Kritik an Facebook, Twitter und Youtube: „Demokratie kann nur gelingen, wenn sie auch digital gelingt“
Nicht nur die Anwesenheit des Bundespräsidenten zeigt: Die re:publica ist politisch wie selten, es geht um die Frage: Wieviel Freiheit verträgt das Internet?
Es ist ungewöhnlich, dass überall auf dem Konferenzgelände lange Botschaften prangen. In der Eingangshalle hängen sogar riesige, bedruckte Papierrollen von der Decke. Print lebt hier, dabei geht es um das Internet - es ist ein Plädoyer gegen den schnellen Tweet, das verkürzen und verletzen in der digitalen Welt.
Früher hätte ein kurzer Hashtag genügt. Wohl auch deshalb hat Frank-Walter Steinmeier gleich zugesagt – der Bundespräsident liebt die Langform, das lange Argument. Das ironische Motto der 13. Ausgabe der führenden europäischen Digitalkonferenz re:publica in Berlin lautet: tl;dr. Das ist Internet-Slang und steht für: too long, didn’t read – zu lang, nicht gelesen.
Doch hier geht es um das Gegenteil, um ausführliche Debatten. Um Lösungen zu finden gegen all den Hass im Netz, die Aushöhlung der Demokratie. Bei der re:publica geht es eben nicht um das Zuspitzen, die Twitterwelt des US-Präsidenten Donald Trump.
Schon lange, bevor der Bundespräsident das Wort ergreift, geht nichts mehr. Hunderte Teilnehmer kommen nicht mehr in den Saal der Eventlocation „Station Berlin“ in Kreuzberg rein, wo eine Woche zuvor noch die 700 Delegierten beim FDP-Parteitag locker Platz hatten. Kurzerhand gibt es ein Public Viewing, die Abgewiesenen ziehen an der im Hinterhof stehenden Dienstlimousine des Bundespräsidenten vorbei, und machen es sich bei Sonnenschein in Liegestühlen im Park des Technikmuseums um die Ecke bequem, um die Rede auf einer Leinwand zu sehen. Es hat fast etwas von Kirchentag – nur ist dies das Hochamt der digitalen Welt.
Erstmals eröffnet ein Bundespräsident die Konferenz. Steinmeier ist ja ein Mann der langen Linien und des geschliffenen Arguments. Zu Beginn fragt er: „Was hat eine so analoge Institution wie der Bundespräsident auf einer so digitalen Veranstaltung wie der re:publica zu suchen?“ Einige im Saal würden sich sicher fragen: „Müssen wir dem die Nationalhymne singen?“ Woraufhin ein Mann aus dem Publikum ruft: „Machen wir.“ So weit kommt es aber nicht. Steinmeier bereitet vor allem die Verrohung der Sitten im Netz Sorgen, der Hass, die Polarisierung, fehlendes Zuhören und Debattieren. Seine Botschaft: Der 70. Geburtstag des Grundgesetzes am 23. Mai erinnere an jenen Zusammenhang, der älter sei als „online“ und „offline“: „Freiheit braucht Regeln, und neue Freiheiten brauchen neue Regeln.“ Und: Mit der Meinungsfreiheit komme auch eine Meinungsverantwortung.
