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Angela Merkel bei der Generaldebatte im Bundestag.
© AFP

Merkel in Haushaltsdebatte: "Den Menschen in Deutschland ging es noch nie so gut"

Die Kanzlerin lobte das Engagement der Bürger bei der Integration von Flüchtlingen. Gleichzeitig warnte sie vor Meinungsverfälschung im Internet.

Im Rahmen der Generaldebatte im Bundestag sprach Angela Merkel am Mittwochvormittag über die deutsche Flüchtlingspolitik, den Brexit und die Möglichkeiten und Risiken der Digitalisierung. Die Kanzlerin sagte, Deutschland befinde sich, "bei allem, was es noch zu kritisieren gibt", in einer guten Situation. "Den Menschen in Deutschland ging es noch nie so gut wie im Augenblick." Damit das auch so bleibt, müsse Deutschland aber die Möglichkeiten der Digitalisierung besser nutzen. Man habe bereits große Fortschritte im Bereich der Industrie 4.0 erzielt und sei damit weltweit führend. Gleichzeitig hinke Deutschland im Bereich der Künstlichen Intelligenz noch hinterher.

Die größten Erfolge ihrer Regierung sah Merkel im Bereich der Pflegeversicherung, im Klimaschutz und im Bereich der Integration von Flüchtlingen. Mit Blick auf das Engagement der Bürger zur Eingliederung von Geflüchteten in die deutsche Gesellschaft sagte die Bundeskanzlerin: "Darauf können wir wirklich, wirklich stolz sein."

Dennoch bleibe es auch in Zukunft eine zentrale Herausforderung europäischer Politik, das massenhafte Sterben von Flüchtlingen im Mittelmeer zu beenden. Dazu seien internationale Abkommen notwendig. Gleichzeitig sei es aber auch wichtig, diejenigen, die in Deutschland keinen Anspruch auf Asyl oder den untergeordneten subsidiären Schutz haben, in ihre Heimatländer abzuschieben.

Deutsche G-20 Präsidentschaft

Das Thema Migration wird auch im Zentrum der kommenden deutschen G-20 Präsidentschaft stehen. Deutschland werde einen besonderen Schwerpunkt auf Afrika legen, sagte Merkel. So werde man versuchen, weitere Migrations-Partnerschaften zu entwickeln, wie es sie bereits mit Mali und Niger gibt. Aber die zentrale Frage bleibe, wie man langfristig von der klassischen Entwicklungshilfe in Afrika wegkomme.

Merkel sprach auch über die Türkei, erwähnte das Flüchtlingsabkommen allerdings nur am Rande. Mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen in der Türkei sprach die Bundeskanzlerin von "alarmierenden" Vorgängen. Merkel verteidigte sich auch gegen den türkischen Vorwurf, Deutschland sei ein sicherer Rückzugsort für Terroristen der türkischen Arbeiterpartei PKK. Es habe 4000 Verfahren gegen PKK-Mitglieder in Deutschland gegeben. Aber im deutschen Rechtsstaat dürften diese juristischen Verfahren nicht mit der Politik vermischt werden.

Den schwelenden Konflikt mit Russland erwähnte Merkel nur am Rande. Kritik übte sie hingegen am Regime von Baschar al Assad und sagte, die Situation in Syrien mache jeden Tag "beklommen" . Sie finde es "sehr bedauerlich, dass Russland dieses Regime unterstützt."

Meinungsverfälschung im Internet

Besorgt äußerte sich die Kanzlerin auch über die Auswirkungen von manipulierten Nachrichten und Hassreden im Internet auf die öffentliche Meinung in Deutschland. Die Meinungsbildung verlaufe heute "grundsätzlich anders" als vor 25 Jahren, sagte Merkel. Viele Menschen nähmen nun Medien wahr, die "auf ganz anderen Grundlagen basieren" und nicht das Kriterium der journalistischen Sorgfaltspflicht erfüllten.

Sie warnte, dass "Fakeseiten" und Meinungsroboter im Netz zu einer Verfälschung von Meinungsbildern führen könnten. Außerdem sorge die Steuerung der Nachrichtenauswahl durch Algorithmen dafür, dass bestimmte Meinungen immer weiter verstärkt würden. Um die Bürger auch in Zukunft zu erreichen und zu begeistern, "müssen wir mit diesem Phänomen umgehen" und nötigenfalls auch Regeln erlassen.

Merkel unterstützte außerdem die Bemühungen von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), gegen Hassbotschaften in sozialen Netzwerken wie Facebook vorzugehen. Die Bundesregierung müsse alles unternehmen, um Hasskommentare im Netz zu unterbinden, "weil das unseren Grundsätzen widerspricht", sagte sie.

