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Präsentierten Schwerpunkt zur Innenpolitik: SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz (l.) und Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius.
© Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Sicherheit und Integration: Der Doppelpass taugt nicht für den Wahlkampf der SPD

Die SPD will innenpolitisch Kante zeigen und rückt dabei auch das Thema Staatsbürgerschaft in den Fokus. Aber Integrations- und Sicherheitsthemen eignen sich nur schlecht für Parolen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Innenpolitisch im Wahlkampf Kante zu zeigen, ist nicht ohne Risiko. Aber die SPD will das Risiko eingehen. Sie hat sich nun zu einem Zehnpunkteplan für Sicherheit durchgerungen und will den von einem Mann – Boris Pistorius – verteidigen lassen, der den Beinamen „roter Sheriff“ trägt. Damit ist ein Wildwestbild gemalt. Sheriff? Schießt, peng, tot. Für Abwägungen bleibt keine Zeit. Wahlkampf ist die Zeit der groben Klötze. Slogans werden gebraucht, je griffiger und lauter, desto besser. Innere Sicherheit ist dafür viel zu heikel.

Für das größte Ausmaß an Verunsicherung im Land dürfte die wachsende Zahl an islamistischen Anschlägen und Anschlagsversuchen sorgen. Aber wie dagegen wahlkampfrhetorisch mobilisieren – ohne die deutschen Muslime mit in den Verdachtsstrudel zu ziehen? Das ist fast unmöglich, und so muss sich jeder Sicherheitswahlkämpfer damit auseinandersetzen, dass er Ressentiments bedient.

Wenn die SPD beim Versuch, innenpolitisch Härte zu zeigen, wieder den Doppelpass in den Fokus rückt, passiert genau das. Der Halb-Ausländer als gesellschaftspolitisches Risiko, zu Hilfe! Da geht völlig unter, dass von vielen Seiten immer wieder darauf hingewiesen wird, dass doppelte Staatsbürgerschaften keine Loyalitätskonflikte aus sich heraus produzieren. Menschen, die sich nicht mit den westlichen Werten identifizieren oder sich sogar von islamistischer Propaganda angesprochen fühlen, tun das unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit.

Die doppelte Staatsbürgerschaft trotzdem zum Integrationshindernis zu erklären ist ein Vorwurf, der in Deutschland ungefähr vier Millionen Menschen trifft, von denen die meisten zusätzlich zum deutschen einen polnischen Pass besitzen, die zweitmeisten auch einen russischen. Die drittgrößte Gruppe sind die Deutschtürken. Haben diese drei Gruppen etwas mit der deutschen Sicherheit zu tun?

Abwägen ist wichtiger als Gefühle bedienen

Auch jenseits von Integration sind Sicherheitsthemen gut geeignet, Emotionen zu wecken, also letztlich Irrationales, was sie so bedenklich macht. Sicherheit wächst immer auf Kosten von anderen Werten, etwa Freiheit oder Gleichheit. Da ist sorgfältiges Abwägen nötiger als Gefühl – und wird zugleich immer schwieriger. Zumal sich bei diesen Themen allein die Populisten die ganz derbe Sprache trauen und damit wie die ganz ehrlichen, glaubwürdigen Vertreter von Sicherheitspolitik wirken, während die um Abwägungen bemühten Redner wie Feiglinge dastehen, die die Wahrheit nicht ertragen.

Statt grober innenpolitischer Wahlkampfparolen braucht es eine Debatte über Rechte und Bedürfnisse der Bürger im Land – auch derer mit zwei Pässen: Wo steht die Sicherheit in der Konkurrenz mit Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Privatsphäre, Datenschutz, Mobilität, Meinungsfreiheit. Das alles sind Grundrechte, die auch Kriminellen nützen, aber soll man sie deswegen beschneiden – zugunsten von Sicherheit, die bisher kein Grundrecht ist? Aus guten Gründen, weil der Supersicherheitsstaat kein freier sein kann.

In den Sicherheitspapieren der Parteien finden sich Vokabeln wie „angemessen“ und „Augenmaß“ oder „verfassungsrechtliche Gebote“. Hoffentlich werden die im Wahlkampf nicht vergessen.

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