Bundesregierung und Armenien-Resolution: Der Bundestag verdient mehr Respekt!
Mit ihrer Distanzierung, die nur nicht so heißen darf, stößt die Bundesregierung das Parlament vor den Kopf. Gerade in diesen Zeiten ist das ein falsches Zeichen. Ein Kommentar.
Da können sie noch so elegant drumherum reden – die Sache ist trotzdem klar. Die Bundesregierung gibt mit ihrem Verhalten, einer Distanzierung vom Bundestag, die nur nicht so heißen darf, dem Verhältnis zum türkischen Despoten Recep Tayyip Erdogan eine Bedeutung weit über den Tag hinaus. Was es bedeutet? Die demokratischen Kräfte in der Türkei werden ein weiteres Mal allein gelassen, die antidemokratischen hierzulande gestärkt. Nach Art der Bundesregierung formuliert: Man könnte das einen Skandal nennen.
Soweit das Geschwurbel zum Freitag. Jetzt zum Klartext, und da zum Grundsätzlichen. Resolutionen des Bundestages sind natürlich bindend: Sie sind es politisch und moralisch. Schon gar, weil das Parlament nicht bloß „ein eigenes Verfassungsorgan“ ist – wie die Regierung dankenswerter Weise anerkennt –, sondern DAS Verfassungsorgan. Das Parlament ist konstitutiv und entscheidend für die Demokratie. Nicht die Regierung kann sich ein neues Parlament wählen, sondern umgekehrt, die Abgeordneten können eine Regierung ablösen, zum Beispiel wenn die respektlos gegenüber dem Willen der Volksvertreter ist. Und, mit Verlaub, auf diese Idee kann man kommen. Kommen sie ja auch im Präsidium des Bundestages.
Denn die Resolution des Parlaments wird nicht offensiv inhaltlich verteidigt, sondern nach Art eines Winkelzugs das Recht, Resolutionen nach eigenem Willen fassen zu dürfen. Als ob das Recht infrage stünde. So, und dieses Verhalten ist nicht respektlos gegenüber Bundestagspräsident Norbert Lammert, der die Massaker im Osmanischen Reich 1915 klar als Völkermord benannt hat? Nicht respektlos gegenüber dem einzigen direkt vom Volk, dem Souverän, gewählten Verfassungsorgan, das mit nur einer Gegenstimme und einer Enthaltung die Armenien-Resolution beschlossen hat? Nicht respektlos gegenüber den türkischstämmigen Abgeordneten aus allen Fraktionen, gegen die Erdogan nach der Resolution gehetzt hat? Und außerdem nicht respektlos gegenüber dem Verfassungsorgan Bundespräsident, Joachim Gauck, der wie der Parlamentspräsident von Völkermord spricht? Nein, sagt die Regierung. Ja, sagt ihr Verhalten.
Die Bundesregierung wird vor aller Augen erpresst
Aus der Parlamentsgeschichte der vergangenen Jahrzehnte ist Ähnliches nicht erinnerlich. Die Bundesregierung hat sich durch den Flüchtlingsdeal mit Erdogan erpressbar gemacht, und nun wird sie wegen der Armenien-Resolution des Bundestages vor aller Augen erpresst. Worauf sie, Wochen nach der Resolution unter Druck geraten und gesetzt von der Türkei, mit einer solchen Erklärung reagiert. Da muss den Türken von deutscher Seite jetzt keiner mehr mit der Würde des Parlaments kommen. Der Eindruck in Ankara wird klar sein: Mag der Bundestag beschließen, was er will, die Bundesregierung macht, was sie will. Falsch! Obendrein ein falsches Signal in diesen Zeiten, in denen es um unser demokratisches System und um demokratische Gepflogenheiten geht. Noch dazu, wo hier Wahlen bevorstehen.
Die Haltung der Regierung wird von denen am rechten Rand, die mit Macht in die Parlamente drängen, nicht als aufrecht, sondern als Kotau gewertet werden. Was das für die aufrechten Wahlkämpfer von CDU und SPD in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin bedeutet, können sich die Verantwortlichen ausrechnen – und sich vor der Verantwortung nicht drücken.