Spionageliste: De Maizière hält gezielte Provokation der Türkei für möglich
Wie kommt der türkische Geheimdienst dazu, dem BND eine Liste mit Ausgespähten in Deutschland zu übergeben? Vielleicht war es nicht nur Naivität. Unions-Fraktionschef Kauder spricht von einer "Unverschämtheit".
Bundesinnenminister Thomas de Maizière hält es für möglich, dass der türkische Geheimdienst MIT gar keine Spionage beabsichtigte, als er dem Bundesnachrichtendienst (BND) eine Liste mit Gülen-Sympathisanten in Deutschland übergab. "Da gibt es vielleicht noch einen Plan dahinter", sagte der CDU-Politiker am Donnerstag im ZDF-"Morgenmagazin". "Provokation vielleicht", um die Beziehungen der beiden Länder "in irgendeiner Weise zu belasten". Hintergrund ist die Frage, ob die Annahme realistisch ist, dass der Geheimdienst überhaupt Unterstützung durch den BND bei Spähaktionen in Deutschland erwarten konnte.
Der türkische Geheimdienst MIT hatte dem Bundesnachrichtendienst im Februar eine Liste mit mehr als 300 Namen angeblicher Anhänger der Gülen-Bewegung und 200 ihr nahestehender Institutionen überreicht, offenbar in der Hoffnung auf Unterstützung. Die türkische Regierung macht die Gülen-Bewegung für den gescheiterten Putschversuch vom vergangenen Juli verantwortlich. De Maizière sagt, die deutschen Behörden hätten schon länger "Beobachtungen" hinsichtlich des türkischen Geheimdienstes gemacht, doch erst die Liste habe genauere Hinweise gegeben. Er bedauerte die Veröffentlichung des Dokumentes. Zwischen den Bundesländern habe es keine verbindliche und klare Absprache über den Umgang damit gegeben.
Auf der Liste sollen auch deutsche Parlamentarier stehen. Offenkundig gilt das für die SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe, Michelle Müntefering, die Frau des früheren SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering. Außerdem wird die Berliner Landesparlamentarierin Emine Demirbüken-Wegner genannt, wie deren CDU-Landesvorsitzende Monika Grütters sagte. Weitere Politiker als die bekannten sind nach Angaben de Maizières nicht in dem Dokument zu finden.
Vor dem Bundesinnenminister war auch schon aus der CSU die Möglichkeit einer gezielten Provokation ins Gespräch gebracht worden. Dies sei „unerträglich und nicht hinnehmbar“, sagte der innenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Stephan Mayer (CSU), der „Passauer Neuen Presse“. „Offenbar will die türkische Regierung durch das offene Einräumen der Spionagetätigkeit die Bundesregierung bewusst provozieren und herausfordern. Denn es ist nicht davon auszugehen, dass die türkische Seite so naiv war, davon auszugehen, dass das Dossier nicht ans Licht der Öffentlichkeit kommt.“
Kauder fordert "strafrechtliche Konsequenzen"
Unions-Fraktionschef Volker Kauder bezeichnete eine mögliche Ausforschung deutscher Abgeordneter durch den türkischen Geheimdienst als "Unverschämtheit". "Aber auch wenn es keine Abgeordneten sind, ist Spionage strafbar", sagte er am Donnerstag im "Morgenmagazin". Der Fall müsse nun aufgeklärt und "mit aller Härte des Gesetzes" verfolgt werden. Falls sich die Vorwürfe bestätigten, müsse es "strafrechtliche Konsequenzen" geben, forderte der CDU-Politiker.
Die Integrationsbeauftragte der Unionsfraktion, Cemile Giousouf (CDU), sprach von „Stasi-Methoden“: „Die Spionage-Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes gegen deutsche Politiker sind türkische Stasi-Methoden, die wir nicht akzeptieren“, sagte Giousouf der „Rheinischen Post“. Sie erwarte, „dass es zu einer strafrechtlichen Verfolgung dieser geheimdienstlichen Spionage kommt, wie es unser Gesetz vorschreibt“. Es sei gut, dass der BND die Personen, die auf der Liste des türkischen Geheimdienstes stehen, gewarnt habe.
"Ähnlichkeiten zum Führerprinzip Hitlers beängstigend"
Der CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl sagte dem „Handelsblatt“: „Zu glauben, dass die deutschen Dienste dem türkischen Dienst hierbei Amtshilfe leisten, zeigt die Borniertheit der türkischen Regierung.“ Unter Präsident Recep Tayyip Erdogan entferne sich die Türkei „in Sieben-Meilen-Stiefeln“ von rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzipien. „Das Verfassungsreferendum ist nichts anderes als ein Ermächtigungsgesetz. Die Ähnlichkeiten zum Führerprinzip Adolf Hitlers sind beängstigend“, sagte Uhl.
Zuvor hatte Erdogan die Bundesregierung mehrmals mit Nazi-Vergleichen geschmäht. Dabei ging es um die Weigerung deutscher Kommunen und Veranstalter, türkischen Politikern Hallen für Wahlkampfauftritte zur Verfügung zu stellen. Diese wollten bei Deutschtürken für das umstrittene Verfassungsreferendum werben, das Erdogan deutlich mehr Macht verleihen würde. Deutschtürken können darüber derzeit auch in der Bundesrepublik abstimmen. Erdogan hatte die Verweigerung von Auftrittsorten als „Nazi-Methode“ bezeichnet. Die Ermittlungen der deutschen Bundesanwaltschaft gegen den türkischen Geheimdienst wiederum lösten bei Erdogans Anhängern in der Türkei heftige Empörung aus. (mit dpa)
Ingo Salmen