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Der Machtkampf zwischen dem türkischen Ministerpräsidenten Davutoglu (links) und Präsident Erdogan wird immer deutlicher.
© Reuters/Umit Bektas
Update

Machtkampf in der Türkei: Davutoglu ist nicht mehr Erdogans folgsamer Schüler

Wenn die EU heute den Visazwang für Türken aufhebt, wäre das ein Erfolg für Ministerpräsident Ahmet Davutoglu. Dessen Spannungen mit Präsident Recep Tayyip Erdogan nehmen zu.

Eigentlich sollte sich Ahmet Davutoglu freuen. Die EU dürfte an diesem Mittwoch den Weg für die Aufhebung des Visazwangs für Türken bei Reisen in Europa freimachen und dem türkischen Ministerpräsidenten damit einen wichtigen Erfolg bescheren. Doch der 57-jährige Davutoglu hat kaum Zeit, den Triumph zu genießen: Er befindet sich in einem immer offeneren Machtkampf mit Präsident Recep Tayyip Erdogan. Die Spannungen machen das ohnehin schon sensible Verhältnis der Türkei zu Europa noch komplizierter.

Etwa 60 der 72 Kriterien für den Wegfall des Visazwangs im Juni hat die Türkei nach Einschätzung der EU derzeit erfüllt. Davutoglu hatte seit dem Abschluss des Flüchtlings-Deals mit Brüssel Mitte März mächtig aufs Tempo gedrückt, um den Anforderungen der Europäer nachzukommen.

Zuletzt setzte der Premier eine indirekte Anerkennung der zur EU gehörenden Republik Zypern durch, ein Schritt, den Ankara seit Jahrzehnten vermieden hat. Nun wurde per Regierungsdekret die Visapflicht für Zyprer aufgehoben, weil ohne diesen Schritt die Visafreiheit für Türken nicht zu haben gewesen wäre.

Mit einer merklichen Reduzierung der Flüchtlingszahlen und gleichzeitigen Warnungen an die Europäer hat Davutoglu den Wegfall des Visazwangs in greifbare Nähe rücken lassen. Die Zahl der in Griechenland aus der Türkei ankommenden Menschen sank laut UN-Angaben im April auf 130 pro Tag – im März waren es fast noch 900, im vergangenen Jahr mehrere tausend. Während er diese Entwicklung als beispielhaft lobte, verwies Davutoglu immer wieder darauf, dass die Türkei die Rücknahme von Flüchtlingen sofort einstellen werde, wenn die EU beim Thema Visafreiheit zögern sollte.

Kein Wunder, dass Davutoglu die auf Ende kommenden Monats vorgezogene Abschaffung des bei den Türken äußerst unbeliebten Visazwangs als großen Erfolg feierte – doch Erdogan fuhr ihm öffentlich in die Parade. Er könne nicht verstehen, warum ein solch kleines Detail als große Errungenschaft verkauft werde, maulte der Präsident. Die Grundentscheidung zur Visafreiheit habe übrigens er selbst in seiner Zeit als Ministerpräsident vor dem Wechel ins Präsidentenamt im Jahr 2014 ausgehandelt.

Die Reibungen zwischen den beiden wachsen

Erdogan hatte seinen ehemaligen Berater und Außenminister Davutoglu als seinen Nachfolger als Premier und Chef der Regierungspartei AKP eingesetzt. Doch jetzt wachsen die Reibungen zwischen beiden. Vergangene Woche beschloss der AKP-Parteivorstand gegen Davutoglus Willen, die Rechte des Parteichefs zu beschränken. Davutoglu wurde die Möglichkeit genommen, AKP-Provinzfürsten im Alleingang zu ernennen. Mit der Entscheidung will Erdogan, der auch als nominell parteiunabhängiger Präsident der entscheidende Mann in der AKP geblieben ist, den Aufbau einer eigenen Hausmacht durch Davutoglu verhindern.

Hinzu kommt, dass Erdogan-treue Kommentatoren in den türkischen Medien gegen Davutoglu schießen. Nasuhi Güngör, ein als Fan des Präsidenten bekannter Journalist, forderte Davutoglu zum Rücktritt auf. In der AKP herrsche Krieg, kommentierte die regierungskritische Zeitung „Özgür Düsünce“.

Einige Beobachter nehmen an, dass Davutoglu dem Präsidenten inzwischen zu mächtig geworden ist. Im Februar verärgerte der Premier seinen Mentor mit der Bemerkung, Erdogan sei zwar eine „Legende“ für die AKP, er selbst aber der „neue Chef“. Durch die Beratungen mit der EU über die Flüchtlingskrise und die häufigen Besuche europäischer Spitzenpolitiker hat Davutoglu zudem auch auf internationalem Parkett an Statur gewonnen.

Erdogan wolle aber einen zu hundert Prozent gehorsamen Premier, schrieb der AKP-Kenner Mustafa Akyol auf Twitter. Die Spannungen zwischen beiden Politikern könnten bald „explodieren“. Akyols Kollege Levent Gültekin meinte, Davutoglu sei einer der wenigen in der AKP, die Erdogan ein „Aber“ entgegensetzten. Erdogan dulde das nicht.

Davutoglu steht zudem im Verdacht, Erdogans Lieblingsprojekt der Einführung eines Präsidialsystems nur halbherzig zu verfolgen. Der Premier legt keinerlei Eile an den Tag, was die für die Systemumstellung nötigen Verfassungsänderungen angeht. Dagegen dringt Erdogan nach Presseberichten auf baldige Beschlüsse und eine Volksabstimmung über die neuen Verfassung noch in diesem Jahr.

Wie das Thema Visa zeigt, ziehen Präsident und Premier auch im Verhältnis zur Außenwelt nicht immer an einem Strang. Erdogan falle mit häufiger Kritik am Westen auf und erwecke den Eindruck, die Türkei mehr in Richtung auf die islamische Welt lenken zu wollen, schrieb der Kolumnist Semih Idiz in der „Hürriyet Daily News“. Dagegen hebt Davutoglu in jüngster Zeit wieder verstärkt das Ziel eines Beitritts zur EU hervor.

Türkische Medien berichten inzwischen, Davutoglu denke wegen des Machtkampfs über einen Rücktritt nach. Er habe sich in dieser Frage noch nicht entschieden, sagte Davutoglu laut Meldungen der Zeitungen "Hürriyet" und "Cumhuriyet" vom Mittwoch. Der Ministerpräsident und der Präsident wollen sich am Abend treffen.

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