Vor dem Friedensmarsch in Köln: "Muslime müssen die falsche Solidarität beenden"
In Köln demonstrieren am Samstag Muslime gegen islamistischen Terror. Ein offener Islam ist ein schönes Ideal, sagt der Sozialwissenschaftler Ruud Koopmans. Aber der Weg dahin sei noch weit. Ein Gespräch.
In Köln demonstrieren am Samstag Muslime gegen den Terror im Namen des Islam. In Deutschland wird oft kritisiert, dass es solche Aktionen nicht oder zu wenig gibt.
Herr Koopmans, stehen die Muslime in der Pflicht, sich zu distanzieren?
Jedenfalls ist es ihre Aufgabe. Wenn man das Problem bekämpfen will, müssen gerade diejenigen, in deren Namen die Islamisten zu sprechen behaupten, sich öffentlich davon distanzieren. Das ist übrigens nichts anderes als in den 90er Jahren, als hier in Deutschland Dutzende Ausländer getötet und angegriffen wurden von Skinheads, die ihre Taten vermeintlich im Namen des Volkes begingen. Da haben wir auch nicht gesagt, das sei nicht Aufgabe der Deutschen, sich zu distanzieren. Die Lichterketten sollen überflüssig gewesen sein?
Rechter Terror findet immer noch täglich statt. Ist das dann nicht immer noch unsere Aufgabe? Die Diskussion wird immer über den Islam geführt.
Nein, es ist doch eine Tatsache, dass sehr viel Mobilisierung gegen Rechtsextremismus stattfindet. Bei jeder Versammlung der AfD sind mehr Gegendemonstranten dabei als AfDler. Es muss passieren, aber es passiert auch. Das ist der Unterschied.
In Berlin eröffnet Seyran Ates gerade eine liberale Moschee, in der auch Frauen Imame werden können. Ist das ein erster Schritt in die richtige Richtung?
Im Prinzip ist mir das sympathisch, ich bin nur skeptisch, was die Wirkung angeht. Das hat auch damit zu tun, das Seyran Ates nicht als bekennende Muslimin bekannt ist. Natürlich ist ein offener Islam ein schönes Ideal. Aber ich glaube, der Anstoß in diese Richtung kann nicht von Personen wie Seyran Ates ausgehen.
Sondern?
Der muss aus der Mitte der muslimischen Gemeinschaft kommen. Von den gläubigen Muslimen, die nicht einem fundamentalistischen Islam anhängen. Die Absage von Ditib für die Demo in Köln ist ein Zeichen, dass wir davon noch weit entfernt sind. Die Muslime müssen die falsche Solidarität beenden und einsehen, dass es nichts gibt, was dem öffentlichen Bild und der Entwicklung des Islam so schadet wie dieser Fundamentalismus. Wenn man sich nicht dagegenstellt, muss man mit der Folge leben: der Islamophobie.
Sie gelten als harscher Islam-Kritiker, Ihnen wurde vorgeworfen, Nationalist zu sein.
Ich bin kein Kritiker des Islam, ich bin nur Kritiker eines Islam, wie er derzeit von vielen Muslimen in der Welt gelebt und von Regierungen vorgegeben wird. Aber der Islam ist weder besser noch schlechter als das Christentum, die Bibel nicht besser als der Koran. Er ist nur das, was die Gläubigen daraus machen. Historisch betrachtet war der Islam die tolerantere Religion, mindestens bis zum Ende des Mittelalters. Damals war der Islam ein relativer Hort der Toleranz, heute ist er ein relativer Hort der Intoleranz.
Vom rechten Rand bekommen Sie für ihre Thesen viel Beifall. Stört Sie das?
Natürlich. Aber ich kann nicht anders, die Befunde meiner Forschung sind, wie sie sind. Die für mich wichtigen Ziele, die Bekämpfung von Fundamentalismus, die Integration und Gleichbehandlung von Migranten, unterscheiden sich nicht von denen meiner linken Kritiker. Nur komme ich zu einer anderen Diagnose der Ursachen. Wissenschaft ist kein Spiel, keine Politik. Es geht um die Fakten.
Angenommen, Sie haben mit all Ihren Thesen recht. Wieso tut sich die Mehrheit der Deutschen dann so schwer, das zu akzeptieren?
Weil Zuwanderung ein hoch emotionales Politikfeld ist, auf dem Menschen eher in Kategorien von Gut und Böse denken als von Falsch und Richtig. Man hat ein bestimmtes Weltbild im Kopf, und was nicht dazu passt, das klammert man lieber aus. Die Mechanismen sind Rechts und Links gleich. Jeder greift sich die Teile heraus, die ihm passen. Es ist mühsam.
Wie auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière fordern Sie eine Leitkultur. Warum?
Weil jedes Staatsgebilde gemeinsame Werte und Normen braucht. Ein Sozialstaat lässt sich nicht aufrechterhalten, wenn die Menschen nicht das Gefühl haben, etwas gemeinsam zu haben. Das wird zu einem erheblichen Teil über politische Institutionen erreicht, die Verfassung, den Föderalismus.
Und jenseits davon?
Ein Wertekanon definiert sich auch über gemeinsame Sprache genauso wie über eine gemeinsame Geschichte. Deutschland wäre nicht Deutschland ohne die Vergangenheitsbewältigung. Wenn ein Migrant Deutscher werden will, heißt es auch, diese Historie zu übernehmen. Er kann nicht sagen: Meine Eltern stammen aus der Türkei, die waren 39 bis 45 gar nicht in Deutschland, mit Nationalsozialismus habe ich nichts zu tun. Wenn du Mitglied der Gesellschaft sein willst, ist das auch dein Erbe. Abstammung ist aus guten Gründen nicht definierend für Staatsangehörigkeit. Dann kann sie aber auch keine Ausrede sein.
Der Innenminister wies in seinem Katalog darauf hin, dass wir uns hier die Hand geben würden. Gehört das auch dazu?
Das ist tatsächlich Teil unserer Leitkultur. Letztlich geht es um Gepflogenheiten. Ich bin nicht für ein Handschüttelgesetz. Aber man kann klarmachen, dass es dazugehört. Wer Frauen nicht die Hand geben will, den können wir nicht dazu zwingen. Aber derjenige muss dann auch damit leben, hier eventuell keinen Job zu bekommen oder anderweitig ausgegrenzt zu werden.
Wie soll das gehen, ausformulieren lässt sich ein solcher Kanon kaum?
Das entsteht in einer öffentlichen Debatte, und die wird nie einstimmig sein. Deshalb ist es schwierig. Aber ich finde es wichtig, dass ein Innenminister so etwas initiiert und zu bestimmten Dingen Stellung nimmt. Wenn ein Lehrer über den Holocaust doziert und ein Schüler sagt: Was soll ich damit, ich hatte ja nichts damit zu tun, ich komme aus der arabischen Welt. Dann hilft es dem Lehrer, wenn er die Rückendeckung der Bundesregierung hat.
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