50 Jahre deutsch-israelische Beziehungen: Das Wunder der Versöhnung und die Suche nach Heimat
Zum Auftakt der Feiern zu 50 Jahren deutsch-israelischer Beziehungen diskutierten Steinmeier, Shalev und Reitz Heimat in den Zeichen der Krise
„Dass wir 70 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz das fünfzigjährige Bestehen unserer diplomatischen Beziehungen feiern können, ist alles andere als selbstverständlich. Es scheint insbesondere für uns Deutsche wie ein Wunder. Es wurde möglich, weil das Land der Opfer dem Land der Täter, die Hand reichte - erst zögernd, dann entschieden. Es wurde auch möglich, weil mein Land sich zu historischer Schuld ebenso wie zu aktueller Verantwortung für das Existenzrecht Israels bekannt hat und weiter bekennt“, sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) im vollbesetzten Weltsaal des Auswärtigen Amtes in Berlin zum Auftakt einer deutsch-israelischen Lese- und Gesprächsreihe. Thema der Eröffnungsveranstaltung zum Jubiläumsjahr war „Zweierlei Heimaten“, zu der Steinmeier den israelischen Schriftsteller Meir Shalev und den deutschen Regisseur Edgar Reitz eingeladen hatte, da „Krieg, Trauer, Verlust, Frieden, Identität und vor allem Heimat und Verlust derselben“ sinnbildlich auch für den Ausgangspunkt der Beziehungen zwischen Deutschland und Israel stünden.
Auch der israelische Botschafter Yacov-David Hadas Handelsman betonte, dass damals niemand ahnen konnte, dass man 70 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz dieses Jubiläum feiern könne. Die Entwicklung „aus der dunkelsten Hölle der Geschichte bis heute“ sei unglaublich, fast mehr als ein Wunder und zeuge von der Stärke des menschlichen Geistes. Die Entscheidung zu Beziehungen auf Augenhöhe sei ein heute lehrreich in einer von Gewalt geprägten Welt.
Steinmeier betonte die Freundschaft zu Israel, das Einstehen für seine Sicherheit, aber auch das offene Wort: „Unsere israelischen Freunde wissen, dass ich überzeugt bleibe, dass der gegenwärtige Status Quo im Nahen Osten keine langfristige Sicherheit für Israel schafft. Deshalb: So beschwerlich der Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung auch sein mag, nachhaltige Sicherheit für Israel ist am Ende ohne einen lebensfähigen und demokratischen palästinensischen Staat nicht denkbar. Und dafür müssen wir arbeiten!“
Aber er wies auch darauf hin, dass Deutschland und Israel mehr verbinde als Geschichte und Nahost-Konflikt. Er freue sich über die vielen jungen Israelis, die sich in Berlin zu Hause fühlten. Steinmeier zeigte sich auch beeindruckt von der Solidarität nach den Morden von Paris in Israel, in Deutschland und in Palästina. Auch in Deutschland müsse man wachsam sein, wie der brutaler Überfall auf Shahak Shapira in der Berliner U-Bahn gezeigt habe – Shapira war unter den Gästen der Veranstaltung. „Wir stellen uns entschieden gegen jene, für die für Heimat noch immer für Blut und Boden steht, und die unsere Gesellschaft durch Hassparolen zu spalten versuchen. Wir müssen Menschen unterstützen, die aus zerfallenen Heimaten kommen“, sagte Steinmeier zu Beginn des Gesprächs.
"Ich will Politik und Religion trennen"
„Heimat ist für mich der Ort, an dem ich gerne bin, den man ungern verlässt. ,Was tun sie, wenn ich weg bin?’, frage er sich nach einer Woche im Ausland“, erzählte Shalev mit einem Lächeln. Der Geburtsort sei für ihn Heimat. „Unsere Texte waren lange, als wir kein Land hatten, unsere Familie, unsere Heimat“, sagte Shalev. Die Frage von Moderatorin Astrid Frohloff nach einem möglichen Verlust von Heimat verneinte Shalev entschieden. „Ich lebe nicht in einem emotionalen Staat. Wir und die Palästinenser leben in ständiger Gefahr und Europa bekommt dieses Gefühl allmählich auch zu spüren. Ich hoffe, dass unsere Politiker dieses Problem zu lösen“, sagte Shalev. Er sehe aber auch, dass die Führer beider Länder nicht mutig genug seine, das auch wirklich zu tun. „Ich will Politik und Religion trennen, sonst wird die Lage sehr schnell explosiv. Das hat sich seit den Kreuzzügen christlicher Dschihadisten bewahrheitet. Der Tempelberg ist heute so gefährlich wie ein außer Kontrolle geratener Atomreaktor.“
Auf die Frage nach Kritik an Israel sagte Steinmeier: „Wir dürfen Rat geben und die Diskussionen über einen jüdischen Staat sind wichtig und kontrovers. Gaza habe den Schrecken ungelöster Fragen gezeigt, und er habe es sehr bedauert, dass die angestrebten Lösungen nicht akzeptiert wurden. „Wir haben im letzten Jahr eine Chance verpasst“, sagte Steinmeier, und wenn man nicht an die Bemühungen der USA anknüpfe, war Gaza nicht das letzte Mal. Man könne nicht ewig so weitermachen und „es ist unsere Verantwortung, Chancen zu finden“, sagte Steinmeier.
