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Ein Hongkonger Polizist zückt eine Pistole und schießt einem Demonstranten in den Bauch. Der 21-Jährige liegt schwer verletzt im Krankenhaus.
© CUPID PRODUCER via REUTERS

Hongkong verschärft Gangart: Demonstranten werden jetzt „Feinde des Volkes“ genannt

In Hongkong verhärten sich die Fronten weiter. Angeblich gehen die Forderungen inzwischen über die nach Demokratie hinaus.

Es ist nur eines von mehreren Videos, die am Montagmorgen in Hongkong aufgenommen worden sind: Es zeigt, wie ein Polizeimotorrad in Kwai Fong zunächst auf einen schwarz gekleideten Demonstranten zufährt, ihn knapp verfehlt, einen Kreis dreht, um dann absichtlich mit zunehmender Geschwindigkeit in ein gutes Dutzend davonlaufender Demonstranten zu fahren. Einige fallen zu Boden, der Polizist fährt mit hoher Geschwindigkeit davon. „Sehr verstörend“, twitterte der Hongkonger Demokratieaktivist Joshua Wong. „Das sind keine Polizeimaßnahmen, das sind Beamte außer Kontrolle, die auf Vergeltung aus sind“, zitiert die Agentur Reuters die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Nach Angaben der Polizei wurde der Motorradpolizist anschließend suspendiert. Doch es ist an diesem Morgen nicht der gewalttätigste Vorfall.

Ein anderer Polizist schoss aus unmittelbarer Nähe auf einen vermummten 21-jährigen Demonstranten. Und auf einer Fußgängerbrücke wurde ein Mann, der sich für China ausgesprochen hatte, von chinakritischen Demonstranten mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen und angezündet. Beide Opfer liegen laut „South China Morning Post“ mit schweren Verletzungen im Krankenhaus.

Das Ausmaß der Gewalt zeigt, wie sehr sich die Fronten in der chinesischen Sonderverwaltungszone zwischen Polizei und Demonstranten verhärtet haben. Wer hoffe, dass die Regierung sich dem Druck beuge, dem sei gesagt, dass dies nicht passieren werde, sagte Regierungschefin Carrie Lam am Montag. Die Gewalt gehe inzwischen weit über die Forderungen nach Demokratie hinaus, sagte die pekingfreundliche Lam. Die Demonstranten seien nun die „Feinde des Volkes“. Nach Auskunft von Carrie Lam mussten sich am Montag mehr als 60 Verletzte in Krankenhäusern behandeln lassen.

Der Herausgeber der chinesischen Staatszeitung „Global Times“, Xu Xijin, schreibt in seinem Blog, die Polizei habe nichts zu befürchten. Der Journalist, der unter anderem auf Twitter für die chinesische Regierung Propaganda betreibt, schreibt weiter: „Ihr habt die Unterstützung nicht nur der Bevölkerung Hongkongs und Chinas, sondern auch chinesischer Soldaten und der Volksbefreiungsarmee in Hongkong.“ Sie könnten jederzeit nach Hongkong kommen, um die Beamten zu unterstützen.

Amnesty International machte der Hongkonger Polizei dagegen schwere Vorwürfe. Das Abfeuern scharfer Munition sei ein klarer Beleg für die rücksichtslose Anwendung von Gewalt.

Die Demonstranten fürchten um Freiheitsrechte in der ehemaligen britischen Kronkolonie und gehen deshalb seit fünf Monaten auf die Straßen. Die Proteste waren ursprünglich von einem umstrittenen Auslieferungsgesetz ausgelöst worden, inzwischen fordern die Demonstranten unter anderem eine unabhängige Untersuchung der Polizeigewalt und freies und allgemeines Wahlrecht für Hongkong. Die chinesische Sonderverwaltungszone genießt offiziell nach dem Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ noch bis 2047 Sonderrechte. Doch viele Demonstranten empfinden ihre Heimatstadt in diesen Tagen als chinesischen Polizeistaat nach dem Prinzip „ein Land, ein System“.

"Wir sind wütend", sagen die Demonstranten

Die vergangenen Tage waren besonders gewalttätig. In der vergangenen Woche starb ein Demonstrant unter ungeklärten Umständen, weil er in einem Parkhaus vom dritten in den zweiten Stock stürzte. In der unmittelbaren Umgebung befand sich zu diesem Zeitpunkt auch eine Sondereinheit der Polizei. Doch diese weist jede Schuld von sich.

Am Montag nun feuerte ein Verkehrspolizist in der Nähe der Metrostation Sai Wan Ho dreimal auf Demonstranten. Er zielte dabei auch auf einen Demonstranten, der auf ihn zulief. Ein Video des Vorfalls, das kurz darauf online verbreitet wurde, zeigt, wie der Polizist dem jungen und offenbar unbewaffneten Mann aus nächster Nähe in den Bauch schießt. Nach Informationen der „South China Morning Post“ verletzte die Kugel eine Niere und die Leber des 21-Jährigen. Die pekingfreundliche Zeitung berichtet, dass die beiden Kinder des Polizisten anschließend Todesdrohungen erhalten hätten.

Außer dem angeschossenen Studenten kämpft auch ein weiterer Mann derzeit um sein Leben. Nach einem Streit über Identitätsfragen wurde der für China Partei ergreifende Mann von Demonstranten mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen und angezündet. Auch von diesem Vorfall existiert ein Video. Laut „South China Morning Post“ ist das Opfer ein 57 Jahre alter Vater von zwei Töchtern. „Er kämpft nun in einem Krankenhaus mit Verbrennungen von fast 30 Prozent seines Körpers um sein Leben“, schreibt die Zeitung, die der chinesischen Alibaba-Gruppe gehört. Am Abend kursierte ein Video in den sozialen Medien, das zeigt, wie Demonstranten in einer offenbar von ihnen zerstörten Metrostation vor dem später angezündeten Mann flüchten. Er hält womöglich einen Gegenstand in der Hand, vielleicht ein Messer.

„Wir sind so wütend“, sagten Demonstranten in Hongkong am Wochenende. Kurz zuvor war bekannt geworden, dass eine junge Frau in einem Hongkonger Krankenhaus abgetrieben hatte, nachdem sie – eigenen Angaben zufolge – vor Wochen in einer Polizeistation von mehreren Beamten vergewaltigt worden war. Die Hongkonger Polizei sagte, sie gehe den schwerwiegenden Vorwürfen nach, es spreche aber einiges dagegen. Bereits in den Wochen vorher hatten sich Frauen immer wieder teils auch öffentlich geäußert und von sexueller Gewalt und Belästigung während ihrer Haft erzählt.

Eine Sozialarbeiterin berichtete, die Polizei habe so viel Tränengas eingesetzt, dass viele Menschen von der Straße in die Räumlichkeiten der Agentur geflüchtet seien, für die sie arbeitet. Sie sagt: „Es wird immer schlimmer.“ (mit rtr)

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