Und dafür sieht er im Silicon Valley eine Bringschuld. „Nach vielen Worten und Ankündigungen, nach Gesprächsrunden und fotogenen Politikerterminen ist es an der Zeit, dass Facebook, Twitter, YouTube & Co. ihre Verantwortung für die Demokratie endlich wahrnehmen, endlich in die Tat umsetzen.“ Beifall im Saal. Demokratie sei nun einmal Politik in Langform. „Populisten schätzen die simple Antwort, den kurzen Prozess, den knackigen Tweet. Demokratinnen und Demokraten geben sich damit nicht zufrieden.“
Demokratie kann nur gelingen, wenn sie auch digital gelingt, ist Steinmeiers Botschaft. „Dieses Motto ist ein Aufruf an die politische Debattenkultur“, sagt er mit Blick auf den re:publica-Ansatz – gegen den Zeitgeist von Verkürzung und Vereinfachung. „Deshalb bin ich froh, dass gerade im Netz die Lust an der Langform zu wachsen scheint – bei Podcasts etwa, bei Longreads, durch immer bessere journalistische Angebote im Netz.“ Steinmeier wäre nicht Steinmeier, wenn er es nicht schaffen würde, sogar hier anlässlich dessen 200. Geburtstags Theodor Fontane und seinen „Stechlin“ in die re:publica-Rede einzubauen. „Da geht es um den Verfall der alten Welt und ihrer Sitten, und natürlich wird – vielleicht kommt Ihnen das bekannt vor? – der nahende Untergang des Abendlandes beschworen“, sagt er, „Warum? Weil eine Innovation in der Kommunikationstechnologie das Königreich Preußen im Mark erschüttert: das Telegramm.“ Weder Telegramme damals noch Tweets heute könnten aus sich heraus die Demokratie zersetzen. „Aber ersetzen kann Technologie die Demokratie schon lange nicht.“
Theodor Fontane in einer re:publica-Rede
Bei den hunderten Foren wird in der dazu passenden Industriekulisse über Fragen diskutiert wie „Ist das gerade wirklich ein Thema: Relevanz in digitalen Zeiten“ und „Sind das Fakten?“. Alle 640 Plätze im Saal und dazu der Fußboden sind gefüllt, als es in Anlehnung an ein Lied der Punkband Bad Religion um die Frage geht: „The Kids are Alt-Right. Wie die Neue Rechte Influencer erschafft und nutzt.“ Patrick Stegemann und Sören Musyal haben sich drei Jahre Videos der rechten Szene bei YouTube angesehen – die sich im Netz als Postergirls, Bienenzüchter, Weltreisende oder Hobbyköche inszenieren, um unterschwellig ihre Botschaften unter die Jugend zu bringen. Die beiden Referenten zeigen wie Influencer-Netzwerke, zum Beispiel das des führenden Kopfs der Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner funktionieren, wer sie finanziert und wie rasant sich das im Netz verbreitet. Auch Steinmeier betont, es gehe nicht um die Frage, ob das Netz für die Demokratie nun eine gute oder schlechte Sache sei, Allheilsbringer oder die Abrissbirne. Er frage sich aber, „warum gerade die politischen Debatten, die ich im Netz erlebe, so oft dazu neigen, toxisch zu werden“.
Was mache dagegen eine gute, demokratische Debatte überhaupt aus? „Meine Antwort wäre: Vernunft auf der einen Seite – die Bereitschaft, mit Argumenten zu überzeugen und sich von besseren Argumenten überzeugen zu lassen – und auf der anderen Seite: Zivilität.“ Beide Eigenschaften, Vernunft und Zivilität, gelte es zu schützen. „Und beide brauchen Raum und langen Atem.“
Es ist schon interessant, wie die Politik beim Thema Digitalisierung aufzuwachen scheint, noch nie war das Politiker-Schaulaufen bei der re:publica so groß. Besonders auffällig: Fast die gesamte SPD-Spitze und Ministerriege hat sich angesagt. Kein Wunder, das durchschnittliche Mitgliedsalter bei den Sozialdemokraten und auch vieler Wähler liegt jenseits der 60. So spricht Bundesfinanzminister Olaf Scholz unter anderem über die Regeln für die digitale Welt in Europa. Ein Herzensprojekt der Sozialdemokraten ist eine Digitalsteuer für Konzerne wie Apple, Amazon und Google. Viele fürchten aber Gegenmaßnahmen der US-Regierung von Präsident Donald Trump, weshalb Scholz erstmal eine Lösung für eine Mindestbesteuerung mit den USA auf der Ebene der OECD-Mitglieder finden will. Nicht wenige in der Partei fordern hier mehr Vorpreschen von Scholz, zumal Frankreich und Österreich im nationalen Alleingang die Konzerne nun stärker zur Kasse bitten.
Was macht eine gute, demokratische Debatte aus?