Offenheit statt Abschottung

Den Brexit bezeichnete die Kanzlerin als schweren Einschnitt in der Geschichte der Europäischen Union. Man müsse sich fragen, was die Dinge seien, die die Menschen - nicht nur in Großbritannien - von der EU entfremdet haben. Vor allem müsse Europa seine Glaubwürdigkeit ausbauen. Zu häufig sei die EU ihren Versprechen und den Hoffnungen der Bürger nicht gerecht geworden. Daher sei es entscheidend, dass die Gemeinschaft ihr Wohlstandsversprechen einlöse.

Die Kanzlerin thematisierte auch die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Man könne nicht den Hunger in der Welt beenden, man könne nicht einfach eine Lösung für alle 65 Millionen Flüchtlinge auf der Welt finden. Aber man stehe vor der Frage, ob man versuchen wolle, mit den Mitteln der sozialen Marktwirtschaft die Welt zu gestalten, oder ob man sich auf sich selbst zurückziehen wolle. "Offenheit wird uns mehr Sicherheit bringen als Abschottung", sagte Merkel. Sie sei "nicht froh", dass der künftige amerikanische Präsident Donald Trump das amerikanisch-asiatische Handelsabkommen TTP aufkündigen wolle. "Ich weiß nicht, wer davon profitieren wird", sagte sie, ohne China beim Namen zu nennen. Angesichts der rasant ablaufenden Globalisierung stünden Länder vor der Frage, sich entweder zurückzuziehen oder aktiv in multilateralen Organisationen oder Gesprächsformaten wie der G20 mitzuarbeiten. "Ich sage, dass wir auf Gemeinsamkeiten, auf Multilateralismus in der Gestaltung setzen sollten", sagte Merkel. Hintergrund ist die Sorge, dass die USA unter Trump zunehmend auf Abschottung und Protektionismus setzen könnten. Auch Herausforderungen wie Klimawandel und Migration seien nur in Zusammenarbeit mit anderen Ländern zu bewältigen. Sie betonte außerdem, Deutschland müsse zu seinen Werten stehen und diese gemeinsam mit der EU und den USA in die Welt tragen. So müsse es auch das Ziel der Bundesregierung sein, die deutsche Beteiligung in der Nato auszubauen.

Kritik der Opposition

Im Vorfeld war Merkel von der Opposition scharf kritisiert worden. Sarah Wagenknecht sprach in ihrer Rede über ein Kernthema der Linken: Globalisierung. Ihre zentralen Themen waren die ungleiche Verteilung der Globalisierungsvorteile und das Problem, das sich daraus für die Demokratie ergibt.

"Bedurfte es wirklich eines Donald Trump, um zu zeigen, dass es um die Demokratie im Westen nicht mehr so gut bestellt ist?", fragte Wagenknecht. Der entfesselte globale Kapitalismus sei mit der Demokratie nicht vereinbar. Die Linken-Politikerin forderte den Austritt Deutschlands aus der Nato, da die deutsche Beteiligung an internationalen Kampfeinsätzen den Terror erst nach Deutschland geholt habe.

Auch der Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor ihrer Rede eine Politik der sozialen Spaltung vorgeworfen. "Wenn man sich die Bilanz von Frau Merkel anguckt, dann gibt es ganz, ganz viele Schwachpunkte", sagte Bartsch am Mittwoch im ZDF-Morgenmagazin. "Deutschland ist auseinander gegangen: Auf der einen Seite haben wir Kinderarmut, Altersmut, auf der anderen Seite obszönen Reichtum."

Weitere "Minuspunkte" seien der Investitionsstau bei Schulen und öffentlicher Infrastruktur in Deutschland, die mangelnde Bekämpfung der Fluchtursachen sowie die Krise in der Europäischen Union, sagte Bartsch. Mit Blick auf Merkels erneute Kanzlerkandidatur fügte er hinzu, dass "dieses 'Weiter so', was jetzt angekündigt ist, dem Land nicht gut tut".

Der Linken-Fraktionschef erklärte, dass die Bundesrepublik im Vergleich zu anderen Ländern zwar gut dastehe, was die "Durchschnittszahlen" angehe. Das Problem seien aber die wachsenden Ungleichheiten in der Gesellschaft. Bartsch forderte, die Kluft zwischen Arm und Reich zu schließen, "indem wir endlich damit beginnen, auch bei den Vermögenden etwas abzuholen". Ganz ähnlich lautete auch die Kritik von Anton Hofreiter, dem Vorsitzenden der Grünen Bundestagsfraktion, der nach Merkel im Parlament sprach.

Die Debatte über den Kanzleretat im Bundestag wird traditionell zu einer Generalaussprache über die Politik der Bundesregierung genutzt, in der auch Spitzenpolitiker der übrigen Fraktionen das Wort ergreifen. Die Schlussberatung über den Etatentwurf für 2017 hatte am Dienstag begonnen und soll am Freitag mit der Verabschiedung des Haushalts enden. Am Mittwoch stehen nach der Beratung über den Kanzleretat auch die Einzelpläne für Auswärtiges, Verteidigung und Entwicklung auf der Tagesordnung.

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