperin und John Heilemann geschildert, die sie in ihrem Buch „Double Down“ beschrieben.
In blauem Blazer und Kakihosen streitet Obama demnach an dem Sonntag mit Kerry als Romney-Double. Wieder bricht der Oberlehrer durch. Und als Kerry anhebt, wird Obama arrogant. „Unterbrich mich nicht“, faucht er und fordert eine Duell-Unterbrechung. Er ist nicht in der Lage, das politische Theater zu spielen, das die große Bühne Amerika von ihm erwartet. Heute verabscheut er die Rituale, die ihn ins Weiße Haus gebracht haben. Direkt vor der Sendung findet Obama seine alte Rolle wieder. „Jungs, ich werde heute Abend gut sein“, wirft er Plouffe und Axelrod zu. Er gewinnt das Duell.
Bislang hat es Obama noch immer geschafft, mit eiserner Disziplin die Menschen um ihn herum zu begeistern. Die Frage ist, ob Obama selber noch für etwas zu begeistern ist. Oder ob er, wie Bush und andere Präsidenten vor ihm, die zweite Amtszeit nur noch bis zum Ende verwaltet, ohne Esprit, ohne Vision. Das Lächeln, einst seine Zauberwaffe, ist ihm längst vergangen.
Obama wollte das System schleifen, aber am Ende gewinnt das System
An großen Plänen mangelt es nicht. Vor einem Jahr, im Januar 2013, hat Obama in der Rede zu seiner zweiten Amtseinführung eine liberale Kampfansage an die konservative Hälfte des Landes gehalten. Er versprach eine Reform der Immigrationsgesetze. Eine Verbesserung der Wahlrechte malte Obama seinen Anhängern aus, eine schärfere Kontrolle der Waffen, eine zukunftsfähige Bildung für die nächsten Generationen und eine Klimapolitik, die den Namen verdient.
Ein Jahr später hängen die Immigrationsgesetze im Kongress fest. Das Wahlrecht hat sich in einigen Bundesstaaten zu Ungunsten der schwarzen Wähler verschlechtert. Bis auf einige präsidiale Anordnungen hat Obama beim Waffenrecht nichts erreicht. Den Etat und die Sozialreformen blockieren die Republikaner. Der Mann, der das Land einen wollte, sieht sich einer Totalopposition gegenüber. Amerika wirkt wie ein Land, in dem Politik kaum mehr möglich ist.
Dezember 2013, ein Hotel am Dupont Circle in Washington. Valerie Jarrett, Freundin und engste Beraterin Obamas, plaudert bei einem Frühstück über die kommenden drei Jahre. Jarrett schwärmt von Obama als idealistischem Aktivisten. Jarrett sagt, der Präsident werde in den vor ihm liegenden Jahren die soziale Gerechtigkeit und die Förderung der Mittelklasse ins Zentrum seiner Arbeit stellen. „Er hat immer mit Hingabe für die soziale Sache gearbeitet.“ Es klingt, als beschwöre sie längst vergangene Zeiten.
Guantanamo existiert weiter
Bis heute empfängt der Präsident Gruppen wie den „Rat für Frauen und Mädchen“. Doch Obamas Soldaten steuern auch Drohnen in Afghanistan. Er ächtet die Folter, aber Guantanamo existiert weiter. Er versieht die NSA mit einem demokratischen Antlitz, aber im Kern darf der Nachrichtendienst weitermachen wie bisher. Der Obama vom Januar 2014 ist ein pragmatischer Machtpolitiker.
Für Obama gilt der Satz, mit dem Joschka Fischer seinen Weg vom Revolutionär zum Reformer beschrieben hat: Die Verwandlung des Amtes durch den Menschen dauert etwas länger als die Verwandlung des Menschen durch das Amt. Obama wollte das System schleifen, aber am Ende gewinnt das System. Das Washingtoner Establishment war stärker als er, es hat ihn in Dutzenden von großen und kleinen Kämpfen aufgerieben. Zwei- mal stand das Land vor der Zahlungsunfähigkeit, die Blockade zwischen Präsident und Republikanern hat viel zur Politikverdrossenheit beigetragen.
Einen Idealisten kosten solche Rückschläge mehr Kraft als einen Pragmatiker. Als Obama ins Amt kam, hat er nicht geglaubt, dass die Rechten so borniert sein könnten, ihm bei Projekten wie Bildungsgleichheit, Waffenrecht oder Gesundheit für alle auf Dauer nicht zu folgen. Er war von der Kraft des besseren Arguments und seiner persönlichen Strahlkraft überzeugt. Diese Überzeugung hat er verloren. Heute konzentriert Obama sich auf das, was von seiner Präsidentschaft bleiben soll. Es geht um seinen Platz in der Geschichte.
Sein letzter großer Punkt
Der Präsident sitzt mit David Remnick am Kamin im Oval Office, er hat noch drei Jahre vor sich, aber er redet, als wäre dieses Jahr sein letztes. „Eines der Dinge, die ich als Präsident zu schätzen gelernt habe, ist, dass man im Grunde nur ein Staffelschwimmer in einem Fluss voller Stromschnellen ist, und der Fluss ist die Geschichte“, sagt Obama. Zwei Eindrücke werden bleiben. Er hat Kriege beendet und will keine neuen beginnen, in den Leitartikeln der New York Times sprechen sie schon von der Obama-Doktrin. Und Amerika hat endlich, trotz aller Startschwierigkeiten, eine allgemeine Krankenversicherung. Offen ist, ob der Präsident für einen dritten Einschnitt die Kraft findet: soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit.
Davon wird ein wichtiger Teil seiner Rede an diesem Dienstag handeln, es ist sein letzter großer Punkt. Obama werde 2014 zum „Aktionsjahr“ ausrufen und einen Fahrplan präsentieren, sagen seine Berater, er werde „Handlungskraft und Optimismus“ ausstrahlen. So hat er schon einmal geklungen. Vor einem Jahr, Anfang 2013.
Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.