Sanktionen gegen Pipeline in der Ostsee: Den USA geht es bei Nord Stream 2 vor allem ums Geschäft
Washington begründet die Sanktionen gegen den Bau der Erdgasleitung mit sicherheitspolitischen Argumenten. Ist das aufrichtig? Ein Kommentar.
Setzt die Bundesregierung die Sicherheit Deutschlands leichtfertig aufs Spiel? Treibt die Bundeskanzlerin das Land in eine gefährliche Abhängigkeit von Russland, sicherheitspolitisch und in der Energieversorgung? Ist die Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 geradezu das Symbol deutscher Verantwortungslosigkeit? Wer die vom US-Repräsentantenhaus auf den Weg gebrachten Sanktionen betrachtet, die gegen Firmen verhängt werden sollen, die am Bau dieser Erdgasleitung durch die Ostsee beteiligt sind, muss diesen Eindruck gewinnen. Donald Trump hat bereits erkennen lassen, dass er die Sanktionsgesetze unterzeichnen wird. Rettet uns Washington also vor einer verantwortungslosen Bundesregierung?
Wir erleben in den USA gerade ein Lehrstück von der Umsetzung politischer Theorien in die Praxis. Außenpolitik und Innenpolitik sind demnach zwei Seiten des täglichen Geschäftes von Regierungen. Politiker, die innenpolitisch in Schwierigkeiten gekommen sind, suchen gerne zur Ablenkung Erfolge oder Ersatzschauplätze in der Außenpolitik. Vermeintliche Gefährdungen aus dem Ausland können den innenpolitischen Schulterschluss erleichtern. Ergibt sich gar die Chance, ein Land als besonders undankbar oder unfair an den Pranger stellen zu können, ist das ein exzellentes Mittel der Abwendung von eigenen Problemen.
Ob das drohende Impeachment-Verfahren eine Gefahr für Präsident Donald Trump ist, mag man bezweifeln. Fakt ist aber die Zerrissenheit der amerikanischen Politik, der tiefe Graben zwischen den Demokraten, die das Amtsenthebungsverfahren betreiben, und den Republikanern, die ihren Präsidenten stützen und im Senat ohnedies eine Mehrheit haben, die den Sturz Trumps jederzeit verhindern kann. Als ein geradezu genialer Schachzug könnte sich da die Idee erweisen, in ein Gesetzespaket zum Verteidigungshaushalt Sanktionen einzubauen, die die Fertigstellung von Nord Stream II verhindern.
Ziel der US-Handelspolitik: Eigenes Erdgas liefern
Warum? Seit die USA das Fracking, den Gewinn von Erdgas aus den Böden vor allem Alaskas, perfektioniert haben, ist das Land vom größten Erdgasverbraucher zum größten Erdgasproduzenten geworden. Dieses Erdgas verflüssigt mit Spezialtankschiffen nach Europa zu liefern, ist ein Ziel der US-Handelspolitik. Das technische Verfahren ist nicht neu. Die Franzosen wenden es seit Jahrzehnten an, in dem sie solches Erdgas aus Nordafrika importieren. Und, klar, US-Erdgas könnte die europäische Abhängigkeit von russischem Erdgas verringern.
Dass auf dem Energiesektor die Gefahr einer deutschen Abhängigkeit von Russland droht, war bereits zu Zeiten sowjetischer Erdgaslieferungen eine Befürchtung der US-Außenpolitik. So wurde 1962 ein deutsch-sowjetisches Tauschgeschäft (Erdgas gegen Röhren) durch die USA verhindert. Heute kommt der Vorwurf hinzu, die Deutschen verhielten sich schäbig: machten mit den Russen Geschäfte, drückten sich aber um ihren Nato-Beitrag. Tatsächlich ist die europäische Energieversorgung so diversifiziert, dass einseitige Abhängigkeiten unwahrscheinlich sind. Zudem ist Russland auf die Deviseneinnahmen dringend angewiesen. Und es war, durch alle Krisen der Weltpolitik hinweg, als Handelspartner immer zuverlässig.
Riskanter ist Nord Stream 2 – die erste derartige Pipeline ist schon seit 2011 in Betrieb – weniger für Deutschland als für die Ukraine, Polen und die baltischen Staaten. Sie fürchten, dass mit Inbetriebnahme der zweiten Leitung der Erdgastransfer auf dem Landweg eingestellt wird. Von den Durchleitungsgebühren profitiert vor allem die Ukraine. Die geltende Vereinbarung zwischen Moskau und Kiew läuft zum Jahresende aus, ein Folgeabkommen wird derzeit verhandelt.
Befindlichkeit der mittel-osteuropäischen Partner
Die Bundeskanzlerin, die die Sorge der Ukraine, abgehängt zu werden, versteht, hat beim jüngsten Treffen mit dem russischen Präsidenten erklärt, wie wichtig ihr ein neues Abkommen ist. Hier geht es auch um gefühlte Sicherheit. Alle genannten Länder haben Angst vor Russland. Die Beistandsgarantie der Nato, vor allem der USA, die Stationierung von Truppen im Baltikum und Polen, können diese Angst mindern. Aber: Dass Deutschland bei Nord Stream 2 nur an die eigene Energieversorgung, nicht aber an die Befindlichkeit der mittel-osteuropäischen Partner gedacht habe, das ist als Vorwurf überall in der EU virulent.
Wie ein Kompromiss zwischen US-Sanktionen und deutschem Interesse an der Fertigstellung der Pipeline aussehen kann, ist unklar. Eindeutig aber die Feststellung, dass es für die USA hier ums Geschäft geht. Oder um aus Fontanes „Stechlin“ zu zitieren: „Sie sagen Christus und meinen Kattun.“