Vorsitzender der Türkischen Gemeinde im Interview: "Das Ziel von Terror ist Angst"
Muslime demonstrieren gegen Terror. Der größte Moscheeverband nimmt nicht Teil. Für die Türkische Gemeinde sei es ganz klar, dass ein Zeichen gesetzt werden muss, sagt deren Vorsitzender Gökay Sofuoğlu.
Was hat die Türkische Gemeinde bewogen, den Aufruf zu einem „Ramadan-Friedensmarsch“ in Köln am kommenden Wochenende mitzutragen? Die Türkische Gemeinde Deutschlands ist schließlich kein muslimischer Verband.
Terror betrifft uns alle. Terror unterscheidet nicht zwischen Herkunft, Geschlecht und Religion. Das Ziel von Terror ist Angst. Und gegen diese Angst brauchen wir eine gesamtgesellschaftliche Allianz. Es ist wichtig das wir in diesen Zeiten ein Zeichen setzen. Daher folgen wir dem Aufruf von Lamya Kaddor und ihren FreundInnen. Wir sind als Türkische Gemeinde dabei, weil es Dinge gibt, bei denen man ohne Wenn und Aber dabei sein muss.
Ist es gut, dass nicht Verbände, sondern Privatpersonen zu dieser Demonstration einladen?
Ich denke, es gibt ihr mehr Gewicht, da sie von Persönlichkeiten ausgeht, die sich seit Jahren für Frieden einsetzen. Die verschiedenen muslimischen Verbände sind sich in vielen Punkten uneinig und sprechen oft nicht mit einer Stimme, wie man auf den verschiedenen Islamkonferenzen immer wieder sehen konnte. Diese Initiative versucht die Gemeinsamkeiten dieser verschiedenen Verbände hervorzuheben. Das finde ich einen guten Ansatz.
Ist es nicht eher kontraproduktiv, wenn sich Muslime immer wieder vom Terror distanzieren? Das verbindet die beiden Stichworte „Terror“ und „Islam“ doch immer wieder aufs neue.
Generell gilt, dass jeder gegen Terror demonstrieren sollte. Terror betrifft uns alle in gleicher Weise. Im Übrigen sind es vor allem die Muslime, die unter dem Terror am meisten leiden. Eine Distanzierung suggeriert bereits eine Nähe zu islamistischen Ideologien. Eine Weltreligion und seine Gläubigen in Sippenhaft zu nehmen für die terroristischen und menschverachtenden Handlungen einzelner, weisen wir entschieden zurück. Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche und globale Anstrengung, um den islamistischen Terrorismus zu bekämpfen.
Es geht an diesem Wochenende aber auch nicht in erster Linie um Distanzierung von etwas, sondern es geht darum, für etwas zu sein: Wir wollen Zivilcourage zeigen und uns für Menschenrechte, Frieden und unsere Demokratie einsetzen. Das sind alles Werte, die wir viel zu lange als selbstverständlich erachtet haben und die immer stärker unter Druck geraten. Dagegen sollten wir, Bürgerinnen und Bürger unterschiedlicher Weltanschauungen und Herkunft, uns in Zukunft viel stärker einsetzen.
Hoffen Sie, dass von dieser Demonstration in Köln ein Signal auch für künftige Zusammenarbeit ausgeht?
Ich würde mir wünschen, dass dieser Friendensmarsch den Beginn einer gemeinsamen Solidarisierung gegen den Terror darstellt. Wir müssen alle an einem Strang ziehen, um dem Terror entschieden entgegenzutreten. Dafür brauchen wir mehr Präventionsarbeit und mehr Investionen im Bildungsbereich.
Die Akteure, die Präventionsarbeit leisten wollen und dies auch zum Teil tun, haben es allerdings schwer an Finanzierungsmöglichkeiten zu kommen. Hier muss die Politik was tun. Gemeinsam mit Atila Karabörklü, dem neuen Ko-Bundesvorsitzenden der Türkischen Gemeinde, werden wir uns für ein friedliches Zusammenleben einsetzen. Wir wollen Brücken bauen und einen Dialog herstellen. Beim Friedensmarsch fangen wir damit an.
Gökay Sofuoğlu (55) ist seit 2014 Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland und zugleich Landesvorsitzender in Baden-Württemberg. Sofuoğlu wurde 1962 in Kayseri in der Türkei geboren. Dort machte er sein Abitur und wanderte 1980 nach Deutschland aus. Er studierte Sozialpädagogik und arbeitete als Sozialpädagoge in Kornwestheim und Stuttgart. Sofuoğlu ist Mitglied der SPD, der Gewerkschaft Verdi, bei den Naturfreunden und in der Arbeiterwohlfahrt (AWO).