zum Hauptinhalt
Zur Eröffnung der Bait-ul-Wahid-Moschee in Hanau kamen Mädchen mit Schärpen in Deutschland-Farben und Fahnen mit dem islamischen Halbmond.
© dpa

Zehn Jahre Deutsche Islamkonferenz: De Maizière fordert Sicherheitsdebatte von Muslimen

Die Islamkonferenz soll ein zentrales Dialogforum zwischen Staat und Muslimen sein. Jetzt gibt der Innenminister Fehler zu. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema.

Zum zehnjährigen Bestehen der Deutschen Islamkonferenz (DIK) am Dienstag hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) eine Debatte über die Zukunft des Dialogs zwischen Staat und Muslimen angestoßen. „Wir müssen auf Veränderungen reagieren“, sagte er. Er sprach sich dafür aus, den Komplex Sicherheit wieder zu thematisieren. In der Vergangenheit löste dieses Ansinnen des Staats regelmäßig Streit mit den Islamverbänden aus. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, stellte sogar die Fortführung des Gremiums infrage. Hier beantworten wir die wichtigsten Fragen zum Thema:

Was ist die Deutsche Islamkonferenz?

Sie ist seit ihrer Einberufung am 27. September 2006 die zentrale Plattform des Dialogs zwischen Staat und Muslimen in Deutschland. Staat und Muslime sind mit einer gleichen Anzahl von Personen vertreten – anfangs waren dies je 15 nichtorganisierte Muslime und Verbandsvertreter und 15 Mitglieder aus Bund, Ländern und Kommunen. Nachdem das Zuwanderungsgesetz von 2004 den offiziellen Abschied der deutschen Politik vom Leitbild eines ethnisch homogenen Staatsvolk vollzogen hatte, wurde auch anerkannt, dass der Glauben eines großen Teils der Einwanderer Platz im deutschen Religionsverfassungsrecht bekommen muss, früher sprach man von Staatskirchenrecht. Da Religion in Deutschland aber im Wesentlichen Ländersache ist, konnte und kann die DIK eher Anregungen und Anstöße geben als entscheiden.

Warum gibt es die Konferenz noch immer?

Die Erfinder im Bundesinnenministerium gingen von zwei bis drei Jahren aus, bis die Konferenz überflüssig werde. Die Zeit sollte reichen für das ehrgeizige Ziel: einen „langfristigen Kommunikationsprozess zwischen dem deutschen Staat und Vertretern der in Deutschland lebenden Muslime“ zu etablieren. Am Ende der drei Jahre sollte, so hieß es in der Erklärung des Ministeriums seinerzeit, eine „tragfähige Grundlage“ für das Verhältnis beider Seiten gegossen sein.

Daraus sind mehr als dreimal so viele Jahre geworden, und ein Ende der Veranstaltung ist nicht in Sicht. Sie wird gebraucht, schon weil sie auch zehn Jahre nach dem feierlichen Treffen im Berliner Schloss Charlottenburg der einzige Kanal auf Bundesebene zwischen Staat und Muslimen ist. Anders als die katholische und evangelische Kirche, die etablierte Kanäle zur Kommunikation mit dem Staat und eine Vielzahl gewachsener Privilegien haben, ist der deutsche Islam noch keine Körperschaft öffentlichen Rechts und hat anders als die Kirchen nicht einmal eine Lobbyvertretung in Berlin.

Wie ging es nach der ersten Phase weiter?

Mit dem Wechsel von Wolfgang Schäuble ins Finanzministerium 2009 war der Schwung der ersten Phase erst einmal erlahmt. Zwei Jahre nachdem sich die vier größten muslimischen Verbände im Koordinationsrat der Muslime (KRM) zusammengeschlossen hatten, erhielt ihre von staatlicher Seite lange geforderte Zusammenarbeit genau von dort einen herben Schlag: Der neue Minister Thomas de Maizière schloss den mitgliederstarken Islamrat von der Konferenz mit der Begründung aus, dass gegen hohe Funktionäre Verfahren wegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung liefen – die später eingestellt wurden.

