Saudi-Arabien: Der Außenminister muss auch blutige Hände schütteln
Eine international eingebundene Diktatur ist berechenbarer als eine isolierte. Deshalb muss der Westen mit Saudi-Arabien genauso verhandeln wie mit Iran. Ein Kommentar.
Warum soll Deutschland sich noch mit Saudi-Arabien abgeben? Das Land ist nach unseren Wertvorstellungen keine Demokratie und kein Rechtsstaat. Kritiker des Königshauses werden mit der Prügelstrafe gefoltert wie der Blogger Raif Badawi oder als „Terroristen“ hingerichtet wie der schiitische Geistliche Nimr al-Nimr und weitere 46 Oppositionelle am Sonnabend.
Die Saudis unterdrücken Frauen, befördern indirekt den Terrorismus, indem sie den wahhabitischen Islam, eine rückständige und aggressive Auslegung, exportieren und Koranschulen finanzieren, deren Absolventen zum Teil Gewalttaten verüben. Nun eskalieren sie die Rivalität mit dem Iran um die Vorherrschaft im Mittleren Osten auf eine gefährliche Weise, die die ganze Region in ein Schlachtfeld zwischen Sunniten und Schiiten verwandeln kann.
Warum soll man ein so menschenverachtendes Regime als Partner behandeln, mit ihm Handel treiben, gar Waffen liefern? Müsste die moralisch überzeugende Antwort nicht sein: Beziehungen einfrieren, möglichst als gemeinsame Aktion aller westlichen Demokratien!
Die aktuelle Dynamik der Weltpolitik bietet eine günstige Gelegenheit, mit den Saudis zu brechen. Auf ihr Öl ist der Westen nicht mehr angewiesen; es gibt billige Alternativen im Überfluss, auch durch die Fracking-Technik. Und seit er eine diplomatische Lösung für den Atomkonflikt mit dem Iran gefunden hat, braucht der Westen Saudi-Arabien auch nicht mehr so dringend als Gegengewicht zum Mullahregime. Generell darf man fragen, ob der Iran, wo die Bürger immerhin wählen dürfen, wenn auch nicht frei, heute ein erträglicherer Partner ist als das absolutistische Königshaus.
Gesinnungsethik und Verantwortungsethik
Außenminister Frank-Walter Steinmeier verfolgt einen anderen Kurs. Er bemüht sich um bessere Kontakte zu den Saudis und dem Iran, betrachtet sie als strategische Partner, wirbt für Dialog. Er tut das nicht, weil ihm die Moral egal ist, sondern weil er einer anderen Moral folgt. Es ist der alte Konflikt zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik: Er möchte den Konflikt deeskalieren – was nicht nur heißt, einen großen Religionskrieg zwischen Schia und Sunna zu verhindern, sondern auch die Stellvertreterkriege zwischen dem Iran und den Saudis in Syrien und im Jemen einzudämmen, damit nicht noch mehr Menschen zu Flüchtlingen werden. Da kommen die Interessen Deutschlands hinzu.
Deshalb wird er denen, die unter Verweis auf die Hinrichtungen eine Wende in den Beziehungen fordern, nicht folgen. Wären Todesstrafe und Folter die allein maßgeblichen Kriterien deutscher Außenpolitik, müsste die Bundesregierung die Beziehungen zu China (mehrere tausend Hinrichtungen pro Jahr) und den USA (28 Exekutionen 2015) auf Eis legen und hätte mit dem Iran nicht verhandeln dürfen. Die Mullahs richten laut Amnesty mehr Menschen hin als die Saudis.
Einfluss nehmen kann nur, wer miteinander spricht und die Interessen und Beweggründe eines Gesprächspartners ernst nimmt, selbst wenn er sie nicht teilt oder sogar verurteilt. Weder Saudi-Arabien noch der Iran sind Wunschpartner. Für eine Demokratie, die Menschenrechte verteidigen will, sind sie Partner wider Willen. Nur darf ein Außenminister diesen Widerwillen nicht offen zeigen, wenn er etwas erreichen möchte. Dass er mitunter auch blutige Hände schütteln muss, gehört zum Anforderungsprofil des Amts. Und ebenso, dass er die Folgen des Handelns verantwortungsethisch abwägt.
Saudi-Arabien ganz fallen lassen? Eine international eingebundene Diktatur ist berechenbarer als eine isolierte, siehe Nordkorea und früher der Iran. Wenn sie erst mal taumelt, wird es noch gefährlicher, siehe Irak und Libyen. Die Saudis gegen den Iran ausspielen? Beide werden für eine Verhandlungslösung in Syrien gebraucht. Eine Garantie, dass Diplomatie die Ausweitung des Kriegs im Mittleren Osten verhindert, gibt es nicht. Man muss sich aber wünschen, dass Minister Steinmeier alles ihm Mögliche versucht.