Flüchtlingsstreit in der Union: Der Bundespräsident ermahnt die Regierenden
„Als gäbe es kein Morgen mehr“ – Steinmeier verurteilt „Unnachsichtigkeit und maßlose Härte“ im Asylstreit zwischen den Unionsparteien.
Der tiefgehende Streit zwischen den Unionsparteien über die Flüchtlings- und Asylfrage weitet sich zur Regierungskrise aus. Deshalb sieht sich inzwischen der Bundespräsident zum Eingreifen genötigt. Anlässlich einer Veranstaltung im Schloss Bellevue mit dem Titel „Stimmen der Demokratie“ ging Frank-Walter Steinmeier am Dienstag die Regierenden in ungewohnter Deutlichkeit an und ermahnte sie, ihrer Verantwortung fürs Land gerecht zu werden.
Verbunden mit dem dringenden Hinweis, in der Gesellschaft wo immer möglich gemeinsame Lösungen zu suchen, sagte der Präsident, „es wäre gut, wenn sich auch die ,große Politik’ dieser zentralen Voraussetzung für das Gelingen von Demokratie erinnert.“ Er habe sich dieser Tage häufiger gefragt, „wie sollen wir eigentlich erfolgreich für Vernunft und Augenmaß in der politischen Debatte werben, wenn auf höchster Ebene und selbst im Regierungslager mit Unnachsichtigkeit und maßloser Härte über eigentlich doch lösbare Probleme gestritten wird – als gäbe es kein Morgen mehr.“
Ungewöhnliche Intervention eines Bundespräsidenten
Üblicherweise vermeiden Bundespräsidenten derart direkte Anmerkungen zur Tagespolitik. Im Präsidialamt ist allerdings die immer dramatischere Entwicklung des Unionsstreits mit zunehmender Besorgnis verfolgt worden. Steinmeier hat bereits bei mehreren Gelegenheiten öffentlich erklärt, wie wichtig ihm die Sicherung der demokratischen Prozesse in Deutschland ist. Der Präsident hält die politische Stabilität hierzulande angesichts fortschreitender Instabilität in der Welt für zwingend. Darum die Ermahnung an die Adresse der führenden Unionspolitiker.
Die Besorgnis wird noch genährt von der Unversöhnlichkeit, mit der sich Bundeskanzlerin Angela Merkel, die CDU- Chefin, und Bundesinnenminister Horst Seehofer, der CSU-Vorsitzende, gegenüber zu stehen scheinen. Die Beharrlichkeit, mit der Merkel an ihrer Position einer europäischen Regelung festhält, überrascht offenkundig auch die CSU. Seehofer wird im Hinblick auf den Streit von „Focus online“ unwidersprochen mit den Worten zitiert: „Wir sind ja im Ziel einig, es geht lediglich um das Verfahren. Mir erklärt sich der Widerstand nicht und macht mich ratlos.“
Der CSU-Chef will mit seiner Partei am Sonntag über die Ergebnisse der Gespräche Merkels im europäischen Rahmen beraten. Unverändert gilt dabei die Ankündigung, dass die CSU dann entscheiden will, ob Flüchtlinge an der Grenze abgewiesen werden, die bereits in anderen EU-Ländern registriert worden sind. Das hat Landesgruppenchef Alexander Dobrindt jetzt noch einmal bestätigt. Der „Dissens“ werde geklärt. Allerdings gibt es zugleich versöhnlichere Signale aus der CSU, so von Generalsekretär Markus Blume. Er gilt als strategischer Kopf in der Partei. Blume betonte als Erster in der „FAZ“ die Bedeutung der Unionsgemeinschaft, die nicht aufgegeben werden sollte. Es gehe hier nur um die Antwort auf eine „Sachfrage“.
Suche nach einem gesichtswahrenden Kompromiss
Hinzu kommen Äußerungen, dass von Seehofer als Innenminister verfügte Zurückweisungen an der Grenze nicht schon am 1. Juli beginnen müssten, sondern „in der ersten Juliwoche“. Das gäbe beiden Seiten ein wenig mehr Zeit für die Suche nach einem gesichtswahrenden Kompromiss. Seehofer will sich zu diesem Zweck wohl nochmals gesondert mit Merkel treffen. Das gilt sowohl für die Stunden nach der CSU-Vorstandssitzung als auch für den nächsten Montag.
In der CSU wird darüber hinaus sehr genau verfolgt, wie sich ihre führenden Politiker einlassen. Kolportiert, aber nicht bestätigt wird, dass neben dem Streit mit der CDU ein Machtkampf zwischen Landesgruppenchef Dobrindt und Ministerpräsident Markus Söder stattfindet. Über beide heißt es, dass sie zu gegebener Zeit den CSU-Vorsitz von Seehofer übernehmen wollen. Sie sprächen gegenwärtig nur noch das Nötige miteinander, wird berichtet. Auch der CDU-Teil der Unionsfraktion hatte früh den Ehrgeiz beider Politiker verzeichnet und bei Dobrindt Ambitionen auf das Amt des Ministerpräsidenten ausgemacht. Dafür wird der Ausgang der Bayernwahl im Herbst als entscheidend angesehen.