Der Zentralrat der Muslime verließ die DIK kurz danach freiwillig und unter Protest gegen die Alleinherrschaft des Ministeriums über Teilnehmer und Tagesordnung der Konferenz. Was der Minister von ihr halte, schimpfte dessen Vorsitzender Aiman Mazyek, könne man schon daran erkennen, dass er sie aus der Grundsatzabteilung des Ministeriums herausgelöst und der für Ausländer zugeschlagen habe.

Noch schärfer wurde der Ton ab 2011 unter de Maizières Nachfolger, dem CSU-Politiker Hans-Peter Friedrich. Kaum im Amt, brachte er seine muslimischen Gesprächspartner durch den Satz auf, der Islam gehöre „historisch“ nicht zu Deutschland. Friedrich kündigte an, Sicherheitsfragen zum Schwerpunkt der DIK zu machen. Es kam zum Eklat, nicht nur die Verbände waren verärgert, auch die nichtorganisierten muslimischen Mitglieder der Konferenz schrieben einen Protestbrief dagegen, Religionspolitik und Anti-Terror-Maßnahmen zu vermischen. Ausgerechnet Friedrich kassierte daraufhin das Thema, das seit Beginn der DIK immer wieder Ärger gemacht hatte, und gliederte Sicherheitsfragen aus. Die AG Prävention der DIK beschäftigt sich seitdem nicht mehr mit Islamismus, sondern mit Islamophobie.

Man müsse auch im Interesse der Verbände bei der Islamkonferenz öffentlich über Sicherheit reden, sagte de Maizière jetzt. Derzeit gebe es zwar die Dialogplattform „Gemeinsam sicher leben“. Über die werde auf Bitten der Islamverbände aber nicht groß gesprochen. „Das halte ich inzwischen für falsch“, sagte er. Zudem betonte er, der islamistische Terrorismus, der sich missbräuchlich auf den Islam berufe, sei noch stärker geworden.

Wo steht die DIK heute?

Thomas de Maizière, der im Oktober 2013 erneut Innenminister wurde, hat ihr 2014 einen Neuanfang verordnet und dabei gleich den zweiten großen Zankapfel der Konferenz auf den politischen Kompost befördert: Seither entscheidet nicht mehr das Ministerium allein über Themen und Struktur der DIK, sondern ein „Lenkungsausschuss“, in dem gleichermaßen die muslimische Seite vertreten ist. Auf der Agenda steht seither praktische Arbeit an der Integration des Islam ins deutsche Religionsverfassungsrecht: Die DIK hat inzwischen die „Keimzelle“ (de Maizière) eines islamischen Wohlfahrtsverbands nach dem Vorbild von Caritas und Diakonie auf den Weg gebracht und beackert ein weiteres Feld traditioneller Zusammenarbeit von Staat und Religion in Deutschland: die Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen wie Bundeswehr, Polizei und Gefängnissen.

Ein Miterfinder und früherer Organisator der Islamkonferenz kritisierte, was aus ihr geworden ist: Markus Kerber, der unter dem damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble 2006 bis 2009 die Grundsatzabteilung des Bundesinnenministeriums leitete, sagte dem Tagesspiegel, für Schäuble sei sie „ein Lieblingsprojekt“ gewesen, „das er ins Herz geschlossen hatte. Später wurde die Islamkonferenz nur noch administriert.“ Das zeige sich auch daran, dass der Islam bis heute nicht den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts erhalten habe. Das sei zwar Sache der Länder, aber: „Nach meiner Erfahrung brauchen die auch bei Kernaufgaben oft Schub vom Bund. Ich weiß nicht, ob da aus Berlin genug kam“, sagte Kerber, der seit 2011 Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie ist.

