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Friedrich Merz positioniert sich im Wettbewerb um den CDU-Vorsitz.
© Hannibal Hanschke / REUTERS

Vorstoß von Friedrich Merz: Der Asylartikel ist ein Grundrecht von gestern

Flüchtlinge haben ein Recht auf Schutz und Obdach. Welches Etikett dafür vergeben wird, kann nicht so wichtig sein. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Fairness für Friedrich Merz! Der für seine Asylsätze Gescholtene hatte sich nicht für die Abschaffung des Grundrechts ausgesprochen, sondern dafür, einen „Vorbehalt“ einzufügen. Gemeint war wohl ein Gesetzesvorbehalt, wie er bei Grundrechten typisch ist. Er stellt klar, dass das Parlament ein Grundrecht per Gesetz einschränken kann.

Weil Merz jedoch gleichzeitig offene Diskussionen forderte, sagte, der deutsche Asylanspruch sei weltweit einzigartig und verhindere europäische Lösungen, kam es so rüber, als wolle er Artikel 16a Absatz 1 Grundgesetz ( „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“) streichen oder jedenfalls aushöhlen. Festzustellen ist als Zwischenbilanz, dass der Kandidat für den CDU-Vorsitz bei dem politstrategischen Kunststück, Verständnis und gewollte Missverständnisse auszubalancieren, erneut vom Hochseil gepurzelt ist. Ähnlich wie bei den Einlassungen über seinen Millionenverdienst als angeblicher Mittelschichtsvertreter.

Immerhin, mit seinem Vorstoß hat Merz deutlich gemacht, wo das Problem nicht liegt: Beim Individualrecht auf Asyl gemäß Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz. Der individuelle Schutzanspruch, nach dem Zweiten Weltkrieg tatsächlich in dieser Form ein deutsches Unikat, würde, fiele er weg, in der Bundesrepublik heute auf vergleichbarem Niveau allein durch Europarecht garantiert. Asyl, einst als Gnade gewährt, ist zu einem weithin akzeptierten subjektiven (Menschen-)Recht geworden. Würde das Grundrecht jetzt eingeschränkt oder ganz gestrichen, müsste die Bundesrepublik trotzdem geregelte Verfahren vorhalten, um Einwandernde und Flüchtende zu unterscheiden und letzteren ihr Recht zu gewähren.

Merz ist zuzugestehen, dass das Asylgrundrecht so, wie es in der Verfassung steht, mithin entbehrlich geworden ist. Der Widerstand, es zu streichen, ist Ausdruck eines gewissen Konservatismus, der den programmatischen Verfassungssatz zum Identitätsbestand der Bundesrepublik zählt („nie wieder Auschwitz“), obwohl der materielle Gehalt abhanden gekommen ist. Nichts gegen Symbole. Doch vielleicht wäre es ehrlicher oder sogar moderner, den Unterschied zwischen begründeter Flucht und politischer Verfolgung normativ einzuebnen. Für die Situation Betroffener und die Pflichten des Aufnahmestaats läuft beides ohnehin auf dasselbe hinaus. Schutz und Obdach sind wichtig, nicht zwingend das Etikett, das dafür vergeben wird.

Kann auch sein, das Merz eine Rolle rückwärts einleiten wollte, hin zu: Nationale Grenzen sichern, Europas Außengrenzen dicht. Flucht, Vertreibung, Migration – alles dasselbe, keiner darf rein. Grundrechtecharta, EU-Richtlinien, Flüchtlingskonvention, individuelle Ansprüche – weg damit. Auch das könnte eine „europäische Lösung“ sein, die funktioniert. Bis die nächste Welle kommt.

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