Edgar Reitz sieht den Heimatbegriff zunächst sehr persönlich, für ihn sei das der Hunsrück. Als er sich vor 30 Jahren mit seinem Filmprojekt „Heimat“ auf die Suche nach der eigenen Herkunft gemacht habe, musste er feststellen, dass Heimat immer dann stark war, wenn man weit davon entfernt ist. „Je näher die Heimat kommt, desto mehr löst sie sich auf. Heimat ist für mich das Großmutterland, das Gegenteil ist die Nation. Das Glück ist nur da, wo wir nicht sind“, sagte Reitz.
Er habe damals dafür gekämpft, dass man die Geschichten von damals, über das Leben der Eltern und Großeltern erzählen dürfe, das habe nichts mit Blut und Boden zu tun gehabt, wie manche ihm damals vorgeworfen hatten.
Reitz sieht aber auch eine geistige Heimat, in der es einem erlaubt ist, frei zu sein und frei zu arbeiten. Paris habe gezeigt, dass man nicht in Sicherheit lebe, aber „wir haben noch die Chance, über Heimat nachzudenken, und das deutsch-israelische Verhältnis zeigt, dass das geht“, sagte Reitz.
Zwei Menschen haben sich gefunden und verstanden
Steinmeier zeigte sich in dem Zusammenhang von dem Trauermarsch in Paris, der für ihn eher eine Demonstration der selbstbewussten französischen Demokratie war, die gemeinsam nach vorne schaue, tief beeindruckt. Und es habe ihn schon irritiert, dass der israelische Ministerpräsident Netanjahu die französischen Juden aufgefordert habe, nach Israel zu kommen. Zu Recht habe der französische Ministerpräsident Manuel Valls darauf hingewiesen, dass das Land ohne französische Juden kein Frankreich sei. „Netanjahu ist der Ministerpräsident Israels, nicht der Juden weltweit. Das Amt des israelischen Ministerpräsidenten ist schwer genug“, sagte Shalev dazu mit einem süffisanten Lächeln. „Wir hatten nie einen geistigen Führer, der für alle sprechen kann. Wir argumentieren und provozieren, dass kann Netanjahu uns nicht nehmen“, sagte Shalev.
Sehr emotional wurde es, als die erste Szene aus Reitz Film „Heimat“ gezeigt wurde. Ein junger Soldat kehrt 1919 ins Hunsrückdorf zurück, sieht seinen Vater in der Schmiede, hilft ihm, das Rad zu reparieren, jeder Handgriff sitzt und erst dann begrüßen sich die beiden. „Dieser Film erinnert mich an meine Heimkehr aus dem Krieg von 1967“, sagte Shalev bewegt. „Für mich war Homer in dem Film, der von der Odyssee zurückkehrt“. Und da gestand Reitz zum ersten Mal, dass er Homer im Sinn hatte, als er sein Filmprojekt „Heimat“ gestartet hatte. Reitz wiederum fand sich in der von Corinna Kirchoff gelesenen Passage über das verlassene Haus, in das der Protagonist des Romans „Der Junge und die Taube“ zurückkehrt. Zwei Menschen haben sich sofort gefunden und verstanden, ohne vorher das Werk des anderen gekannt zu haben. Ein wunderbarer Beweis, wie durch Kunst und Austausch Verständnis und Begegnung wachsen. Und so wünschte sich Steinmeier am Ende dieses Abends mehr Austausch junger Menschen für eine gemeinsame Zukunft.