Kerber sprach sich dafür aus, gerade in Zeiten des Zulaufs zur AfD wieder Wertedebatten zu führen, auch in der Islamkonferenz: „Als Hüter der Religionsfreiheit und des Religionsverfassungsrechts muss der Staat seine Aufgabe erfüllen.“ Da es in den großen Parteien SPD und Union dazu nichts Ernstzunehmendes gebe, sei er in der Verantwortung. „Wir brauchen dringend an etlichen Ecken in Deutschland ein Verständnis dafür, was eine offene, auch religiös offene Gesellschaft ist. Dabei muss man den AfD-Leuten sagen, was nicht geht, und einigen Muslimen auch.“ Die DIK sei dafür einst eine Bühne gewesen und könnte dies immer noch sein – und sie habe Erfolge gehabt: „Völlig unbemerkt von der deutschen Mehrheit werden die deutschen Muslime seither wahr- und ernst genommen, die Politik setzt sich mit ihnen auseinander. Und sie haben das sehr wohl bemerkt. Ich halte das immer noch für einen der Gründe, warum es in Deutschland keinen großen Anschlag von ,homegrown‘ Attentätern gab.

Was hat die Islamkonferenz gebracht?

Obwohl sie mangels Zuständigkeit eher symbolisch wirken musste, haben zehn Jahre Deutsche Islamkonferenz Greifbares für die Emanzipation der Muslime gebracht. Naika Foroutan, Politologin an der Berliner Humboldt-Universität und Mitorganisatorin der Jungen Islam-Konferenz, verwies im Gespräch mit dem Tagesspiegel vor drei Jahren auf den Schulunterricht und die Gründung islamischer Zentren an den Universitäten: „Wir hätten ohne die DIK nie islamische Theologie an die Universitäten bekommen, der Religionsunterricht ist vorangekommen.“ Auch Mazyek lobte die Ergebnisse aus zehn Jahren Islamkonferenz. Es sei viel angestoßen worden, zum Beispiel in den Bereichen Religionsunterricht und Theologie an Universitäten. Eine Fortführung der Islamkonferenz hänge davon ab, was sich die Regierung nach den Wahlen 2017 vornehme, sagte er: „Einen Automatismus gibt es nicht.“

Auch das Wissen über Muslime ist laut Foroutan in Deutschland gewachsen. So entstand 2008 im Auftrag der Konferenz die Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“, die die Zahl der Muslime damals auf 3,8 bis 4,3 Millionen schätzte. Auch das Leben muslimischer Gemeinden ließ die Konferenz erforschen. Außerdem formulierte die DIK Empfehlungen für Aus- und Weiterbildung muslimischer Geistlicher. Der Erlanger Juraprofessor und Islamwissenschaftler Mathias Rohe, der in der ersten Islamkonferenz Mitglied der Arbeitsgruppe Verfassungsfragen war und bis heute als Fachmann mitarbeitet, hält schon den „Lernprozess“, der vor zehn Jahren begann, für einen Gewinn – für beide Seiten: „Nicht nur über den Islam ist Wissen entstanden, auch die Muslime und ihre Verbände verstehen jetzt besser, welche formalen und inhaltlichen Anforderungen für Verwaltung und Politik wichtig sind.“

Gut sei auch gewesen, ein eigenes Islam-Gremium einzurichten: „Das war wichtig, weil in der öffentlichen Debatte der Islam umstandslos mit Migration gleichgesetzt wird.“ Behördenvertreter hätten in der DIK gelernt, Muslimen mit Respekt zu begegnen. „Auf den ersten Treffen der DIK war es so: Vormittags sprach der Staat, und nachmittags sagten die Muslime was dazu. Das hat sich geändert, man ist auf Augenhöhe“, sagte Rohe.

Und was nicht?

Einfach mal ein paar Jahre miteinander reden und am Ende ist der Islam ein Partner des Staates wie die christlichen Kirchen – diese ursprüngliche Agenda wurde nicht eingehalten. Insofern, sagt Rohe, sei es „gut, dass die Konferenz weitergeht“, nicht nur im Sinne der Muslime: „Wenn Meryem Öztürk und Sandra Bauer unterschiedliche Chancen auf einen Job haben, dann ist das kein Problem der Muslime, sondern der Gesamtgesellschaft.“ (mit epd)

Zur Startseite