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General Dwight D. Eisenhower hält die zwei Stifte, mit denen die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht am 7. Mai in Reims unterzeichnet wurde, in Anlehnung an das Victory-Zeichen wie ein «V».
© dpa

75 Jahre Kriegsende: Der 8. Mai sollte der Feiertag der Befreier bleiben

Wir sollten es dabei belassen, dass die Sieger den Tag feiern und die Deutschen sich in Demut erinnern, dass sie Täter waren. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Nüsse

Ist der 8. Mai für uns Deutsche ein Feiertag oder ein Gedenktag? In diesem Jahr ist er beides. Zum 75. Jahrestag der deutschen Kapitulation hat Berlin ihn einmalig zum Feiertag erhoben.

In Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg ist er seit Jahren offizieller Gedenktag. Und die Stimmen mehren sich, diesen Tag dauerhaft zu feiern.

Wir Deutsche tun uns schwer mit unseren nationalen Feiertagen. Viele Völker feiern ein Ereignis, zu dem sie eine positive emotionale Bindung besitzen, das ihre Kultur prägt und die Nation eint.

In der Bundesrepublik dagegen hatte man mit dem 17. Juni die Niederschlagung des Volksaufstandes in der DDR 1953 gewählt – eher ein Gedenk- als ein Feiertag.

Im wiedervereinigten Deutschland ist, ohne größere Diskussion, ein Verwaltungsakt zum Nationalfeiertag erhoben worden: der 3. Oktober, an dem der Einigungsvertrag in Kraft trat. Viele Ostdeutsche waren nicht glücklich darüber, wie die Wiedervereinigung verlief und fremdeln daher auch mit diesem Datum, das erst durch den Feiertag Eingang in das kollektive Gedächtnis fand. 

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Und nun der 8. Mai. Die ersten Maitage sind eine historische Zäsur für Deutschland und Europa. Symbolisch stehen sie für das Ende des Zweiten Weltkriegs, das Ende Nazi-Deutschlands und des Holocaust.

Formal sind der 7. sowie der 8./9. Mai die Tage der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht, einmal in Reims und anschließend in Berlin-Karlshorst unterzeichnet, mit der ein deutscher Eroberungs- und Vernichtungskrieg beendet wurde, der über 50 Millionen Menschenleben kostete.

Der 8.Mai wird bereits gefeiert - von den damaligen Siegern

Ein Grund zum Feiern – für jene Nationen, die einen extrem hohen Preis dafür gezahlt haben, das von Deutschen geschaffene Nazi-Regime zu stürzen, für jene, die aus den Konzentrations- und Arbeitslagern befreit wurden und für alle Deutschen, die danach in einem freien Land leben durften.

Und so wird der Tag bereits gefeiert: Die Franzosen begehen den „Tag des Sieges“ am 8. Mai, Russland feiert ihn am 9. Mai, die Niederländer das Ende der Besatzung bereits am 5. Mai.

Der französische Präsident Francois Hollande am Nationalfeiertag zum Sieg über Nazi-Deutschland am 8. Mai 2015.
Der französische Präsident Francois Hollande am Nationalfeiertag zum Sieg über Nazi-Deutschland am 8. Mai 2015.
© Remy de la Mauviniere/ dpa

Als Deutsche sind und bleiben wir dankbar, dass viele Länder so große Opfer brachten, um die Deutschen – auch gegen ihren Willen – aus der Diktatur zu befreien.

Und Krieg und Massenmord zu beenden. Um uns anschließend großzügig beim Wiederaufbau und bei der Neuausrichtung auf ein demokratisches Gemeinwesen zu unterstützen.

Die Deutschen waren die Täter, diesen Unterschied sollte man nicht verwischen

Wir sollten es dabei belassen, dass die Sieger den Tag feiern und die Deutschen sich in Demut daran erinnern, dass sie eben Täter waren; dass die meisten Deutschen den Nationalsozialismus mit zu verantworten und bis zuletzt mitgetragen haben.

Diese Unterschiede sollte man nicht verwischen. Ein Grund, warum der 8. Mai in Deutschland ein offizieller Gedenktag sein sollte – aber kein Feiertag.

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Ein Gedenktag ist zudem viel geeigneter als ein Feiertag, sich mit der belasteten und belastenden Geschichte auseinanderzusetzen. Bei Feiertagen besteht die Gefahr, dass aus Harmoniebedürfnis schwierige und widersprüchliche Geschehnisse ummantelt werden. Das genau wollen wir nicht.

Die Deutschen haben, wenn auch spät, begonnen, sich mit diesem lange ambivalenten Datum auseinander zu setzen. Nach jahrzehntelangem staatlichem Schweigen war es ein langsames Herantasten. Es ist das Verdienst des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, den Jahrestag 1985 zum Tag der Befreiung für die Deutschen umgewertet zu haben.

Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1985 bei seiner historischen Rede im Bundestag während der Feierstunde zum 8.Mai 1945
Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1985 bei seiner historischen Rede im Bundestag während der Feierstunde zum 8.Mai 1945
© dpa

Hinter diesen gesellschaftlichen Grundkonsens gibt es kein Zurück. Wenn der AfD-Politiker Gauland gegen den 8. Mai als Feiertag plädiert, weil dies der Tag einer „totalen Niederlage“ und nur für KZ-Insassen ein Tag der Befreiung gewesen sei, dann irrt er gewaltig.

1945 wurde der 8. Mai von den Deutschen wohl unterschiedlich empfunden. Aber die „befreiende Niederlage und die rettende Zerstörung“ (so der Historiker Martin Sabrow) waren für die Deutschen die Grundlage zum Aufbau der liberalen und demokratischen Gesellschaft, in der wir heute leben.

Für diese Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte wird ein Gedenktag 8. Mai auch weiter dienen. Daraus einen Feiertag „gegen Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung jeglicher Form“ zu machen, wie es beispielsweise der DGB-Vorsitzende fordert, ist zu diffus.

Ein Tag, auf den wir stolz sein können , ist der 23. Mai

Gedenken wir also weiter am 8. Mai. Sollten wir Deutschen wirklich einmal wieder nach einem geeigneten nationalen Feiertag suchen, dürften wir getrost auch einmal eine positive Entwicklung feiern: Unser großartiges Grundgesetz mit seinem Artikel eins "Die Würde ist unantastbar“, das am 23. Mai 1949 verkündet wurde.

Hier sind die richtigen Schlüsse aus unserer teils unheilvollen Geschichte, vor allem der Weimarer Republik, eingeflossen - darauf können wir stolz sein.

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