Politik und Konferenz brauchen auch einander. die re:publica ist sehr ernsthaft und politisch, es geht darum, wie bestimmte Entwicklung wieder eingefangen werden können, ohne die Kraft und Freiheit des Internets zu zerstören und zugleich Demokratie und Bürger besser zu schützen. Die Umarmungsversuch der Politik wirken allerdings etwas kurios, wenn man bedenkt, wie hart zuletzt die Kritik an dem Durchwinken der EU-Urheberrechtsrichtlinie mit dem möglichen Herausfiltern bestimmter Inhalte war, auch die SPD fiel hier mit einem Schlingerkurs auf. Und gegen einen der Gründer der Konferenz, Markus Beckedahl, wurde sogar wegen Landesverrats ermittelt, weil die von ihm mitverantwortete Seite netzpolitik.org geheime Interna des Verfassungsschutzes veröffentlicht hatte. Der ermittelnde Generalbundesanwalt Harald Range ist daraufhin vom damaligen Justizminister Heiko Maas (SPD) in den Ruhestand versetzt worden.
Am frühen Nachmittag tritt re:publica-Gründer Beckedahl an das Pult, an dem zuvor noch Steinmeier gefeiert wurde. Zur Begrüßung sagt der 43-Jährige, er würde gern einmal eine fröhliche, optimistische Rede auf dieser Konferenz halten. Dieses Jahr wird es wieder nichts. Seinen Vortrag hat er passenderweise gleich „Digital war mal besser“ betitelt. Beckedahl skizziert sehr eindrücklich, wie wenig Schranken die Politik der Datensammelwut großer Konzerne setzt. Dass die smarte Kaffeemaschine für Zuhause zwar irre praktisch sei, weil sie einem das Getränk eben schon aufwärme, während man selbst noch im Bett liegt. „Aber wer weiß eigentlich, was sie sonst noch macht? Ob sie von eurer Küche aus gerade einen Cyberkrieg gegen Finnland führt oder eure Gespräche aufzeichnet und an Mutter schickt?“ Dafür brauche es endlich eine vernünftige, gesetzlich verankerte Marktüberwachung. Echten Verbraucherschutz. Auch das ist eine Frage der Demokratie in digitalen Zeiten.
Netzaktivist Beckedahl versucht die schlechten Nachrichten in Humor zu verpacken
Besonders kritisch sieht Beckedahl den derzeitigen Siegeszug der Sprachassistenten wie „Alexa“. Aus Sicht von Sicherheitsbehörden seien die Deutschen gerade dabei, überall in ihren Privaträumen potenzielle Wanzen auszulegen, „das ist für die natürlich eine erfreuliche Entwicklung.“
Und dann, natürlich, Facebook. Wie sehr der Konzern zwar behaupte, die eigene Plattform nur deshalb enger mit Whatsapp und Instagram verzahnen zu wollen, um Daten der Nutzer zu schützen. Dass dies aber eben PR-Sprech sei. Die Verzahnung der Plattformen sei dem Unternehmen deshalb so wichtig, weil dies eine spätere Entflechtung und damit eine Beschneidung der Marktmacht verunmögliche. Beckedahl projiziert dann ein überlebensgroßes Foto von Mark Zuckerberg an die Leinwand hinter dem Rednerpult, der Facebook-Gründer hat es selbst gepostet. Auf dem Bild ist Zuckerbergs Laptop zu sehen – und dass er nicht nur seine Webcam zugeklebt hat, sondern mit Gaffa-Tape auch das Mikrofon verdeckt hat. „Ein guter Tipp aus dem Silicon-Valley“, sagt Beckedahl.
Er versucht, die vielen schlechten Nachrichten in Humor zu verpacken. Sagt, wie erstaunt er war, dass so viele junge Menschen auf den Straßen gegen die Urheberrechtsreform demonstrierten – obwohl das Thema doch nun wirklich das „Trockenste und Langweiligste ist, was es gibt.“ Der CDU-Politiker Axel Voss, der das Gesetz im Europaparlament zur Verabschiedung voran gebracht hat, kommt am Dienstag zum Streitgespräch. Die Veranstalter sagen, er wird sehr höflich empfangen werden. Und dann wird sachlich diskutiert. So ist das in der Demokratie